Ekrem İmamoğlu (Archivbild)

Grünen-Politiker in der Türkei Deutscher Beistand für İmamoğlu?

Stand: 09.04.2025 16:20 Uhr

Die deutschen Bemühungen um eine Freilassung des türkischen Oppositionspolitikers İmamoğlu sind überschaubar. Grünen-Politiker reisten nun in die Türkei - und gerieten in einen Schlagabtausch mit Erdoğans Partei.

Von Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Die fünf Studenten, die sich an diesem Nachmittag in Istanbul mit der Grünen-Parteispitze treffen, haben alle Angst. Keiner möchte seinen Namen nennen, keiner möchte Fotos machen. "So leicht, wie man İmamoğlus Diplom aberkannt hat, kann mir das ja auch passieren", sagt einer mit blonden, kurzen Haaren.

Ein anderer junger Mann mit dunklen Locken zeigt sein Handy mit einem Foto seiner Kommilitonin. Ihre Beine sind mit dunkelblauen Hämatomen übersät. "Das ist die Polizeigewalt von Erdoğan." 299 Studenten säßen immer noch im Gefängnis. Ihr einziges Vergehen, so sagen sie: Ihr lauter Protest gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu wegen angeblicher Korruption im März.

Ein gemeinsamer Gegner

Die Demonstrationen sind die größten seit zehn Jahren. İmamoğlu gehört zur traditionsreichen CHP, einer der deutschen Sozialdemokratie nahestehenden Partei.

Die Studenten selbst sind keine CHP-Anhänger, aber sie haben einen gemeinsamen Gegner: die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan. Er und seine AKP missbrauche die Justiz, um einen gefährlichen Konkurrenten aus dem Weg zu schaffen. Sie nennen es einen "kriminellen Anschlag auf die Demokratie".

Kopfnicken und ein betroffenes Gesicht bei Grünen-Chef Felix Banaszak. Auch Terry Reintke, ehemalige Spitzenkandidatin bei der Europawahl, und der Bundestagsabgeordnete Max Lucks hegen keine Zweifel an den Darstellungen.

Grüne solidarisieren sich mit Opposition

Es deckt sich mit dem, was der Vorsitzende der CHP, Özgür Özel, einen Tag später in Ankara erzählt. Der Konferenzsaal in der Parteizentrale der CHP ist mit frischen Blumen geschmückt, Kekse und Getränke stehen auf dem Tisch. Der deutsche Besuch sei wichtig, man dürfe nicht wegsehen.

Banaszak war schon oft in der Türkei, aber es ist seine erste Auslandsreise als Parteivorsitzender. "Wir wollen ein Signal nach Deutschland senden, weil wir Heimat im Plural denken", sagt Banaszak mit Blick auf die vielen Deutschtürken zu Hause. "Wir sind solidarisch mit der türkischen Zivilgesellschaft und der Opposition."

Für die eines feststeht: Erdoğan versuche einen Putsch. "Erdoğan ist demokratisch an die Macht gekommen. In diesen Zug ist er eingestiegen. Jetzt steigt er aus, um an der Macht zu bleiben", sagt Özel. Es sind weitere Kundgebungen geplant, schon an diesem Mittwoch.

Parteizentrale der CHP in Ankara.

Die Parteizentrale der CHP in Ankara: Hier trafen sich Grüne und die Parteivorsitzenden.

Geringe Bemühungen um eine Freilassung

All das kann Erdoğan durchaus unter Druck setzen. Seit Beginn der Proteste hat die Wirtschaft in der Türkei gelitten, die türkische Lira verlor noch einmal an Wert. Banaszak verspricht, in Deutschland Druck zu machen - auch auf die künftige Bundesregierung. "Friedrich Merz muss seine Kontakte zur AKP nutzen", als konservative Partei liege der Ball dort - nicht bei ihnen in der Opposition.

Doch bei der CDU sei es auffällig ruhig, bemerkt Terry Reintke. "Ursula von der Leyen findet gegenüber Russland sehr deutliche Worte, aber hier?"

Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Verhaftung İmamoğlus als "bedrückend" bezeichnet. Größere Bemühungen, um auf die Freilassung hinzuwirken, gab es allerdings nicht.

Die Türkei ist für Deutschland schon allein wegen des Flüchtlingsdeals enorm wichtig. Auch als zweitgrößter Truppensteller innerhalb der NATO nimmt Erdoğan eine Schlüsselrolle ein, auch oder gerade wegen seiner bilateralen Kontakte in Russlands Krieg gegen die Ukraine.

"Erdoğan hat seine Karten geopolitisch extrem gut gespielt", so Reintke. Das sei allen politischen Akteuren bewusst.

Schwierige Gespräche mit Erdoğans AKP

Die Gespräche in der Türkei machen all das nicht einfacher. Die Delegation will keinen zu starken Druck ausüben, aber doch klar machen, wie sie die Dinge sehen - auch gegenüber der AKP. Der Empfang im Konferenzsaal von Erdoğans Partei ist nüchtern, aber freundlich.

Zafer Sirakaya, stellvertretender Parteivorsitzender der AKP, spricht akzentfrei Deutsch. Er ist als Gastarbeiterkind in Herne geboren. Rechts und links neben ihm ebenfalls AKP-Mitglieder mit deutschen Wurzeln. Sie machen klar: Wir repräsentieren nicht nur die Türken hier, sondern auch in Deutschland.

"Wir machen uns Sorgen um die rechtsstaatlichen Entwicklungen in der Türkei", sagt Banaszak. Sirakaya nimmt die Konfrontation mit einem Lächeln auf: "Sorgen Sie sich nicht nach der Verurteilung von Marie Le Pen?" Auch hält Sirakaya den Grünen ein altes Zitat vor: "Sie haben Erdoğans Wiederwahl als 'herben Rückschlag' bezeichnet. Demokratie bedeutet doch nicht, dass die Wunschpartei gewinnt."

Banaszak hält immer wieder dagegen. Es folgt Schlagabtausch auf Schlagabtausch. 60 Minuten - das Grünen-Team wirkt danach erschöpft wie nach einem Boxkampf.

Delegation der Grünen im Gespräch mit Zafer Sirakaya

Angespannte Stimmung: Die deutsche Delegation diskutiert mit AKP-Vertretern.

Mehr als Symbolik ist nicht drin

Das Lächeln bei der Verabschiedung wirkt auf beiden Seiten gequält. Die Grünen müssen sich erstmal sammeln. "Das war intensiv", sagt Lucks. Die Hoffnung auf einen Besuch bei İmamoğlu im Gefängnis endet hier ebenfalls. "Wir kommen wieder, uns ist das wichtig", sagt Banaszak kurz vor der Abreise. Mehr als das kann er nicht anbieten.

Selbst wenn es nur Symbolik ist - auch darauf komme es jetzt an. Es gehe eben nicht nur um die Türkei, sondern auch darum, dass so etwas nicht zur Normalität in Europa und anderen Teilen der Welt werden dürfe. Wenn es das nicht schon längst ist.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. April 2025 um 11:59 Uhr.