Dieses Foto des russischen Verteidigungsministeriums soll einen Soldaten zeigen, der in der Region Kursk Fahnen auf einem Haus hisst. (März
interview

Krieg gegen die Ukraine "Für Russland ist es momentan relativ angenehm"

Stand: 11.04.2025 17:37 Uhr

Mit Blick auf die Bemühungen um Frieden in der Ukraine sei die Lage für Moskau gerade recht komfortabel, sagt Russland-Expertin Schübel bei tagesschau24. Das Motto: "einfach abwarten". Besonders interessiert schaue man derzeit auf Deutschland.

tagesschau24: Die Ukraine benötigt weitere Militärhilfen. Darüber wird heute im Rahmen der sogenannten Kontaktgruppe in Brüssel beraten. Die USA gelten aber nicht mehr als verlässlicher Partner für die Ukraine, auch wenn das der geschäftsführende Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius noch hofft. Wie wird das in Russland gesehen?

Leslie Schübel: Man muss sehen, dass wir uns als Europa zwei Fronten gegenübersehen, weil das transatlantische Bündnis im Grunde das ist, was die Ukraine und auch uns vor russischer Einflussnahme mehr geschützt hat als alles andere.

Und für Russland ist es der absolute Traum, dass dieses Bündnis zu bröckeln beginnt. Wir haben noch keine großen Einschnitte bezüglich NATO-Verpflichtungen gesehen. Aber je mehr Zweifel aufkommen, dass Artikel 5 - also das Versprechen der gemeinsamen Verteidigung - bröckelt, desto größer wird auch die Gefahr für uns.

Russland ist momentan im Fokus der Verhandlungen, die für die Trump-Administration extrem wichtig zu sein scheinen. Es scheint darum zu gehen, irgendetwas zu verhandeln, irgendein Ergebnis auf den Tisch zu bringen. Dabei scheint fast egal zu sein, worum es da geht. Für Russland ist es momentan relativ angenehm, da einfach abzuwarten.

Zur Person
Leslie Schübel ist Russland-Expertin bei der Körber-Stiftung. Die gemeinnützige Stiftung setzt sich nach eigenen Angaben unter anderem für die Verständigung zwischen Völkern sowie für die Auseinandersetzung mit geschichtlicher Herkunft und Identität ein.

"Moskau wünscht sich Gespräche mit dem würdigeren Gegner"

tagesschau24: Nun ist der US-Sondergesandte Steve Witkoff nach Russland gereist. Wie bewerten Sie das?

Schübel: Das passt in dieses Bild. Russland wünscht sich schon seit vielen Jahren - deutlich länger, als diese Begriffe bei uns verwendet und groß geworden sind - ein multipolares System. In diesem System darf eine Handvoll Großmächte die Welt quasi unter sich aufteilen.

Für Russland ist es genau das, was sich der Kreml, was sich Putin gewünscht hat, auch zu Beginn dieser Invasion: Nicht mehr mit der Ukraine zu sprechen, noch nicht mal mit der EU, sondern direkt mit dem aus russischer Sicht würdigeren Gegner bzw. würdigeren Akteur - den USA.

"Wichtig ist die Unterstützung auf dem Schlachtfeld"

tagesschau24: Wie sieht man in Russland das Engagement der anderen Partner der Kontaktgruppe, also Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland?

Schübel: Das, was im größten russischen Interesse liegt - das sieht man auch daran, dass wir schon sehr lange eine hybride Kriegsführung von Russland erleben mit Desinformationen -, ist ein uneiniges Europa. Querelen, Streit - das ist genau das, was Putin in die Hände spielt.

Dass sich momentan europäische Länder zusammensetzen und sagen: "Wir müssen das auffangen, was von den USA fehlt", ist ein sehr wichtiger Schritt. Allerdings hat man den Eindruck, dass oft auf die Lösung nach möglichen Verhandlungen geschaut wird.

Ich würde sagen, am wichtigsten ist es erstmal - da ist das heutige Ergebnis der Kontaktgruppe relevant -, die Ukraine auf dem Schlachtfeld zu unterstützen. Damit es überhaupt zu Verhandlungen kommen kann, die Erfolgsaussichten auf einen Waffenstillstand haben.

