
Deutsche Waffen in der Ukraine Kaum ein Großgerät "uneingeschränkt kriegstauglich"
Die Erfahrungen der Ukraine mit deutschen Waffen sind durchwachsen. Mit modernem Großgerät gibt es große Probleme, heißt es in einem internen Bundeswehrpapier, das NDR, WDR und SZ vorliegt. Was heißt das für die künftige Beschaffung von Rüstungsgütern?
In der Unteroffizierschule des Heeres im sächsischen Delitzsch wird der militärische Führungskräftenachwuchs der Bundeswehr ausgebildet. Die Unteroffiziere und Feldwebel lernen hier die Grundlagen der Landes- und Bündnisverteidigung. Am 30. Januar trat dort ein ungewöhnlicher Gast vor rund 200 Soldatinnen und Soldaten: Der stellvertretende Militärattaché der Deutschen Botschaft in Kiew hielt einen Vortrag über die Erfahrungen der Ukraine im Kampf gegen die russischen Streitkräfte.
Der Bundeswehr-Diplomat berichtete, was er in der Ukraine über die Kampfweise der Russen erfahren habe, sprach von einer "unvorstellbaren Opferung" von russischen Soldaten, über den allgegenwärtigen Drohnenkrieg, die Herausforderungen bei Logistik und Sanitätsversorgung an der ukrainischen Front. Überraschend deutlich und in ziemlich undiplomatischen Worten beschrieb der Militärattaché zudem, welche Erfahrungen die Ukrainer in den vergangenen Jahren mit deutschem Kriegsgerät gemacht hätten.
Technische Anfälligkeit, zu wenig Munition
Das geht aus einem eingestuften Protokoll des Vortrags hervor, das WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung (SZ) vorliegt - ein Dokument also, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. In dem Papier werden acht Waffensysteme angesprochen, die Deutschland der Ukraine zu Verfügung gestellt hat. Demnach habe die Panzerhaubitze 2000 eine "so hohe technische Anfälligkeit, dass Kriegstauglichkeit stark infrage gestellt wird". Der Kampfpanzer Leopard 1A5 gelte zwar als "zuverlässig", werde "aber aufgrund zu schwacher Panzerung oft nur als Behelfsartillerie eingesetzt", beim neueren Leopard 2A6 sei der Aufwand der Instandsetzung hoch, und oft keine Feldinstandsetzung, also eine Reparatur an der Front, möglich.
Das Luftverteidigungssystem IRIS-T sei sehr wirkungsvoll, allerdings sei der Preis für die Munition zu hoch und diese "nicht in der notwendigen Zahl vorhanden". Auch das Flugabwehrsystem PATRIOT sei grundsätzlich ein "hervorragendes Waffensystem", aber "untauglich für den Kriegseinsatz, weil Trägerfahrzeug zu alt und keine Lieferung von Ersatzteilen seitens Hersteller mehr möglich".
Das Fazit des Militärattachés klingt laut Protokoll einigermaßen ernüchternd: "Uneingeschränkt kriegstauglich ist kaum ein deutsches Großgerät." Als Schlussfolgerung heißt es zudem: "Kompliziertes Gerät bleibt ungenutzt (…) Einsatzwert von hochmodernem und kompliziertem Großgerät ist gering, wenn Truppe nicht vor Ort Instandsetzung durchführen kann".
Folgen für die Beschaffung?
Was bedeutet ein derart klares Urteil über den Praxiseinsatz dieser Waffensysteme für Deutschland? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Planungen der Bundeswehr? Und fließen die im Krieg in der Ukraine gewonnenen Erkenntnisse zu den einzelnen Systemen ausreichend und schnell genug in die künftigen Beschaffungsvorhaben und neue Rüstungsprojekte ein?
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wollte sich auf Anfrage nicht zu dem internen Papier und den darin beschriebenen Erfahrungswerten der Ukraine äußern. Er erklärte lediglich man befinde sich mit den ukrainischen Stellen zu allen gelieferten Waffensystemen, zur Instandsetzungsmöglichkeiten und Ersatzteilversorgung sowie zu deren Munitionsversorgung in einem ständigen Austausch.
"Man muss mit der Ukraine in ein enges, partnerschaftliches Gespräch kommen und sich genau diese Unzulänglichkeiten angucken und das für die zukünftigen Beschaffungen auch berücksichtigen", sagt die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Sara Nanni. Sie fordert, dass die Lehren aus dem Ukrainekrieg schnell in Ausbildung, Planung und Beschaffung einfließen.
Mangelnde Erfahrung mit westlichen Systemen?
Aus Bundeswehrkreisen heißt es, die Ukraine sei in einer besonderen Situation: Dadurch, dass zahlreiche westliche Staaten in den vergangenen Jahren unterschiedliches Gerät geliefert haben, seien die ukrainischen Streitkräfte gezwungen, erheblich zu improvisieren. Es fehle an Erfahrungen im Umgang mit den westlichen Systemen, die Soldaten würden oft in kürzester Zeit daran ausgebildet. Zudem würden die Waffen mitunter auch anders eingesetzt, als es etwa bei der Bundeswehr im Kriegsfall vorgesehen wäre.
Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen: Auf dem Schlachtfeld in der Ukraine findet nun ein Praxistest für Waffensysteme statt, die von der Bundeswehr bislang vor allem unter Übungsbedingungen eingesetzt wurden - und die oftmals vor langer Zeit für Kriegsszenarien entwickelt wurden, in denen neuere Entwicklungen wie der massive Einsatz zum Beispiel von Drohnen nicht einkalkuliert worden war.
