Bundestagswahl 2025
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Wahlkampf Wie die Linke es aus der Bedeutungslosigkeit schaffte
Viele hatten sie schon abgeschrieben - nun sieht es so aus, als könnte die Linke erneut in den Bundestag einziehen. Woran liegt das? Ein Blick auf den Wahlkampf liefert Erklärungen.
Jan van Aken ist in Hochstimmung. Der Spitzenkandidat der Linken, der vor diesem Wahlkampf deutschlandweit relativ unbekannt war, schwärmt begeistert von den Wahlkampfveranstaltungen seiner Partei. "Eine Stimmung wie bei den Backstreet Boys! Wir müssen überall Zeit für Selfies einplanen, bei mir eine Stunde, bei Heidi mindestens zwei."
Heidi, das ist die zweite Spitzenkandidatin der Linken: Heidi Reichinnek, 36, aus Niedersachsen. Die Frau ist in den letzten Wochen des Wahlkampfes zu einem Internet-Phänomen geworden. Ausschnitte ihrer Reden im Bundestag, ihre Auftritte bei Instagram und TikTok, haben millionenfache Klicks. Geschätzte 29 Millionen haben auf Social Media ihre empörte Rede im Bundestag gesehen, nachdem die Union mit der AfD zusammen abgestimmt hatte.
Was ist da passiert mit der Partei, die längst aufgegeben war, auf die kaum noch jemand etwas gegeben hätte und in der viele Parteimitglieder selbst nicht mehr daran geglaubt hatten, dass es nochmal mit einem Einzug in den Bundestag klappt?
Konzentriert auf wenige Themen
Die Linke konzentriert sich auf wenige Themen. Im Wahlkampf geht es um zu hohe Mieten und zu hohe Preise im Supermarkt. Die Partei bieten mit Apps konkrete Hilfe, wenn man glaubt, Opfer von Mietwucher oder zu hohen Heizkosten geworden zu sein. Und die Parteivorsitzenden haben ihr Gehalt auf 2.850 Euro reduziert, so viel wie ein Facharbeiter in Deutschland im Durchschnitt verdient.
Außerdem streitet die Partei nicht mehr oder trägt zumindest interne Unstimmigkeiten nicht mehr nach draußen. Jan van Aken sagt zur Abspaltung von Sahra Wagenknecht: "Es mussten 200 gehen, damit 20.000 neue kommen konnten." Fakt ist: Die Linke ist jetzt knapp 18 Jahre alt und hatte noch nie so viele Parteimitglieder. Das Durchschnittsalter derer, die neue in die Linke eintreten, liegt bei etwa 28 Jahren.
Gegen restriktive Migrationspolitik
Die Linke ist gegen restriktivere Maßnahmen bei der Migration und steht damit im politischen Parteienspektrum relativ allein da. Aber gerade das macht sie für einige Menschen attraktiv. Insbesondere in den Großstädten, insbesondere bei Studierenden. Das reicht nicht, um in ganz Deutschland ein zweistelliges Wahlergebnis zu erlangen, aber das reicht nach jetzigem Stand, um die Linke über die Fünf-Prozent-Hürde und damit in den nächsten Bundestag zu bringen.
Der öffentliche Streit, ob es richtig war, dass die Union - und damit der mutmaßlich nächste Kanzler - gemeinsam mit der AfD im Bundestag abgestimmt hat, hat der Linken dabei nur geholfen.
Strategisches Vorgehen im Haustürwahlkampf
Um für mögliche Wählerinnen und Wähler (wieder) nahbar zu werden, setzt die Linke auf Haustürwahlkampf. Ein Samstagmorgen im Februar in Berlin-Neukölln, strahlender Sonnenschein, aber eiskalt. In einem Willkommenscafé treffen sich Menschen, die an diesem Wochenende die Linke bei ihren Haustürgesprächen unterstützen wollen.
Obwohl man in diesen Tagen schon weiß, dass die Linke einen ungeahnten Aufschwung erlebt, werden die Organisatoren überrascht, denn es kommen hunderte Helfer nach Neukölln. Nicht nur aus benachbarten Berliner Bezirken, aus ganz Deutschland reisen insgesamt 640 Menschen an, beispielsweise aus Bremen, Leipzig oder selbst dem weit entfernten Stuttgart.
Auch hier ist das Vorgehen strategisch. Die Partei hat mehrere Wahlkreise identifiziert, in denen sie sich gute Chancen ausrechnet auf Direktmandate und deswegen in der heißen Phase des Wahlkampfs besonders sichtbar sein will. Berlin-Neukölln ist einer davon.
Die Motivation, Politik "anders" zu machen
Elia und Klara sind extra aus Göttingen gekommen, um mit Menschen an den Haustüren über ihre Probleme zu sprechen. Klara ist 20 Jahre alt und studiert Physik, an diesem Samstag ist sie noch kein Mitglied der Linken, ein paar Tage später wird sie aber in die Partei eintreten. Elia ist 24 Jahre alt und studiert Philosophie und Politikwissenschaften, er will Politik "anders machen" und ist seit anderthalb Jahren Mitglied der Partei.
Beide treibt der Rechtsruck um, die starken Stimmen für die AfD und damit einhergehend ein Gefühl von Ohnmacht. Sie wollen etwas tun, ein Zeichen setzen. Außerdem glauben sie an die Idee von Solidarität und Gemeinschaft - und das scheinen sie auch auszustrahlen, denn viele Menschen sind offen für ein Gespräch, nehmen sich an ihrer Wohnungstür ein paar Minuten Zeit.
Beispielsweise ein Mann um die 40, der zuallererst sagt, dass er gar nicht wählen könne, er sei kein deutscher Staatsbürger. Ist doch egal, meint Klara, Nachbarn wären sie schließlich trotzdem. Sie fragt ihn, was ihm momentan Sorgen macht. Ein bisschen überrumpelt wirkt er, aber dann erzählt er, dass ihm die Lebensmittelpreise schlaflose Nächte bereiten. Er und seine Frau haben vier Kinder, er arbeitet als Bauarbeiter. Vor dem Ukraine-Krieg habe ein Wocheneinkauf für sechs Personen rund 150 Euro bis 180 Euro gekostet. Mittlerweile zahle er 250 Euro die Woche - für die Familie ein echtes Problem.
Kontakt zu den Menschen und ihren Problemen
Politikerinnen und Politiker der Linken können von zig ähnlichen Beispielen berichten, die Partei hat aus diesen Gesprächen heraus ihr Wahlprogramm entwickelt. Und selbst wenn nicht jeder die Linke nach so einem Gespräch wählen will - der Kontakt ist plötzlich wieder da.
Momentan sieht es so aus, dass die Linke es mit einer Mischung aus Haustürwahlkampf, altbekannten Gesichtern der "Mission Silberlocke" und einer erfolgreichen Kampagne auf Instagram und TikTok geschafft hat, sich komplett neu aufzustellen. Damit ist sie für ein deutliche jüngeres, linkes Wählerpotenzial attraktiv geworden. Menschen, die nicht davon abgeschreckt sind, dass der Parteivorsitzende auch über Enteignung von Unternehmen spricht und will, dass Grund und Boden für Wohnungen in staatliche Hand kommt.