Weltweit erstes KI-Gesetz "Europa hat geliefert"
Es ist das erste KI-Gesetz weltweit, das heute im Europaparlament zur abschließenden Abstimmung steht. Das Regelwerk für die Zukunftstechnologie schlechthin gilt schon jetzt als historisch. Doch viele Regelungen sind umstritten.
Künstliche Intelligenz ist quasi überall: in Texten, Bildern, in Videos im Netz. In der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen, im Krankenhaus, im Kundendienst, in der Spracherkennung oder bei der Auswertung von Klima-, Geo- und Finanzdaten. Und Europa ist nun der erste Kontinent, der dafür gewisse Regeln aufstellt.
"Europa hat geliefert. Kein Wenn, kein Aber - das sind die Regeln", sagt jetzt stolz der rumänische EU-Abgeordnete Dragoş Tudorache, der die Verhandlungen für das Parlament über Jahre mit angeführt hat.
Auf wenig bekanntem Terrain
Es ist Pionierarbeit im besten Sinne. Antworten mussten gefunden werden für Fragen, die konkret noch gar nicht bekannt sind. Und es mussten viele weitreichende Entscheidungen getroffen werden, betont Sergey Lagodinsky, der Verhandlungsführer der Grünen-Fraktion beim KI-Gesetz.
All dies zeigt, dass Europa ein Kontinent ist, der auch im digitalen Zeitalter den Puls der Geschichte spürt. Nun brauchen wir als nächstes mehr Investitionen und wir brauchen die Unterstützung der KI-Technologie 'made in Europe'. Das ist die nächste Herausforderung, und ja, wir nehmen sie an.
Die Grenzen bei der Strafverfolgung
Das gilt auch für die schwierige Frage, inwieweit Künstliche Intelligenz zur Überwachung im öffentlichen Raum eingesetzt werden darf. Viele EU-Staaten hatten sich weitreichende Maßnahmen gewünscht, vor allem zur Strafverfolgung.
Und so steht es nun im Gesetzestext: Biometrische Gesichtserkennung in Echtzeit an öffentlichen Plätzen ist in engen Grenzen erlaubt, etwa bei der Identifizierung von konkret gesuchten Personen bei schweren Straftaten wie Entführung, Menschenhandel, Vergewaltigung und bei akuter Terrorgefahr.
Aufgezeichnetes Material darf weitgehender zur Fahndung nach Verurteilten oder Verdächtigen genutzt werden. Zu weitgehend, findet die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn: "Bei Bürgerrechten konnten wir gegen die Mitgliedsländer kein Verbot biometrischer Echtzeitüberwachung erreichen, aber wichtige rechtsstaatliche Hürden einziehen."
Nicht auf Chinas Pfaden
Anderes verbietet das KI-Gesetz, allem voran das sogenannte "Social Scoring" - ein Verfahren, mit dem China seine Bürgerinnen und Bürger in Verhaltenskategorien einteilt. Europa aber erlaubt keine KI-Systeme, die Menschen nach Kriterien wie politische und religiöse Ansichten, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe in Gruppen einteilen.
Auch Unternehmer dürfen die Technologie nicht einsetzen, um die Gefühle ihrer Mitarbeiter - etwa im Einstellungsprozess - zu erfassen. Die Europaabgeordnete Hahn sagt, nun müsse "für unsere demokratische und wirtschaftliche Zukunft" weiter daran gearbeitet werden, dass Regierungen Künstliche Intelligenz nicht für Überwachung missbrauchten und dass KI-Fortschritt und Innovationen in Europa ein Zuhause habe.
Risiken und Pflichten
Vor zu viel Regulierung hatte deshalb auch die Bundesregierung in Brüssel gewarnt, die unter anderem den deutschen Champion im Bereich KI fördern will - das Unternehmen Aleph Alpha aus Heidelberg, das ein Basismodell für die KI-Spracherkennung baut; das sind Grundlagen, auf denen viele anderen Geschäftsmodelle und Unternehmen aufbauen können.
Solche Basismodelle werden künftig in der EU in Risikoklassen einsortiert. Ein höheres Risiko, etwa in Bezug auf Wahlen, kritische Infrastruktur oder Menschenrechte, bedeutet mehr Pflichten. Die zielen auf Transparenz, Risikoanalyse und das Dokumentieren der KI-Trainingsdaten.
Das könnte auch zu viel werden, mutmaßt der CDU-Europa-Abgeordnete Axel Voss: "Wir beschützen alles und jeden, aber verpassen dadurch ein bisschen Wertschöpfung durch Innovationen. Wir sollten bei der Umsetzung auch aufpassen, dass wir als Europäische Union nicht die globale KI-Knöllchenbehörde dieser Welt werden."
Eine Kennzeichnungspflicht kommt
Andere Schranken durch das KI-Gesetz dürften Verbraucherinnen und Verbraucher direkt betreffen: Entwicklerinnen und Entwickler müssen künftig klar kennzeichnen, wenn Texte, Bilder oder Videos im Netz und auf Social-Media-Plattformen auf Künstlicher Intelligenz beruhen.
Wie schwer das in der Praxis allerdings ist, zeigt die wahre Flut an sogenannten Deep Fakes. Prominenteste Beispiele: Videos, in denen etwa Popstar Taylor Swift in pornografische Szenen montiert worden ist. Oder die Stimme von US-Präsident Joe Biden, die fingiert beziehungsweise KI-generiert am Telefon dazu aufruft, nicht zu den Vorwahlen zu gehen.
All dies beschreibt die große Herausforderungen, auf die das AI-Gesetz zielt. "Wir sollten auch nicht glauben, dass unsere Arbeit jetzt auf einmal mit diesem Gesetz endet", sagt Axel Voss, auch rechtspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. "Wir müssen nämlich, anders als bei anderen Gesetzen, schneller Antworten und Anpassungen an Probleme und Entwicklungen finden."
Und vor allem mehr ins Machen kommen, mahnt der deutsche Start-up-Verband, der sich erleichtert zeigt, dass das Regelwerk nun steht. Und bis zur vollständigen Anwendung in den Mitgliedsstaaten kann es bis zu zwei Jahren dauern.