
Schwarz-roter Koalitionsvertrag "Den anderen auch mal glänzen lassen"
Der Koalitionsvertrag ist ausverhandelt, doch Union und SPD bleibt noch viel Spielraum für die Ausgestaltung, sagt Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp im Interview. Wichtig sei für die künftige Koalition, sich nicht öffentlich zu streiten.
tagesschau24: Wer hat sich stärker durchgesetzt - Union oder SPD?
Sabine Kropp: Nun hat die SPD ja bereits vor dem Abschluss des Koalitionsvertrages ihre Punkte machen können. Zumindest einige, nämlich in Form der Anhebung der Schuldengrenze und der Aufnahme von Sondervermögen.
Und nun sieht man, dass Friedrich Merz unter dem Druck - auch der eigenen Basis - noch einige Punkte der CDU im Koalitionsvertrag zur Geltung bringen konnte. Zum Beispiel im Bereich der Migrationspolitik, aber eben auch der Entlastung für die Wirtschaft.

Auch der Bundestag ist "in der Pflicht"
tagesschau24: Kann Merz sein Versprechen von einem härteren Kurs bei der Migration so halten, wie er es angekündigt hat?
Kropp: Nun sind einige Punkte enthalten - zum Beispiel Aussetzung des Familiennachzugs, verstärkte Rückführungen, die Rücknahme der Einbürgerung nach drei Jahren, die CDU-Politik verdeutlichen.
Wie das umgesetzt wird, das wird man sehen. Denn die Koalitionsziele, die im Koalitionsvertrag festgehalten sind, bedürfen dann auch der Durchsetzung im politischen Alltag. Und da steht teilweise dann nicht nur die Koalition als Verantwortliche in der Pflicht, sondern eben zum Beispiel auch der Bundestag und damit andere Parteien.
tagesschau24: Glauben Sie, die Ziele, die wir da heute gehört haben, werden sich gar nicht alle so durchsetzen lassen, wie sie im Koalitionsvertrag stehen?
Kropp: Ich glaube, es ist eine irrige Annahme zu glauben, dass die Koalitionsverträge, die wir jetzt dargeboten bekommen, wirklich eins zu eins umgesetzt werden können.
Koalitionsverträge sind per se unvollständig, sie sind politische Verträge und sie können nicht eins zu eins abgearbeitet werden. Schon deswegen, weil sich die Rahmenbedingungen ändern und weil eben auch andere Akteure im Spiel sind. Zum Beispiel die Landesregierungen, die ja auch von den Grünen mit bestückt werden.
"Es ist keine Große Koalition mehr"
tagesschau24: Wenn die schwarz-rote Koalition alles erst mal so angehen würde, wie es im Koalitionsvertrag steht, können sie dann den Politikwechsel, den Merz ja im Wahlkampf versprochen hat, erkennen?
Kropp: In Teilen sind die Weichen dafür gestellt. Das betrifft zum Beispiel auch einen Teil der Verteidigungspolitik mit einer verstärkten Rüstung. Man geht aber nicht gleich zum Beispiel zur Wehrpflicht über.
In der Wirtschaftspolitik kommen Steuervergünstigungen, aber teilweise zeitversetzt. Also hier hat man auch noch etwas Zeit.
Und man wird sehen können, inwieweit die Handlungsfähigkeit des Staates verbessert werden kann. Wir haben zum ersten Mal ein Digitalministerium und ein Ministerium für Staatsmodernisierung. Aber das bedarf dann eben auch einer anderen Regierungsorganisation. Das heißt, da sind noch einige Schritte zu gehen.
tagesschau24: Die Ampelregierung hat sich ja als Fortschrittskoalition beschrieben. Können Sie denn jetzt schon erkennen, für was diese neue Regierung steht?
Kropp: Ja, es standen heute einige Begriffe im Raum während der Pressekonferenz. Das heißt zum Beispiel Konsolidierung, aber eben auch Aufbruch, eine Modernisierung des Staates. Das waren solche Begriffe, die hier ins Spiel gebracht wurden.
Es ist keine Große Koalition mehr. Es ist eigentlich eine relativ gewöhnliche kleine Gewinnkoalition aus zwei Parteien. Und die spannende Frage wird sein, inwieweit die beiden Parteien ihre Schnittstellen, die sie sich erarbeitet haben, in eine praktische Politik umsetzen können.
"Nicht vor laufenden Kameras streiten"
tagesschau24: Wir wissen ja noch alle, wie die Ampelregierung auseinandergegangen ist, nämlich im Streit. Was muss denn diese neue Regierung unbedingt anders machen?
Kropp: Sie muss das, was sie in den vergangenen Tagen ganz gut hinbekommen hat, nämlich Vertraulichkeit zu wahren und mit Lösungen an die Öffentlichkeit zu treten weiterbetreiben. Also sich nicht vor laufenden Kameras streiten und damit auch die Arbeitsgrundlage beschädigen. Und sie muss versuchen, den jeweils anderen auch einmal glänzen zu lassen in den jeweiligen Ressorts.
Wir werden sehen, wie das gelingt. Die SPD hat mit Finanzen und Justiz zwei Ressorts mit einer gewissen Blockademacht innerhalb des Kabinetts. Damit wird sie verantwortlich umgehen müssen. Und umgekehrt muss die Union versuchen, zum Beispiel im Bereich der Sozialpolitik und bei den Themen, die der SPD am Herzen liegen, die SPD auch zum Zuge kommen zu lassen.
tagesschau24: Die AfD stellt die größte Fraktion in der Opposition. Mit der Linken hat sie sogar eine Sperrminorität bei Verfassungsänderungen. Welchen Einfluss wird das denn auf die Regierung haben?
Kropp: Nun hat man das Thema Schuldenbremse beziehungsweise die Sondervermögen ja bereits abgeräumt. Aber es stehen noch einige andere Themen ins Haus, zum Beispiel wenn es um die Handlungsfähigkeit des Staates geht. Stichwort Staatsreform. Vielleicht auch ein Nachjustieren im Bereich des Föderalismus.
Hierfür braucht man Zweidrittelmehrheit und damit eben auch voraussichtlich die Linke. Das wirft schon Schatten auf die Handlungsfähigkeit dieser Koalition. Und da wird auch die CDU über ihren Schatten springen und zum Beispiel auf die Linke zugehen müssen.
"Die eine oder andere Überraschung" bei den Ministerposten
tagesschau24: Zur Personalfrage, wer eigentlich welches Ministeramt bekommt. Da wurden jetzt noch keine konkreten Namen genannt. Aber was glauben Sie denn: Wer werden die prägenden Figuren dieses Kabinetts sein?
Kropp: Nun, voraussichtlich sind es diejenigen, die auch in den letzten Wochen gewisse Funktionen innehatten. Ich denke, Lars Klingbeil wird voraussichtlich auf das Finanzressort zugreifen und Vizekanzler werden. Thorsten Frei wird wahrscheinlich das Kanzleramt bekommen.
Und dann gibt es sicherlich die eine oder andere Überraschung. Zum Beispiel bei der Frage: Wer wird Digitalministerin oder Digitalminister? Da gibt es sicherlich noch den einen oder die andere, die wir noch nicht auf dem Schirm haben. Beim Bereich Wirtschaft könnte man sich Carsten Linnemann vorstellen.
Aber wie gesagt, das ist etwas, was in den nächsten Wochen der Klärung bedarf und was sich die Parteivorsitzenden jetzt auch noch nicht aus der Hand geben lassen.
Das Gespräch führte Sandra Rieß, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Version redigiert.