Hyposensibilisierung Wie Allergiker sich vor Insektengift schützen können
Rund drei Millionen Menschen in Deutschland haben eine Allergie gegen Bienen- oder Wespengift. Eine Hyposensibilisierung bietet effektiven Schutz, doch nur wenige Betroffene machen davon Gebrauch.
Der Frühling hat angefangen, und damit sind auch wieder viele Insekten unterwegs. Einige Allergiker in Deutschland dürfte das gar nicht freuen - rund eine Million Menschen haben hierzulande eine Allergie gegen Bienengift, doppelt so viele leiden an einer Allergie gegen Wespengift. Doch Fachleute schlagen Alarm: Nur ein Zehntel der besonders gefährdeten Allergikerinnen und Allergiker schützen sich mit einer Hyposensibilisierung.
Laut der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft ist die Insektengiftallergie die bei weitem häufigste Ursache für schwere allergische Reaktionen im Erwachsenenalter. Bis zu 40 Todesfälle nach einem Insektenstich werden jährlich in Deutschland erfasst. Um nicht immer ein Notfallset dabei haben zu müssen, können Betroffene eine Hyposensibilisierung machen, bei der der Körper an das Gift gewöhnt wird. Dadurch wird die Allergie zwar nicht geheilt, allerdings könnten die Symptome stark vermindert werden.
Wann spricht man von einer Allergie?
Voraussetzung für die Therapie ist, dass schon einmal eine allergische Reaktion vorgefallen ist. Diese geht über Rötungen und Schwellungen rund um die Einstichstelle hinaus: Von einer Allergie spricht man, wenn sich die Abwehrreaktion gegen das Gift auch an unerwarteten Stellen zeigt, so Thilo Jakob, Allergologe und Direktor der Hautklinik am Universitätsklinikum Gießen: "Wenn der Rest des Körpers mitreagiert, an anderen Stellen, dann ist das das Alarmzeichen."
Wer eine allergische Reaktion nach einem Insektenstich erlebt hat, sollte zunächst beim Arzt abklären, welches Insekt die Reaktion ausgelöst hat. Das verrät ein Haut- oder Bluttest. Ärztinnen und Ärzte können auch ein Notfallset verschreiben, das aus einem Antihistaminikum, Kortison und einem Adrenalin-Pen besteht.
Wann wird eine Therapie empfohlen?
Je nach Schweregrad der Allergie wird eine Hyposensibilisierung empfohlen, auch bekannt als Desensibilisierung oder allergen-spezifische Immuntherapie. Betroffene bekommen dabei in mehrwöchigen Abständen kleinste Mengen des Gifts per Spritze unter die Haut.
Die Kosten für die Hyposensibilisierung übernimmt die Krankenkasse, vorausgesetzt diese wird gemäß der aktuellen Leitlinie empfohlen. Darunter fallen Personen, deren Symptome sich nicht nur auf die Haut beschränken, Personen mit einem beruflichen Risiko wie Imker oder Bäckereipersonal, sowie Personen, bei denen eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität vorliegt.
Effektive Therapie, aber wenig angenommen
Laut Allergologe Jakob bietet die Therapie ein hohes Maß an Schutz, bei Bienengift wirke sie bis zu 94 Prozent, bei Wespengift sogar bis zu 99 Prozent. Allerdings seien für einen anhaltenden Schutz mindestens drei, besser sogar fünf Jahre Behandlung nötig. Ein langer Zeitraum, der - wie auch die Angst vor Spritzen - abschreckend wirken kann.
Doch Jakob kennt noch andere Gründe, weshalb nur ein Zehntel der Berechtigten die Therapie auch in Anspruch nimmt. Gerade junge Leute ignorierten das Risiko ihrer Allergie gerne. Dazu komme, dass Bienen- und Wespenstiche selten seien. Die Motivation, sich mit einer Hyposensibilisierung gegen die Folgen zu schützen, ist also geringer als beispielsweise bei einer Pollenallergie.
Trotz Schutzwirkung viele Vorbehalte
Dabei muss es nicht unbedingt der berüchtigte allergische Schock sein, der zu ernsten Konsequenzen führt. Auch Unfälle aufgrund einer allergischen Reaktion im Straßenverkehr können die Lebensqualität dauerhaft einschränken. Dennoch gibt es Vorbehalte gegenüber der Therapie, auch unter medizinischem Personal.
Beispielsweise fürchten einige, dass auch die Therapie eine allergische Reaktion auslösen kann. Der Allergologe Jakob gibt jedoch Entwarnung. Schließlich werde die Therapie von allergologisch erfahrenen Ärzten durchgeführt, die im Notfall reagieren können: "Das ist etwas, das sehr gut kontrollierbar und behandelbar ist."
Therapieoption möglichst früh ansprechen
Besonders an einer Stelle könnte laut Jakob verstärkte Aufklärungsarbeit manch ein zusätzliches Leben retten. Denn nur die Hälfte der Betroffenen gehen wegen ihrer Allergie tatsächlich auch zum Arzt. Oft sind es deshalb die Notfall-Sanitäterinnen und -Sanitäter, die Betroffene von den Vorteilen einer Therapie überzeugen können.
Deshalb sei es wichtig, notfallmedizinisches Personal darauf zu schulen, gezielt über die Therapie zu informieren, so Jakob: "Wenn in der akuten Situation jemand einem sagt: Da gibt's was, womit man das vermeiden kann, dass das nicht wieder auftritt - dann ist der Anteil derer, die dann eine Immuntherapie machen, viel höher."
Zurück in ein normales Leben
Thilo Jakob selbst gibt Betroffenen vor allem eines mit - nämlich gut auf ihr eigenes Leben aufzupassen. Denn ohne die Therapie liege das Risiko eines allergischen Schocks bei bis zu 70 Prozent, nach der Therapie gebe es nur noch ein Restrisiko von wenigen Prozent. Betroffene unterscheiden sich dann nicht mehr vom Rest der Bevölkerung - und können auf ihr Notfallset verzichten.