
Wehrdienst, NATO, Rüstung Was planen Union und SPD für die Verteidigung?
Union und SPD wollen bereits angestoßene Projekte in der Sicherheitspolitik fortsetzen. Doch auch Neuerungen stehen bevor: ein Nationaler Sicherheitsrat soll kommen. Was ist noch geplant?
Es gibt zwei Aussagen im Koalitionsvertrag von Union und SPD, aus denen sich vieles zur Außen- und Sicherheitspolitik ableiten lässt. "Wir wollen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen", heißt es dort im Grundsatz. Es folgt kurz darauf der nicht unwesentliche Zusatz, dass von Russland die größte Bedrohung ausgehe.
Daraus ergibt sich für die Parteien die weitere Unterstützung der Ukraine, die Konzentration auf Landes- und Bündnisverteidigung und die Stärkung der Bundeswehr auf allen Ebenen. Es wird eine Politik sein, die auf einem klaren Bekenntnis zu EU und NATO basiert.
Die Bundeswehr und das Geld
Um zu verstehen, wie diese Politik konkret aussehen dürfte, braucht es einen Blick in die Vergangenheit: Als Noch-Kanzler Olaf Scholz 2022 den Begriff von der "Zeitenwende" für die Bundesrepublik prägte, als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine, versprach er auch deutlich mehr Geld für die Bundeswehr. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen schürte die Illusion, dass militärische Sicherheit sich nicht mehr nach Haushaltsengpässen zu richten hat. Das entpuppte sich schnell als Schimäre.
Die neue Koalition will deshalb einiges anders machen. Die Verteidigungsausgaben sind nicht mehr der Haushaltsdisziplin unterworfen. Die Höhe soll sich, so steht es im Koalitionsvertrag, "nach den in der NATO gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen" richten.
Die Union wollte ursprünglich einen Rahmen vorgeben - in Richtung 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Eine Zahl, die möglicherweise die NATO im Sommer als Richtschnur vorgeben wird. Doch diese Festschreibung fand keine Mehrheit mit der SPD.
Die neue Regierung will mehr Tempo
Alles soll künftig schneller gehen in Sachen Bundeswehr und Verteidigung. Dafür will die neue Regierung bereits im ersten Halbjahr ein "Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz" beschließen. Zur Erinnerung: Auch die Ampelkoalition hatte bereits ein solches Gesetz verabschiedet, im Juli 2022. Nun also das Beschleunigungsgesetz 2.0.
Auch bei der Beteiligung des Parlaments will die kommende Regierung mehr Tempo. Bisher müssen alle 25-Millionen-Vorlagen für Rüstungsgüter von den Bundestagsabgeordneten genehmigt werden. Das dauert oft lange. Schwarz-Rot will daher empfehlen, die "Höhe des Schwellenwertes für Beschaffungsvorlagen zu erhöhen". Unausgesprochen steckt dahinter die Hoffnung, nicht mehr so häufig das parlamentarische Genehmigungsverfahren durchlaufen zu müssen. Die Abgeordneten werden wohl nicht begeistert sein.
Und noch ein Beschleunigungsgesetz soll es geben: für die Bundeswehrinfrastruktur, um etwa neue Kasernen schneller bauen zu können. Speziell für die Bundeswehr soll es künftig Ausnahmeregelungen im Bau-, Umwelt- und Vergaberecht geben.
Der Umgang mit Industrie und Forschung
Außerdem findet sich im Koalitionsvertrag eine etwas verklausulierte Formulierung, die einen Eingriff des Staates in die Rüstungsindustrie erlauben könnte: Sollte die "vollumfängliche Gewährleistung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen Deutschlands durch Änderungen der Eigentums- und Anteilsverhältnisse an Schlüsselunternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedroht" sein, will Schwarz-Rot auch "strategische Beteiligungen des Bundes in Betracht ziehen".
Neu ist auch, dass Hemmnisse für die Zusammenarbeit von zivil-militärischer Forschung abgebaut werden sollen. Vor allem CDU-Chef Friedrich Merz hatte ein Defizit bei der strategischen Sicherheitsforschung ausgemacht. Das soll behoben werden, indem sicherheitspolitische Forschung gefördert wird.
Die Bundeswehr und der Nachwuchs
Vorerst ausgeschlossen ist die Rückkehr zur Wehrpflicht. Die Union wollte zwar die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder aktivieren, aber mit der SPD war das nicht zu machen. "Vorerst" bedeutet aber auch: nicht komplett vom Tisch. Der Kompromiss ist der von Verteidigungsminister Boris Pistorius bereits vorgelegte Vorschlag eines freiwilligen Wehrdienstes.
