
Erneuter Kursrutsch im DAX Nerven der Anleger liegen blank
Der DAX zeigt sich weiter hochvolatil, zur Wochenmitte rutschen die Kurse erneut ab. Wie es um die Stimmung der Anleger bestellt ist, zeigt ein Blick auf die "Angstbarometer" der Börse.
Nach dem Inkrafttreten der neuen US-Zölle nehmen die Anleger an den Aktienmärkten erneut Reißaus. Der DAX baut seine anfänglichen Kursverluste im Handelsverlauf immer weiter aus. Das vorläufige Tagestief liegt bei 19.421 Punkten - ein Minus von 4,2 Prozent.
Damit kassiert der DAX seine gestrigen Kursgewinne auf einen Schlag wieder ein, von einer Stabilisierung nach dem "Black Friday" und dem "Panic Monday" ist der deutsche Aktienmarkt weit entfernt.
Der DAX zeigt sich weiter hochvolatil - und das spiegelt sich auch im VDAX wider, der heute einen kräftigen Satz nach oben macht. Das Volatilitätsbarometer, das die erwartete Schwankungsbreite der DAX-Kurse misst, springt um 15 Prozent hoch und notiert nun wieder fast so hoch wie am Montag.
Ein hoher VDAX-Wert weist auf einen unruhigen, unsicheren Markt hin. Nicht umsonst werden der VDAX und sein Pendant für den US-Index S&P 500, der VIX, daher auch als "Angstbarometer" der Börse bezeichnet. Das Volatilitätsbarometer VIX hatte den gestrigen Handelstag bei 52 Punkten beendet. "Der VIX zeigt eine Panik unter den Investoren an", so Marktexperte Robert Rethfeld von Wellenreiter-Invest.
"Der DAX befindet sich trotz aller Dramatik weiterhin 'nur' in einer Korrektur", unterstreicht derweil Maximilian Wienke, Marktanalyst bei eToro. "Die Verluste gegenüber dem Rekordhoch belaufen sich aktuell auf 17 Prozent. Nach zwei sehr starken Jahren ist das verkraftbar."
Ein sogenannter Bärenmarkt ist definiert als ein Verlust von mindestens 20 Prozent - am Montag hatte der DAX diese Schwelle bereits kurzzeitig unterschritten, lag doch zwischen dem Rekordhoch von Mitte März (23.476 Punkte) und dem Montagstief (18.489 Zähler) ein Kursabschlag von gut 21 Prozent.
An der Wall Street befinden sich sowohl der marktbreite S&P 500 als auch der technologielastige Nasdaq 100 bereits in einem Bärenmarkt; beim Dow-Jones-Index beträgt der Abschlag bislang "lediglich" 16 Prozent.
"Häufig beginnt ein Bärenmarkt mit einer ersten Panik, gefolgt von einer Erholung und einem abschließenden Tief einige Monate später", erläutert Marktexperte Robert Rethfeld von Wellenreiter-Invest. "Ein Bärenmarkt dauert im Durchschnitt etwas mehr als ein Jahr."
So erreichte der bisher jüngste Bärenmarkt 2022 nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ein erstes Tief im März, gefolgt von einer Erholung und einem abschließenden Tief Ende September. Es existierten aber auch Abwärtsbewegungen, in denen das erste Paniktief bereits das Gesamttief darstellt, so Rethfeld. Dies treffe etwa auf die Crashs von 1987 und 2020 zu, nicht aber auf denjenigen von 1929.
Die große Frage für die Anleger ist daher: Haben die Börsen bereits ihre ersten Panik-Tiefs erreicht? Vor diesem Hintergrund sollten Anleger das DAX-Tief vom "Panic Monday" bei 18.489 Punkten im Auge behalten. Spätestens darüber sollten die Kurse besser die Kurve bekommen. Andernfalls droht eine massive Beschleunigung der Abwärtsdynamik.
In diesem Fall würde die Wahrscheinlichkeit für einen weiteren Rücklauf im DAX bis auf 17.000 Punkte sehr steigen, warnt etwa ING-Charttechnikexperte Christian Zoller. Vor allem für langfristig orientierte Anleger ist zudem der erneute Rutsch unter die 200-Tage-Linie (aktuell bei 19.969 Punkten) ein negatives Signal, gilt dieser gleitende Durchschnitt der vergangenen 200 Handelstage doch als wichtiger Indikator für den langfristigen Trend im DAX.