Der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Pawlo Palissa, betonte im Interview mit dem ARD-Studio in Kiew allerdings auch die Chancen der aktuellen Situation. "Den Vorteil sehe ich darin, dass die Partnerländer, auch Deutschland, die Möglichkeit haben, die realen Kampffähigkeiten ihrer Waffen, ihrer Ausrüstung zu testen, sie an das moderne Gefechtsfeld anzupassen und für die Sicherheitsherausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein", so Palissa. "Das heißt, solche Systeme an Waffen und Ausrüstung zu produzieren, die sowohl auf dem aktuellen Gefechtsfeld als auch in naher Zukunft relevant sein werden."
Verschärfte Bedingungen
In der Ukraine herrschen verschärfte Bedingungen, da Waffenlieferung, Wartung und Reparatur von den Unterstützerstaaten auf unterschiedliche Arten organisiert werden. So stellt beispielsweise die Instandsetzung von beschädigtem oder defektem Großgerät weiterhin eine immense Herausforderung dar.
Etwa können Panzer vor allem aufgrund der Bedrohung durch Drohnen nicht in Frontnähe repariert werden. Die Instandsetzungsanlagen, "Repair Hub" genannt, die auch westliche Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall in der Ukraine inzwischen betreiben, befinden sich im Westen des Landes, weit weg von der Front, oder in Nachbarstaaten wie Polen.
In Bundeswehrkreisen geht man davon aus, dass wohl auch Deutschland im Kriegsfall vor ähnlichen Problemen stehen könnte wie die Ukraine: Zwar sind die Grundvoraussetzungen im Bereich der Instandsetzung wesentlich besser und zumindest die theoretischen Planungen gehen von kürzeren Instandsetzungszeiten, ausreichend Ersatzteilen und reibungsloser Logistik aus. Die Realität aber könne schnell anders aussehen, warnen Bundeswehr-Insider, etwa falls ein Angriff Russlands auf das Baltikum den Bündnisfall auslöst und die dortigen Bundeswehrkräfte in den Krieg ziehen müssten.
Sowohl Rheinmetall als auch weitere Rüstungsunternehmen wollten sich auf Anfrage von WDR, NDR und SZ nicht zu den Schwierigkeiten beim Einsatz der Waffensysteme äußern.
Probleme mit der Bürokratie
Zwar wird auch ukrainisches Personal in Instandsetzung geschult, dennoch dauert es oft Monate bis Waffensysteme wie Haubitzen repariert werden können. Nicht selten mangele es an Ersatzteilen, berichten Bundeswehrvertreter, hinzu käme erschwerend die deutsche Bürokratie mit komplizierten und teils langwierigen Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter.
Bei der Panzerhaubitze 2000 ist seit längerer Zeit bekannt, dass das System als anfällig gilt: Schnell komme es zu Softwareproblemen oder das Geschützrohr überhitze und müsse ausgetauscht werden, heißt es aus der Ukraine. Dabei gilt die Haubitze grundsätzlich als leistungsstarkes und präzises Waffensystem.
Aus dem internen Protokoll zum Vortrag des stellvertretenden deutschen Militärattachés aus Kiew ist ersichtlich, dass in der Ukraine wohl vor allem die älteren deutschen Waffensysteme wertgeschätzt werden - ausgerechnet jene, die die Bundeswehr ausgemustert hat. Der Flakpanzer "Gepard", der vor allen gegen russische Drohnen und Marschflugkörper eingesetzt wird, gelte als "das beliebteste, effizienteste und zuverlässigste Waffensystem", heißt es in dem Papier. Über den Schützenpanzer "Marder" berichtete der Attaché: "Sehr beliebtes Gefechtsfahrzeug ohne Einschränkung".
"Masse und Hightech" benötigt
Daraus könne man aber nicht grundsätzlich die Konsequenz ziehen, auf moderne, auch hochtechnisierte Waffensysteme künftig zu verzichten, meint etwa der frühere General Hans-Lothar Domröse: Ältere Waffensysteme seien zwar häufig im realen Einsatz zuverlässiger, dennoch müsse man sich in künftigen Kriegsszenarien moderner aufstellen, so Domröse. "Wir brauchen beides: Masse und Hightech". Der Krieg in der Ukraine verdeutliche, so der frühere General, wie wichtig künftig der Einsatz und die Abwehr von Drohnen und die Aufklärung im elektromagnetischen Feld, also bei Funk und Signalen, sei.
Ein wichtiges Fazit aus der Ukraine sei, so mahnt die Grünen-Verteidigungspolitikerin Nanni an, dass aufgrund der hohen Ausfallquote von Material schlichtweg mehr Waffensysteme verfügbar sein müssten: "Aber klar ist auch, dass wir nicht mehr mit so geringen Stückzahlen denken können, sondern eher davon ausgehen müssen, dass Fahrzeuge auch nach einer Beschädigung eine lange Stehzeit haben, wo sie eben gewartet werden müssen."
An diesem Freitag kommt in Brüssel erneut die Ukraine Defense Contact Group (UDCG) der NATO zusammen, jene Kontaktgruppe aus Unterstützerländern, die der Ukraine Waffen, Ausrüstung und Ausbildungshilfe zur Verfügung stellen. Dann soll erneut darüber beraten werden, welche Waffensysteme geliefert werden können. Die Ukraine-Kontaktgruppe hatte sich bislang vor allem auf Einladung der USA auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz getroffen. Zuletzt leitete Großbritannien das Treffen im Februar.