
US-Vize Vance in München Eine beispiellose Abrechnung mit Europa
Es war eine Rede, die die transatlantischen Partner schockiert hat: US-Vizepräsident Vance hat den Europäern mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen - und belegte das mit fragwürdigen Beispielen.
"Ich hoffe, dass das nicht der letzte Applaus für mich heute war", sagt US-Vizepräsident JD Vance zu Beginn. Gerade hat er sein Mitgefühl für die Opfer des gestrigen Anschlags von München ausgedrückt und dafür Beifall erhalten. Doch dieser Moment war tatsächlich der Höhepunkt der positiven Rückmeldung des Publikums im Bayerischen Hof.
Selten gab es vor einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz so hohe Erwartungen und auch große Befürchtungen. Jeder Platz im Saal ist besetzt, an den Seiten stehen zahlreiche Menschen dicht gedrängt.
Er werde vermutlich einen Groß-Abzug von US-Truppen aus Europa verkünden, glaubte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. CDU-Chef Friedrich Merz erwartet eine "brutal harte Ansage". Die kam auch, allerdings nicht wie von vielen erwartet.
"Was ist mit den Gewinnern des Kalten Kriegs passiert?"
Sicherheitspolitik, den Krieg in der Ukraine, das transatlantische Verhältnis - all das streifte Vance nur am Rande. "Die Gefahr, die ich in Europa am größten sehe, ist nicht Russland oder China oder ein anderer externer Akteur." Die größte Gefahr liege im Inneren. Es folgt ein fast halbstündiger Vortrag, indem Vance den Europäern ein verkommenes Demokratieverständnis vorwarf.
"Wenn ich mich in Europa umschaue, frage ich mich, was mit den Gewinnern des Kalten Kriegs passiert ist", so Vance. Er zählt mehrere vermeintliche Beispiele auf: die annullierte Wahl in Rumänien oder Durchsuchungen nach Online-Hass-Kommentaren in Deutschland. In England sei ein Abtreibungsgegner angezeigt worden, nur weil er seine Meinung geäußert habe.
Es folgen Fälle aus Schottland und Schweden, in denen die Meinungs- und/oder Religionsfreiheit eingeschränkt worden sein soll.
Irritiertes Publikum in München
Ja, Europa müsse mehr für die Verteidigung tun, sagt er an einer Stelle. Aber Europa müsse vor allem Zensur bekämpfen, die unliebsame Stimmen zum Schweigen bringen würde. Trump und er stünden dafür, dass jeder seine Meinung kundtun dürfe. Hier gibt es noch mal einen kurzen Applaus.
Als er kurz danach noch mal auf Rumänien zu sprechen kommt und sinngemäß sagt: Wenn eine Social-Media-Kampagne so sehr die Wahlen beeinflusse, dann sei es schlicht nicht gut um die Demokratie dort bestellt - an dieser Stelle sind es genau noch drei Leute im Publikum, die das mit Beifall quittieren.
Das Murmeln wird indes immer lauter, vereinzelt ist Kopfschütteln im Saal zu sehen. Zwischendurch ruft jemand aus dem Publikum etwas Richtung Vance - was er sagt, ist nicht zu verstehen.
Vance kritisiert Gastgeber der Sicherheitskonferenz
Auch die Gastgeber bekommen ihr Fett weg: Dass keine Vertreter von populistischen Parteien - damit dürfte er AfD und BSW gemeint haben - eingeladen sind, könne er nicht nachvollziehen.
An die Politik gerichtet, fordert er die Europäer auf, die Stimmen aus der Bevölkerung mehr wahrzunehmen. "Wenn ihr Angst vor euren eigenen Wählern habt, dann gibt es nichts, was Amerika für euch tun kann."
Schärfere Migrationspolitik gefordert
Dann widmet er sich dem Thema Einwanderung, "Nichts ist so dringend", sagt Vance. Er nimmt den Anschlag von München als Beispiel und fragt: "Wie oft müssen wir das noch erleben, bevor wir etwas ändern?". An dieser Stelle ist auch mal Nicken im Publikum zu sehen.
Die politischen Gegner zu Hause nimmt Vance ebenfalls ins Visier. Die Biden-Regierung hätte versucht, Menschen einzuschüchtern, die beispielsweise behauptet haben, dass das Corona-Virus durch Labor-Unfall in die Welt getragen wurde.
Unter Trump werde jeder seine Meinung kundtun dürfen. "Es gibt einen neuen Sheriff in der Stadt", ruft Vance. Er versuche es mal mit Humor, kündigt Vance dann an. "Wenn die amerikanische Demokratie zehn Jahre Schimpftiraden von Greta Thunberg überlebt, dann haltet ihr auch ein paar Monate Elon Musk aus." Die Lacher halten sich in Grenzen.
Es ist ein Vortrag, den viele nicht so schnell vergessen werden, der auch für die - auf eine lange Geschichte zurückblickende - Münchner Sicherheitskonferenz einmalig ist.

Bundespräsident Steinmeier hat deutliche Kritik am Kurs der US-Regierung unter Präsident Trump geübt.
Steinmeier kritisiert die USA
Zuvor hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den US-Amerikanern ins Gewissen geredet und kritisiert, dass die USA etablierte Regeln der internationalen Ordnung nicht mehr beachten würden. Auch wenn Vance nicht auf Steinmeier eingeht, seine Message ist: In Sachen Regeln und Normen solltet ihr erst mal vor der eigenen Haustür fegen.
Joe Biden hatte seine Rede auf der Sicherheitskonferenz 2021, die Corona-bedingt digital stattfand, unter die Überschrift gestellt: "Die transatlantische Partnerschaft ist zurück." In den Jahren danach führte seine Vizepräsidentin diesen Geist fort und beschwor die gute Zusammenarbeit, die gemeinsamen Werte.
Würde man eine Überschrift für Vances Rede suchen, dann wäre das wahrscheinlich: "Kümmert euch mal um eure Demokratie, alles andere ist nicht wichtig." Zum Abschied gibt es noch einmal Applaus, wenn auch nur höflichen. Vance schüttelt noch ein paar Hände und verschwindet dann durch eine Hintertür. Einige im Raum bleiben noch sitzen und schauen entgeistert auf das leere Podium.