
EU-Kommission stellt Strategie vor Europas "Jetzt-oder-nie-Moment" für KI-Unabhängigkeit
Europa will in der Entwicklung und Anwendung Künstlicher Intelligenz weniger abhängig von den USA und von China werden. Die Aufholjagd ist groß. Die EU-Kommission hat dafür nun eine ehrgeizige Strategie entwickelt.
Wie aktuell in vielen Politikbereichen gilt auch in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) in Europa die Devise: Unabhängiger werden vom Rest der Welt, besonders aber vom Marktführer USA. Dort werden aktuell 70 Prozent aller KI-Modelle weltweit entwickelt.
Ein Treiber in Europa sollen die sogenannten Gigafabriken sein, erklärte nun EU-Digitalkommissarin Henna Virkkunen: "Es ist ein Jetzt-oder-Nie-Moment für die Europäische Union. Wir haben viele Stärken: Wir haben Tausende von Startups und die stärkste Forschungsgemeinschaft der Welt. Was ihnen aber oft fehlt für das Training von KI-Systemen, ist der Zugang zu sehr leistungsstarken Datenzentren und Rechenkapazitäten."
Voraussichtlich fünf europäische Gigafabriken sollen diese Lücke füllen. Potentielle Standorte können sich ab jetzt in Brüssel bewerben. Große Chancen rechnet sich etwa Jülich in Nordrhein-Westfalen aus - dort entsteht zunächst eine von europaweit 13 KI-Fabriken. Diese sind eine Art Ökosystem aus Rechnerkapazitäten, Datenspeicher, und starkem, möglichst grünem Energiezugang, sowie einem geeigneten Umfeld für Forscher und Unternehmer.
Erster großer Schritt, weitere sollen Folgen
Der Standort Jülich könnte nun aber von einer "normalen" KI-Fabrik direkt zur Gigafabrik aufgestockt werden. Der Unterschied: Die Superzentren haben mindestens die vierfache Kapazität an Rechenleistung und Datenspeicher. Sie sind damit geeignet für das Training von besonders leistungsfähigen KI-Modellen, etwa für die Forschung, für komplexe Industrieprozesse und in der Medizin.
Ein weiterer Unterschied: Ihr Aufbau kostet wohl fünf bis sechs mal mehr, so Digitalkommissarin Virkunnen: "Für die Gigafabriken rechnen wir mit einem Betrag von rund 20 Milliarden Euro - also rund vier Milliarden für jede einzelne. Und da rufen wir jetzt auch private Investoren dazu auf, sich uns anzuschließen. Im Juni werden wir dann aus den Interessenbekundungen auswählen."
Für die EU-Kommission ist das eine großer Schritt in Richtung KI-Unabhängigkeit - aber viele weitere müssen noch gegangen werden. So will Brüssel etwa die Kapazität der europäischen Datenzentren in den kommenden fünf Jahren verdreifachen. Zudem werde sie noch in diesem Jahr eine "Datenunion-Strategie" vorstellen, so Virkunnen. Damit soll ein "Binnenmarkt für Daten" geschaffen werden, um KI-Fabriken mit qualitativ hochwertigem Material zu versorgen.
EU will Chip-Produktion ausbauen
Ein kritischer Punkt aber ist und bleibt die Chip-Produktion. Europa hinkt bei den strategisch wichtigen Halbleitern hinterher - allen voran weit hinter den USA, aber auch hinter China und Japan. Schon der ehemalige US-Präsident Joe Biden hatte den Export von leistungsfähigen Chips mit allerlei Hürden versehen.
Die Sache sei mit der Trump-Regierung nicht leichter worden, so EU-Kommissarin Virkkunen: "Aber wir arbeiten daran - eigentlich wäre es doch eine sehr gute Handelspartnerschaft. Denn wir sind bereit, diese KI-Chips zu kaufen, und der Bedarf ist riesig."
Gleichzeitig müsse Europa natürlich die eigenen Kapazitäten aufbauen. "Wir verstärken die Maßnahmen im Chips-Act. Wir müssen in allen kritischen Sektoren perspektivisch stärker sein. Kurzfristig ist es natürlich etwas, worüber wir jetzt auch mit den USA diskutieren", so Virkkunen.
Und hinterfragen wolle die EU-Kommission auch, ob es nicht die ein oder andere Lockerung im KI-Gesetz brauche, um den Einsatz von leistungsfähiger KI in Europa zu beschleunigen. Aktuell nutzen nur 13,5 Prozent der Unternehmen in Europa KI-Technologien. Es gebe also, meint die Digitalkommissarin, viel Luft nach oben.