
Europa und Ukraine-Gespräche "Aus solchen Diktaten entsteht kein Frieden"
Bei den geplanten Friedensgesprächen über den Ukraine-Krieg ist Europa außen vor. Und die USA haben bereits vorab wichtige Bedingungen aus der Hand gegeben, sagt Politikwissenschaftlerin Schröder. Die EU müsse sich nun neu ausrichten.
Europäische Staats- und Regierungschefs wollen heute in Paris über die Pläne von US-Präsident Donald Trump zu einer möglichen Beendigung des Kriegs gegen die Ukraine beraten. Denn die Europäer brauchen eine Strategie, wie sie damit umgehen wollen, dass die US-Amerikaner für sie offenbar keine zentrale Rolle im Verhandlungsprozess vorsehen.
Politikwissenschaftlerin Ursula Schröder hat Europas Rolle im Interview mit tagesschau24 eingeordnet.

"Es geht um die Zukunft der Sicherheitsordnung"
tagesschau24: Wieso ist es für Europa so wichtig, sich an möglichen Friedensverhandlungen zu beteiligen und diese nicht allein den USA und Russland zu überlassen?
Schröder: Es geht bei dem Krieg in der Ukraine nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern es geht um nichts weniger als die Zukunft der europäischen Sicherheitsordnung, wie wir sie kennen.
Europa und insbesondere die Europäische Union müssen zwingend an der Ausgestaltung einer solchen Sicherheitsordnung beteiligt werden und daher auch an der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für einen Frieden für ein Ende des Kriegs in der Ukraine.
Keine gemeinsame Position bei Sicherheitskonferenz
tagesschau24: Inwieweit hätte Europa schon mehr dafür tun können, jetzt eine aktive Rolle bei eventuellen Friedensverhandlungen zu spielen?
Schröder: Die Europäische Union ist auf einem schlechten Fuß erwischt worden bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Sie hat sich noch nicht zu einer gemeinsamen Position zusammenraufen können. Und die Frage wird jetzt sein auf dem Sondergipfel, ob sich die Staaten der Europäischen Union darauf verständigen können, welche Form der Unterstützung der Ukraine sie in Zukunft leisten wollen und auch, welche sie zusagen können.
Es handelt sich jetzt nicht mehr nur um militärische Unterstützung der Ukraine, sondern es handelt sich auch um die großen Fragen der Absicherung eines möglichen Abkommens zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine. Also sogenannte Friedenstruppen, Peacekeeping oder Abschreckung.
Und auf der anderen Seite handelt es sich um die Frage, wer den Wiederaufbau der Ukraine bezahlen soll. In diesen Feldern ist noch nicht klar, ob die Europäische Union die Kapazität hat, insbesondere die militärische Kapazität, die Truppen zu stellen, die für eine solche Friedenssicherung notwendig sein werden.
"Ein sehr tiefer Riss in den Beziehungen"
tagesschau24: All diese Denkprozesse, die Sie beschreiben, wurden angestoßen durch eine Rede von US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Inwieweit steht diese Rede für eine Wende in den Beziehungen? Was bedeutet das für die europäische Sicherheit?
Schröder: Die Rede, die wir uns alle mit großem Erstaunen und auch Unverständnis angehört hatten, ging im Kern gar nicht um europäische Sicherheit. Interessant war also die Auslassung, dass es nicht um Fragen der Ukraine ging, nicht um Fragen der europäischen Sicherheit, sondern um einen Frontalangriff auf das, was wir als demokratische Werte hier in Europa verstehen.
Das heißt, dass politisch jetzt von einem sehr tiefen Riss in den transatlantischen Beziehungen zu sprechen ist. Eine Art von Riss, die wir in den letzten Jahrzehnten in dieser Art noch nicht gesehen haben. Und dass es wirklich zwingend notwendig sein wird, dass sich Europa, die Europäische Union insbesondere, darauf verständigt, wie sie darauf reagieren möchte.
Europäische Sicherheit gibt es als Begriff schon seit vielen Jahrzehnten, aber es gibt seit vielen Jahrzehnten nur eine sehr schleppende, sehr langsame Integration auf der Ebene der EU. Und die Frage ist jetzt, ob die EU sich durch diese Krise, wie sie es manchmal tut, in die Lage versetzt sieht, sich zu einigen und stärker politisch und auch sicherheitspolitisch zu integrieren - oder ob sie sich spalten lassen wird von Russland, aber auch von den Aktivitäten der Vereinigten Staaten.
Europa selbst verantwortlich für eigene Friedensordnung
tagesschau24: Führt kein Weg an einer Neuausrichtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorbei? Oder kehrt man in alte Bahnen zurück, wenn die Trump-Amtszeit endet?
tagesschau24: Darauf deutet zumindest jetzt nichts hin. Wir sehen in den USA einen massiven Rückbau demokratischer Institutionen. Es ist völlig unklar, was dort in vier Jahren passieren wird. Und es ist zumindest nicht plausibel, von der heutigen Perspektive aus einfach auf bessere Zeiten zu hoffen.
Dafür ist die Situation in Europa zu ernst. Und dafür sind die europäischen Staaten natürlich auch zu sehr selbst verantwortlich für ihre eigene Friedensordnung, für das europäische Friedensprojekt im Rahmen der Europäischen Union, aber auch für ihre Sicherheitspolitik nach außen.
Und da ist die Europäische Union aktuell sehr schlecht aufgestellt. Und insbesondere die schnellen Verhandlungsforderungen der USA im Hinblick auf ein Ende des Kriegs in der Ukraine machen diese notwendige Integration der Europäischen Union nur noch sehr viel dringender.
"Wichtigste Themen aus der Hand gegeben"
tagesschau24: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Trump und Putin eine Einigung für ein nachhaltiges Friedensabkommen erreichen? Also eines, dem auch die Europäer und vor allem die Ukrainer zustimmen können.
Schröder: Das ist auf der Basis dessen, was wir aktuell wissen, sehr unwahrscheinlich. Es handelt sich ja im Wortsinne gar nicht um Verhandlungen. Bei Verhandlungen geht es darum, dass alle Seiten bestimmte Dinge konzedieren, also Kompromisse schließen.
Momentan sind die wichtigsten Themen vorweg von den USA aus der Hand gegeben worden. Das ist der Verlust von Territorien für die Ukraine und ein Ausschluss der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Russland bekommt also jetzt schon fast alles, was es möchte, inklusive eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit den USA und nicht die Behandlung als irgendeine Regionalmacht.
Eigentlich geht es hier momentan noch um das Diktat von Bedingungen an die Ukraine und aus solchen Diktaten entstehen keine nachhaltigen Friedensordnungen. Weil auch klar ist, dass Verhandlungen, die so enden, dass eine Seite das Abkommen nicht akzeptieren kann, nicht implementiert werden, nicht zu einer Friedensordnung führen können.
Das heißt, ein Abkommen allein macht noch keinen Frieden. Trump sollte das aus eigener Erfahrung wissen. Er hat in Doha 2020 mit den Taliban verhandelt und ist damit auch krachend gescheitert.
Das Gespräch führte Ralph Baudach, tagesschau24. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht überarbeitet.