
Schwarz-Rot, die Fünfte Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
Die schwarz-rote Koalition steht. Es ist die mittlerweile fünfte Bundesregierung aus Union und SPD. Und so wenig überraschend, wie die Parteien zusammenkamen, sieht auch der Koalitionsvertrag aus. Das muss allerdings kein Nachteil sein.
"Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", heißt es bei Hermann Hesse. Allerdings bestätigen Ausnahmen die Regel. Der Anfang dieser Schwarz-Roten Koalition ist so wenig zauberhaft wie eine Zweckehe.
Das fängt schon beim Verkündungsort an: Das Paul-Löbe-Haus, der betongesättigte Anbau des Reichstages strahlt Stabilität und Nüchternheit aus. Aber vielleicht braucht es genau das.
Nach Fortschritt kommt Verantwortung
Als die Ampelkoalition 2021 - damals unter dem Titel "Mehr Fortschritt wagen" - ihren Koalitionsvertrag vorstellte, tat sie das in einer hippen Location im Berliner Westhafen. Es gab coole Fotos vor Industriekulisse, alles war instagrammable.
Wo all das am Ende hinführte, zeigte sich bei zunehmendem Druck: Weil SPD, Grüne und FDP jeder für sich voranschreiten wollten, aber in unterschiedliche Richtungen, kamen sie am Ende ins Stolpern - und der Rest ist Geschichte.
Schwarz-Rot, die Fünfte, versucht gar nicht erst, im Vorfeld den ganz großen Wurf zu verkaufen. Schwarz-Rot will Vertrauen erwecken. "Verantwortung für Deutschland", heißt es auf dem Titelblatt des Koalitionsvertrags. Das klingt weniger aufregend als "Fortschritt", ist aber genau das, was sich viele Menschen im Land wünschen: Stabilität, Führung, Ergebnisse. Genau so liest sich der Koalitionsvertrag.
Solides statt Revolutionäres
In Sachen Wirtschaft will Schwarz-Rot vor allem Anreize für die Extra-Meile schaffen: Für die kommenden drei Jahre dürfen Unternehmen Investitionen degressiv mit 30 Prozent abschreiben. Wer extra viel arbeitet, soll steuerfreie Überstundenzuschläge bekommen. Wer in der Rente noch arbeitet, kriegt ebenfalls Steuerfreibeträge.
Zusätzlich soll Unternehmen das Leben leichter gemacht werden: Indem Energiekosten gesenkt werden und das nationale Lieferkettengesetz mit seinen umständlichen Berichtspflichten wegfällt. Einiges davon hatte die Ampel auch vor, scheiterte am Ende aber an sich selbst.
Keine revolutionären Ideen
Auch in der Migration sattelt Schwarz-Rot auf Entwicklungen auf, die bereits von der Ampelkoalition losgetreten wurden: Die nationalen Grenzen sollen weiter kontrolliert und mehr Menschen abgeschoben werden. Dinge, die schon unter SPD-Innenministerin Nancy Faeser Realität wurden.
Neu ist in der Tat, dass die Einbürgerung nach drei Jahren abgeschafft wird. Außerdem bekommen Geflüchtete aus der Ukraine nicht mehr automatisch Bürgergeld. Revolutionär sind allerdings auch diese Ideen nicht.
Wehrdienst statt Wehrpflicht
Pragmatisches findet sich schließlich auch im Ressort Verteidigung. Eine Rückkehr der Wehrpflicht wird es vorerst nicht geben. Man setzt stattdessen weiter auf einen freiwilligen Wehrdienst. Allerdings sollen junge Menschen, die in Frage dafür kommen, systematisch erfasst werden.
Dazu kommen Beschleunigungsgesetze, um die marode Bundeswehr-Infrastruktur zu sanieren und Rüstungsgüter zu beschaffen. Einzelne Waffensysteme für die Ukraine, wie der "Taurus"-Marschflugkörper, stehen nicht im Koalitionsvertrag.
Supertrumpf Sondervermögen
Das klingt alles nicht nach dem großen Befreiungswurf. Aber dann sind da ja noch die Grundgesetzänderungen, die Union, SPD und Grüne im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen im Eilverfahren durchgebracht haben. Hunderte Milliarden Euro für die Verteidigung und Sicherheit des Landes, Hunderte Milliarden Euro für die Infrastruktur, Hundert Milliarden Euro für den Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft.
Nimmt man also in einem Best Case Scenario die Milliardenspritze und eine unaufgeregte Politik der Stabilität zusammen, kann eine Menge erreicht werden. In einer Welt, in der Russlands Machthaber Wladimir Putin Völkerrecht bricht und Nachbarstaaten überfällt und in der US-Präsident Donald Trump das Welthandelssystem ins Chaos stürzt, reicht es vielleicht auch, stabil dazustehen.
Schwarz-Rot Zeit geben
Vielleicht ist der große Wurf dieser Koalition also der, dass es überhaupt eine Regierung gibt. Dass sich trotz enormen Drucks diese im Wahlkampf noch verfeindeten Parteien zusammengerauft haben. Um idealerweise nüchterne, aber wirksame Politik zu machen.
Die Zeit, um überhaupt ins Machen zu kommen, muss man Schwarz-Rot wenigstens geben. Nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne - muss er vielleicht aber auch nicht.