Der Vertrag nennt das "einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert". "Zunächst" war der Union wichtig, um zu warnen, dass es mit der Freiwilligkeit schnell vorbei sein könnte, wenn die erforderlichen Soldatinnen und Soldaten nicht gefunden werden.
Eine Randnotiz birgt Konfliktpotenzial: Künftig sollen Jugendoffiziere an Schulen "einen wichtigen Bildungsauftrag" erfüllen. Die Präsenz von Soldaten an Schulen ist bei anderen Parteien und auch in Teilen der SPD umstritten. Auch in den Bundesländern könnte sich Widerstand regen. Schulbildung ist Ländersache.
Die deutsche Rolle in der Welt
Die künftige Regierung will die Bundeswehr zu einem Vorbild im Kreis "unserer Verbündeten" machen. Und das vor dem Hintergrund, so heißt es weiter, dass Deutschland und Europa erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Lage sein müssen, ihre Sicherheit deutlich umfassender selbst zu gewährleisten. Also mehr Geld, bessere Ausrüstung, eine deutlich höhere Zahl an gut ausgebildeten Soldaten und vieles mehr. Doch um ein Vorbild sein zu können, ist es noch ein langer Weg.
In der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werde Deutschland eine Führungsrolle übernehmen. Kein "will", also keine reine Absichtsbekundung mehr, sondern ein uneingeschränktes Bekenntnis zum Anspruch. Aber immer in enger Abstimmung mit den Partnern.
Im Koalitionsvertrag finden sich in kurzen Passagen zu wichtigen außenpolitischen Akteuren nichts wirklich Überraschendes. Es gibt eine klare Kontinuität zu den Vorgängerregierungen. Ob es um die USA geht, trotz US-Präsident Donald Trump, um China, Israel oder die afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten.
Die Außenpolitik soll sich "noch wirkungsvoller an unseren Werten und Interessen" ausrichten. Betont werden immer wieder die deutschen Interessen. Auch in Bezug auf die Entwicklungspolitik, die grundlegend verändert werden soll. Die Mittel für Entwicklungshilfe sollen "angemessen" abgesenkt werden. Der Grund: die Haushaltskonsolidierung.
Eine Zukunftsvision wird auch angesprochen: Schwarz-Rot will sich für eine "Europäische Verteidigungsunion" einsetzen, um den europäischen Pfeiler in der NATO zu stärken.
Die Akteure in der Außen- und Sicherheitspolitik
Eine der größten Veränderungen, zumindest auf den ersten Blick, ist die Schaffung eines "Nationalen Sicherheitsrates", angesiedelt im Bundeskanzleramt. Das war von Anfang an eine Forderung von CDU-Chef Merz.
Der Rat soll koordinieren, Strategien entwickeln, Lagen bewerten - kurz: "das Gremium der gemeinsamen politischen Willensbildung" werden. Ergänzend kommen ein Bund-Länder- und ressortübergreifender Nationaler Krisenstab und ein Nationales Lagezentrum ebenfalls im Kanzleramt hinzu.
Merz hofft so, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen und mögliche Rivalitäten zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt im Keim zu ersticken. Die europäischen Partner sollen künftig keine sich widersprechenden Antworten aus Berlin bekommen. Er will so das Ende des berüchtigten "German Vote" garantieren, bei dem sich die Bundesregierung enthalten musste, weil ein Koalitionspartner eine andere Position vertrat.
In Brüssel ist man gespannt, ob das dem designierten Kanzler gelingen wird. Noch ist es zu früh, um das zu beurteilen. Dass das Auswärtige Amt erstmals seit sehr langer Zeit wieder von der Partei besetzt wird, die den Kanzler stellt, könnte helfen. Doch andere für die Außenpolitik ebenfalls wichtige Ministerien wie Verteidigung oder Finanzen sind in der Hand der SPD.
Die Fortsetzung der Zeitenwende?
Die Herausforderungen und Umbrüche, die Scholz mit seiner "Zeitenwende"-Rede angekündigt hatte, werden die Parteien dabei weiter beschäftigen. Einiges dürfte die neue Regierung fortsetzen, was die zerbrochene Ampelkoalition bereits angestoßen hatte.
Allerdings nimmt die mögliche Koalition sprachlich Abstand: Der Begriff "Zeitenwende", der wie wenige andere eine Art politisches Erbe des Kanzlers ist, taucht im schwarz-roten Koalitionsvertrag nur noch einmal auf - und das im Zusammenhang mit innerer Sicherheit.