Hintergrund der neuen Verwerfungen an den Börsen ist die Ankündigung weiterer Sonderzölle der USA gegen China von noch einmal 50 Prozent. Trump reagierte damit gestern auf die von Peking angekündigten Gegenzölle in Höhe von 34 Prozent. Für chinesische Waren gelten damit seit heute früh Sonderzölle in Höhe von insgesamt 104 Prozent.
"Der Handelskrieg 2.0 ist im vollen Gange", betont IG-Analyst Christian Henke. "Sowohl Washington als auch Peking geben nicht klein bei und lassen die Muskeln spielen."
Denn auch wenn sich mittlerweile sogar sein "Best Buddy" Elon Musk klar gegen Trumps Zollpolitik ausspricht und dessen Zoll-Architekten Navarro als "dümmer als ein Sack Ziegel" verspottet: Trump zeigt sich weiter stur. Dass der US-Präsident bald von seiner harten Haltung gegenüber China oder der EU abrücken oder gar einen Fehler eingestehen könnte, das dürfte wohl ins Reich der (Börsen-)Fantasien gehören.
Den Finanzmärkten fehlt damit ein fundamentaler Grund, der einen nachhaltigen Kursumschwung rechtfertigen könnte. Vielmehr sind sie immer noch dabei, die neuen Realitäten einzupreisen. Und zu diesen neuen Realitäten gehört womöglich auch eine weltweite Rezession; die Wahrscheinlichkeit dafür ist seit der vergangenen Woche jedenfalls drastisch gestiegen.
Der Ausverkauf am US-Anleihemarkt nimmt unterdessen immer dramatische Züge an. Zehnjährige US-Bonds rentieren zeitweise über 4,5 Prozent und damit so hoch wie zuletzt Ende Februar. Das Image der US-Staatsanleihen als "sicherer Hafen" gerät immer mehr ins Wanken.
Kehren nun auch die Geldgeber der USA dem Land den Rücken? Für die Vereinigten Staaten wäre das verheerend, müssen sie doch in den kommenden Jahren Billionen von Dollar refinanzieren.
Marktexperte Stanzl weist noch auf ein weiteres Risiko hin: Ein großer Hedgefonds oder eine Bank könnte durch die Börsenturbulenzen in Schieflage geraten. "Es ist nicht garantiert, dass die Kollateralschäden, die durch Trumps Frontalkurs entstehen, nicht zu weiteren Ansteckungseffekten führen, die am Ende nicht mehr einzufangen sind."
Spätestens dann dürften zumindest bei den mittleren und älteren Generationen Erinnerungen an die Finanzkrise wachwerden.
Unterdessen zeichnen sich an der Wall Street auch für den heutigen Handelstag weitere Kursverluste ab; am Mittag liegen die US-Futures deutlich im Minus. Der Future auf den US-Leitindex Dow Jones verliert 1,4 Prozent, der Future auf den Nasdaq 100 verzeichnet ähnlich hohe Verluste.
Die Furcht vor einer weltweiten Rezession setzt die Ölpreise erneut unter Druck. Anleger fürchten eine stark nachlassende Nachfrage - insbesondere aus China. "Ein anhaltender Handelskrieg könnte das chinesische Nachfragewachstum von 50.000 bis 100.000 Barrel pro Tag gefährden", sagte Ye Lin, Ölmarktexpertin beim Analysehaus Rystad Energy.
Am Rohstoffmarkt verbilligt sich die Nordseesorte Brent aktuell um 3,7 Prozent auf 60,51 Dollar je Barrel (159 Liter). Die US-Sorte West Texas Intermediate wird erstmals seit April 2021 für unter 60 Dollar pro Barrel gehandelt.
Der sichere Hafen Gold ist dagegen zur Wochenmitte einmal mehr gefragt. Das gelbe Edelmetall profitiert von der gestiegenen Risikoaversion an den Finanzmärkten. Anleger fliehen raus aus riskanten Anlagen wie Aktien und Öl - und rein in sichere Häfen wie Gold. Auch die Abschwächung des Dollar treibt die Goldnachfrage. Der Goldpreis zieht am Mittag um 2,2 Prozent auf 3.042 Dollar je Feinunze an.
Die von Trump verhängten China-Zölle haben unterdessen auch für einige US-Konzerne dramatische Konsequenzen. Der Technologiekonzern Apple gehört zu den Leidtragenden, werden doch die meisten iPhones in China produziert.
In den vergangenen Handelstagen büßte die Apple-Aktie daher mehr als ein Fünftel ihres Werts ein - das kostet sie nun den Titel des wertvollsten Unternehmens an der Börse. Neue Nummer Eins auf dem Börsenolymp ist nun Microsoft mit einem Marktwert von rund 2,64 Billionen Dollar.