Klimawandel in den Alpen Wenn das Schmelzwasser fehlt
Im Alpenraum liegt auf den Bergen viel weniger Schnee als üblich. Damit erreicht im Frühling auch weniger Schmelzwasser das Tal. Erste Folgen für Wasserversorgung, und die Tier- und Pflanzenwelt sind spürbar.
Auf dem Tegelberg, auf rund 1730 Metern Höhe, stößt Frank Seyfried langsam die Sonde in den Schnee. Der Stab taucht keine 50 Zentimeter tief ein. Der Geschäftsführer der Tegelbergbahn schüttelt den Kopf. "Im langjährigen Mittel liegt um diese Jahreszeit hier oben rund ein Meter Schnee. Jetzt haben wir gerade einmal die Hälfte. Natürlich gibt es Schwankungen, aber die Tendenz zeigt eindeutig, dass es immer weniger wird."
Weniger Schnee heißt weniger Schmelzwasser
Die Auswirkungen reichen bis ins Tal. Denn wenn oben am Berg der Schnee fehlt, erreicht auch deutlich weniger Schmelzwasser die Flüsse und Seen. Das führt dazu, dass der Grundwasserspiegel weiter sinkt. Das ist betrifft den gesamten Alpenraum von Österreich über Liechtenstein und die Schweiz bis zurück nach Deutschland.
Auch am Bodensee macht sich das bemerkbar. Schmilzt der Schnee ab dem Frühjahr im Allgäu und in den Alpen, fließt das Wasser über den Rhein, die Bregenzer Ach, über die Leiblach, die Argen und die Schussen als Schmelzwasser in den See. Seine Pegel steigen dann konstant bis zum Sommer an. Eigentlich. Seit Jahrzehnten fällt aber immer weniger Schnee. Ergo: Auch immer weniger Schmelzwasser fließt in den Bodensee, dafür mehr Regenwasser übers ganze Jahr verteilt.
Pegel verteilen sich aufs ganze Jahr
Von Januar bis Dezember zeichneten die Pegel bisher grob eine Normalverteilungskurve: Links und rechts ist sie flach, in der Mitte ist der höchste Punkt, also: wenig Wasser im Januar, Höchststände Ende Juni/Anfang Juli, und wieder wenig Wasser im Dezember. Diese Kurve wird nun immer flacher. Wissenschaftler Martin Wessels vom Institut für Seenforschung in Langenargen sagt: "Es wird zu einem Angleichen der Wasserstände kommen." Die hängen zwar auch von anderen Faktoren ab, wie zum Beispiel von der Wasserkraftnutzung in den Bergen und vom Wachstum bestimmter Pflanzen, die Wasser aufstauen können.
Nichtsdestotrotz verändert diese Entwicklung die Ufer am Bodensee. Im vergangenen Jahr zum Beispiel waren die Pegel so niedrig, dass das Bodensee-Vergissmeinnicht erstmals im Sommer am Ufer frei lag. Die zarte Blume begann lila-weiß zu blühen, obwohl sie um diese Zeit normalerweise komplett mit Wasser bedeckt ist und nur einmal im Jahr im Frühling blüht.
Schmelzwasser als Hochwassergefahr
Wenn am Tegelberg im Ostallgäu der Schnee schmilzt, fließt das Wasser auch in den weniger als fünf Kilometer entfernten Forggensee. Der flächenmäßig größte Stausee in Deutschland wurde 1954 fertiggestellt und wird alljährlich über die Wintermonate um einige Meter abgelassen. Er soll Schmelzwasser aufnehmen, um Überflutungen entlang des Lechs bis hin zur Donau zu verhindern. Die Mengen sind enorm.
Fließen im Durchschnitt rund 60 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den Forggensee, kann diese Menge während der Schneeschmelze um das Zwanzigfache steigen - pro Sekunde fließen dann bis zu 1200 Kubikmeter Wasser in den See. Das entspricht etwa 10.000 vollgelaufenen Badewannen pro Sekunde.
Kraftwerke spüren den Rückgang
Weil die Schneedecke immer dünner wird, werde über die Jahre auch weniger Platz zum Auffangen benötigt, erklärt Theodorus Reumschüssel, Sprecher für Wasserkraft Deutschland bei Uniper. Das Unternehmen reguliert den Wasserspiegel am Forggensee und betreibt 22 Kraftwerke am Lech. Statt der erlaubten 15 Meter wurde der See in diesem Jahr um gerade einmal vier Meter abgesenkt. Wie sehr der Wasserspiegel im Forggensee ab- beziehungsweise aufgestaut wird, hängt von vielen Aspekten ab, etwa auch von der Stromerzeugung.
Laut Reumschüssel kann das Speicherkraftwerk Roßhaupten die Strommenge für 48.000 Haushalte liefern. Starke Regenfälle können weniger Schmelzwasser über das gesamte Jahr hinweg zwar teils ausgleichen, aber: Weniger Wasser heißt auch weniger Stromerzeugung. "Wir arbeiten mit dem Wasser, das uns zur Verfügung steht", so Reumschüssel.
Der Lech führt wenig Wasser - mit Folgen für Tiere und Pflanzen.
Der Lebensraum im und am Wasser wird kleiner
Weniger Schmelzwasser heißt aber auch weniger Lebensräume für die Pflanzen- und Tierwelt. Nicht weit vom Forggensee entfernt steht Thomas Frey, Regionalreferent für den Bund Naturschutz in Schwaben, barfuß im eiskalten Lech. Auch er macht sich Sorgen um das Leben am und im Fluss.
Durch Wassermangel würden die Stellen, die das ganze Jahr unter Wasser liegen, immer weniger - und der Lebensraum für Kleinstlebewesen wie Stein- oder Köcherfliegenlarven immer kleiner, so Frey. Die wiederum sind Nahrung für Wasservögel, Fledermäuse und Fische. Auch der Lebensraum am Lech-Ufer, wo Libellen und Amphibien zuhause sind, ändert sich laut Frey. Diese Zonen seien auf regelmäßige Überflutungen angewiesen. Und die gibt es meist nur, wenn im Frühjahr genügend Schmelzwasser aus den Bergen über die Flüsse in die Täler rauscht.