"Moskau schaut genau auf deutsche Verteidigungsausgaben"

tagesschau24: Gestern gab es die Meldung, dass deutsches Kriegsgerät in der Ukraine nur bedingt einsetzbar ist. Das muss Russland doch erfreuen. Wie wird das da gesehen?

Schübel: Das muss Russland erfreuen und das muss uns sehr zu denken geben. Wir sind in einer Situation, in der sein kann, dass ein durch die USA geradezu aufgezwungener "Frieden" in der Ukraine dazu führt, dass Russland sich neu gruppieren kann. Dann wäre nicht nur die Ukraine unter Angriff, sondern wahrscheinlich zunächst die Republik Moldau und dann sehr bald das Baltikum.

Das sind Momente, in denen es sehr wichtig ist, dass wir gutes Equipment haben, um uns selber verteidigen können. Da schaut Russland sehr genau hin, wie gut das funktioniert.

Und es wird sehr genau beobachtet, wie sich die neue Bundesregierung formiert, wie wieder investiert wird in Verteidigung und wie der Umgang mit diesem Thema ist: Wird das priorisiert? Kriegt man es hin, dass die Bevölkerung dahinter steht und sagt "Wir sehen eine sehr ernsthafte Bedrohung"?

Ein Russland, das weiß, das es bei einem Angriff viel Gegenwind bekommt, ist deutlich weniger gefährlich als ein Russland, das mit wenig Widerstand rechnet, wie es in der Ukraine der Fall war. Das ist zwar eine andere Situation als bei uns. Aber dennoch wird in Moskau sehr genau auf Deutschland geschaut.

Russland wird weiter massiv aufrüsten

tagesschau24: Der höchste Offizier der Bundeswehr, General Carsten Breuer, hält Russland für fähig, in fünf Jahren NATO-Länder anzugreifen. Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Schübel: Man muss schon sehen, dass Russland momentan sehr gebunden ist in der Ukraine. Da sind keine Kräfte frei, irgendjemand sonst anzugreifen.

Je nachdem, ob die Ukraine dem standhalten kann, halte ich es für nicht ausgeschlossen, dass die russische Wirtschaft massiv investiert in Verteidigung und die Situation dann in fünf Jahren eine ganz andere sein könnte als jetzt.

Das hängt aber sehr stark damit zusammen, wie das Verhältnis mit den USA ist. In fünf Jahren werden wir - sollte die amerikanische Demokratie nicht komplett in die Brüche gehen - einen anderen amerikanischen Präsidenten haben. Niemand weiß, wie es dann aussieht.

Unter dem nuklearen Schutzschirm der NATO und der USA muss man sich deutlich weniger Sorgen machen. Der Schutz ist aber nicht naturgegeben. Und Russland wird weiter massiv aufrüsten, das steht außer Frage.

"Russland würde so einen Waffenstillstand nicht unterzeichnen"

tagesschau24: Gestern traf sich im NATO-Hauptquartier in Brüssel die sogenannte Koalition der Willigen. Wie reagiert Russland auf eine mögliche europäische Absicherung des Friedens?

Schübel: Russland würde so einen Waffenstillstand nicht unterzeichnen. Putin hat sehr schnell klar gemacht, dass er strikte Bedingungen dafür hat, dass überhaupt irgendetwas unterzeichnet wird. Russland hat momentan kein Interesse an so einem Abkommen.

Aber für Moskau ist es wichtig, als Verhandler dazustehen und nicht als Verhinderer. Russland hat daher Interesse daran, Selenskyj als Verhinderer dastehen zu lassen. Deswegen wird auch auf Themen wie die Schifffahrt im Schwarzen Meer und die Angriffe auf die Energieinfrastruktur gepocht: Weil das Themen sind, in denen die Ukraine ein bisschen die Oberhand hat gegenüber Russland. Die Ukraine ist gleichzeitig gezwungen, kleine Zugeständnisse zu machen, wegen des Drucks aus den USA.

Natürlich ist es nicht im russischen Interesse, dass die Ukraine stabilisiert und militärisch gehalten wird. Das kann Putin nicht gefallen. Allerdings ist das der einzige Weg, auf dem es zu einem langfristigen und stabilen Frieden kommen kann.

Die Fragen stellte Kirsten Gerhard. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung redaktionell bearbeitet

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 11. April 2025 um 14:00 Uhr.