Ein zerstörtes Wohnhaus in Krywyj Rih (Ukraine). (Archivbild: 04.04.2025)

Massive russische Luftangriffe Die ukrainische Flugabwehr kommt an ihre Grenzen

Stand: 11.04.2025 11:14 Uhr

Russland verstärkt seine Luftangriffe auf die Ukraine - und wendet neue Taktiken an. Die ukrainische Flugabwehr ist häufig überfordert. Vor allem ballistische Raketen sind ein Problem.

Von Florian Kellermann, WDR

Der russische Raketenangriff auf die südukrainische Großstadt Krywyj Rih vor einer Woche war einer blutigsten in diesem Jahr. 20 Menschen starben, darunter neun Kinder. Inzwischen ist es ein Überwachungsvideo aus dem Restaurant publik geworden, das erklärtes Ziel der Attacke war - zum Zeitpunkt des Einschlags. Keine Spur von einem Offizierstreffen, wie Russland behauptete.

Keinesfalls sei es es ein militärisches Ziel gewesen, sagt auch der russische Militärexperte Jurij Fjodorow im russischen Exilsender The Breakfast Show: "Das ist eine Lüge, wie sie für die russische Staatsführung typisch ist. Hier ging es wohl nur darum, die ukrainische Öffentlichkeit aufzuwühlen. Sie soll Druck auf die ukrainische Staatsführung ausüben, damit die vor Russland kapituliert." Direkt neben dem Restaurant befindet sich ein Spielplatz, daher die große Zahl an getöteten Kindern.

Hunderte Raketen und Kampfdrohnen

Der Angriff auf Krywyj Rih ist ein Beispiel für den Luftterror, den Russland in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich verstärkt hat. Die ukrainische Raketenabwehr sei schlicht überfordert, analysiert der ukrainische Luftwaffenexperte Valerij Romanenko: "Die russischen Angriffe sind massiver geworden, und sie bestehen aus verschiedenen Komponenten."

Beim ersten Angriff im Februar 2022 seien 67 Raketen auf die Ukraine abgeschossen worden, so Romanenko. "Jetzt sind es oft mehr als 120 Raketen auf einmal - und in einem Angriff oft noch 100 bis 200 Kampfdrohnen." Trotzdem gelinge es der Flugabwehr, 90 Prozent der Marschflugkörper und 95 Prozent der Kampfdrohnen abzuschießen. Daran sind auch deutsche Flugabwehrsysteme vom Typ Iris-T maßgeblich beteiligt.

Ein großes Problem sind ballistische Raketen

Doch dann gibt es noch die sogenannten ballistischen Raketen, von denen eine in Krywyj Rih einschlug. Im Gegensatz zu Marschflugkörpern fliegen sie nicht relativ nahe über der Erdoberfläche. Ballistische Raketen haben eine gekrümmte Flugbahn. Sie steigen erst steil auf, auf etliche Kilometer Höhe, um dann wiederum fast senkrecht auf ihr Ziel herabzustürzen.

Experten sagen, dass sich bisher nur das US-amerikanische System Patriot als wirksam gegen solche Raketen gezeigt habe. Von dem habe die Ukraine aber bei weitem nicht genug, sagt Jurij Ihnat, Pressesprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte:

"Eine Batterie Patriot-Raketen kann einige Dutzend Kilometer abdecken", erklärt Ihnat. Aber: Die Stadt Krywyj Rih ist extrem langgestreckt, sie ist mehr als 60 Kilometer lang. "Wir bräuchten also allein für Krywyj Rih mehrere Batterien. Wir bräuchten sehr viel mehr als wir haben, um im Norden und Osten einen echten Schutzschild aufzubauen, um alle Angriffe auf unsere Zivilbevölkerung abwehren zu können."

Selenskyj forderte 25 Patriot-Systeme

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach früher davon, dass die Ukraine 25 Patriot-Systeme bräuchte, mit jeweils sechs bis acht Raketen-Batterien. Experten gehen davon aus, dass sie über fünf Systeme verfügt. Drei davon hat Deutschland geliefert.

Dass die Ukraine nicht genug Systeme hat, ist das eine Problem. Das andere: Russland setze seine ballistischen Raketen heute effektiver ein als früher, so der Luftwaffenxperte Romanenko: "Diese ballistischen Raketen fliegen jetzt auf einer veränderten Flugbahn. Durch den Einbau zusätzlicher Räder und Motoren bekommen sie eine unvorhersehbare Flugbahn. So wird es schwieriger, sie abzufangen."

Außerdem würden die Raketen im Fallen bis zu sechs Attrappen abschießen, die auch wie ballistische Raketen aussehen sollen, so Romanenko. "Nur erfahrene Soldaten, die das Patriot-System bedienen, können das echte Ziel von den falschen Zielen unterscheiden."

Der Krieg ist Materialschlacht und technologischer Wettlauf in einem. Auf beiden Gebieten mitzuhalten, ist für die Ukraine eine Frage von Leben und Tod.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 11. April 2025 um 11:47 Uhr.