Corona und die Psyche Macht Homeoffice auf Dauer krank?
In der Pandemie nehmen auch psychische Erkrankungen zu. Oft trifft es Menschen, die mitten im Berufsleben stehen. Mediziner warnen: Die gesellschaftlichen Folgen seien bisher kaum abzusehen.
Vom erfolgreichen Manager zum psychischen Wrack: Karl-Heinz Schiller hat eine harte Zeit hinter sich. Angestellter in einem Großkonzern war er, nach einem Burnout hat ihn die Firma aussortiert. Er versuchte sich als Unternehmensberater selbstständig zu machen, dann starb seine Schwester, und schließlich kam Corona. Er fasste nicht mehr Fuß.
"Dann begannen die Panikattacken", erzählt Schiller. "Wie geht's in der Zukunft weiter? Die Finanzen auf Reihe zu halten. Alles nicht einfach. Da kommt man in einen Strudel, wo man wirklich nicht mehr in der Lage ist, Dinge zu tun, die vorher selbstverständlich waren." Heute geht es ihm wieder besser - nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in der Max-Grundig-Fachklinik für Psychosomatik auf der Bühlerhöhe im Schwarzwald.
Psychische Erkrankungen belasten das Gesundheitssystem
Noch gibt es kaum Studien über die Zunahme psychischer Erkrankungen seit Ausbruch der Pandemie. Aber Christian Graz, Chefarzt der Max-Grundig-Klinik, nennt ein paar Zahlen, die das Ausmaß des Problems deutlich machen. Schon vor Corona hätten 15 Prozent der Menschen in Europa unter Angststörungen gelitten: 62 Millionen Erkrankte, die Gesundheitskosten in Höhe von 80 Milliarden Euro jährlich verursachten.
"Wir sehen eine hochsignifikante Zunahme insbesondere bei Kindern und Jugendlichen", sagt Graz. "Wenn ich mit Kollegen spreche, die haben eine Verdopplung der kinder- und jugendpsychiatrisch vollstationären Versorgung. Und diese Menschen werden ja irgendwann älter, und das sind die Patienten von morgen, die uns beschäftigen."
Experten befürchten Langzeitfolgen
Eine Zunahme psychischer Erkrankungen stellt auch die COPSY-Studie der Uniklinik Hamburg fest, für die mehr als 1000 Kinder und 1600 Eltern befragt wurden. Ergebnis: Acht von zehn Kindern fühlen sich durch die Pandemie belastet, sieben von zehn leiden unter einer verminderten Lebensqualität, vor der Pandemie waren es drei. Jedes dritte Kind ist psychisch auffällig, das sind 50 Prozent mehr als zuvor.
Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen und mit Migrationshintergrund - ein Problem, das nach den Erfahrungen von Christian Graz eine ganze Generation belasten wird. "Wer einmal unter einer psychosomatischen Erkrankung gelitten hat, der hat ein höheres Risiko, wieder zu erkranken", sagt der Mediziner. "Und junge Menschen haben eine schlechtere Widerstandsfähigkeit, mit solchen Krisen umzugehen, als die älteren Menschen."
Trotz höherer Widerstandsfähigkeit: Die besonderen Umstände der Arbeit zu Hause treffen die Alten wie die Jungen. Viele Arbeitnehmer neigen zur Selbstausbeutung, arbeiten länger als im Büro, oft auch nachts, wenn die Kinder schlafen. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung empfindet die Hälfte der Erwerbstätigen ihre Situation beim Homeoffice als stark oder äußerst belastend, bei Alleinerziehenden oder Geringverdienern sind es sogar 62 Prozent. Die Mehrfachbelastung aus Arbeit, Haushalt und Hilfe beim Lernen trifft vor allem Frauen. Das wirkt sich auf die psychische Verfassung aus. Angststörungen, so der Psychosomatiker Graz, sind unter Frauen doppelt so stark ausgeprägt wie unter Männern. Sie bedürfen der Behandlung.
Karl-Heinz Schiller (l.) mit Chefarzt Christian Graz. Schiller hofft, seine Angsterkrankung überwunden zu haben.
Angst und Depression noch immer Tabuthema
Angst, sagt Graz, ist eigentlich physiologisch sinnvoll - ein nützliches Gefühl, denn durch Rückzug schützen wir uns. Aber Angst kann pathologisch werden. Sie drückt sich dann körperlich aus: durch Kopfschmerzen, Schlafstörungen, schnelleren Puls, erhöhte Anspannung, die Neigung zum Grübeln. Gründe seien Ohnmachtsgefühle, Schwarzmalerei, der Hang zum "Katastrophisieren". Betroffen seien vor allem junge Frauen sowie Männer, die selbstständig sind, sagt der Facharzt für Psychosomatik. Seit Ausbruch der Pandemie hätten sich die generalisierten Angststörungen verdreifacht.
Aber psychische Erkrankungen sind oft immer noch ein Tabu, Betroffene fühlen sich häufig stigmatisiert, vor allem die sogenannten Leistungsträger. Sie kommen dann wegen der körperlichen Probleme ins Krankenhaus, um dort zu erfahren, dass die Beschwerden psychische Ursachen haben - und oft wochen- und monatelanger Behandlung bedürfen.
Diese Erfahrung musste auch Karl-Heinz Schiller machen, der jetzt kurz vor der Entlassung aus der Max-Grundig-Klinik steht. Nicht gänzlich geheilt, aber auf dem Weg zurück in ein normales Leben. Er hatte Glück, denn in Corona-Zeiten gibt es kaum psychosomatische Behandlungsplätze in Deutschland.