Biologische Unterschiede Altern Männer anders als Frauen?
Statistisch werden Frauen älter als Männer. Und offenbar liegt das nicht nur daran, dass sie sich in vielen Bereichen gesundheitsbewusster verhalten. Eine Studie legt nahe, dass es dafür biologische Ursachen gibt.
Von Daniela Remus, NDR
Überall auf der Welt leben Frauen durchschnittlich betrachtet deutlich länger als Männer. Lange gingen Forschende davon aus, dass das unterschiedliche Verhalten von Frauen und Männern die Ursache dafür ist: Frauen ernähren sich oft gesünder, achten mehr auf ihre Gesundheit, rauchen seltener und trinken weniger Alkohol. In den wohlhabenden Ländern mit staatlicher Gesundheitsversorgung nehmen sie häufiger Vorsorgeuntersuchungen wahr als Männer und gehen auch bei Beschwerden vielfach eher zum Arzt oder zu einer Ärztin.
Es ist nicht nur der Lebensstil
Aber mittlerweile zeigen Daten weltweit: Auch in anderen Kulturkreisen und in ärmeren Ländern ohne ausgebautes Gesundheitssystem werden Frauen älter als Männer. Es handelt sich also um ein globales Phänomen, das auch von historischen Untersuchungen gestützt wird. Diese betrachten Zeiträume, die mehrere hundert Jahre zurückliegen.
Deshalb stellten sich Forschende vom Max-Planck-Institut für Biologie Alterns in Köln gemeinsam mit einem Team vom University College in London die Frage, warum es diesen Unterschied in der Lebensspanne zwischen Männern und Frauen gibt. Molekularbiologe Yu-Xuan Lu nennt die Hypothese, die die Forschenden dabei geleitet hat: Nämlich physiologisch-biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die die Alterungsprozesse beeinflussen.
Molekularbiologische Geschlechtsunterschiede
Um diesen Ursachen auf die Spur zu kommen, hat das internationale Team zunächst die Alterungsprozesse von Fruchtfliegen untersucht. Denn auch deren weibliche Tiere leben länger als die männlichen. Und da Fruchtfliegen in der Regel nur drei Monate alt werden, können Alterungsprozesse an diesem Modellorganismus sehr viel schneller untersucht und Ergebnisse kurzfristiger erreicht werden. Die Forschenden wollten herausfinden, inwieweit Rapamycin - ein Medikament, das von manchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als vielversprechendes Anti-Aging Präparat gilt - die Lebensspanne von Fruchtfliegen verlängern kann.
Und tatsächlich war das der Fall, allerdings nur für einen Teil der Fliegen, sagt Lu zum Ergebnis der Studie: "Wir haben herausgefunden, dass das Rapamycin nur die Lebensspanne der weiblichen Fruchtfliegen verlängert hat und dass es auch nur bei den weiblichen Fliegen dazu geführt hat, die altersassoziierten Erkrankungen abzumildern beziehungsweise hinauszuzögern."
Macht die "Müllabfuhr" der Zelle den Unterschied?
Dieses Forschungsergebnis erklären die Forschenden damit, dass das Rapamycin bei den weiblichen Fliegen einen zellulären Prozess im Darm verstärkt hat, der für das Recycling-System der Zellen verantwortlich ist: Die sogenannte Autophagie, umgangssprachlich auch als "Müllabfuhr der Zelle" bezeichnet, wurde bei den weiblichen Fliegen durch das Medikament angeregt, bei den männlichen Fliegen aber nicht. Die intensivierte Autophagie, so deshalb die Schlussfolgerung der Forschenden, habe die Alterungsprozesse in den weiblichen Fliegen aufgehalten.
Dieser Befund passt zu der bereits seit längerem gewonnenen Erkenntnis, dass die Autophagie einen Einfluss auf die Alterung von Lebewesen hat. "Auch das Recycling in der Zelle funktioniert nicht mehr so gut", sagt Ina Huppertz vom Kölner Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns, die an der Studie nicht mitgearbeitet hat. "Das heißt: Normalerweise werden schlechte oder kaputte Produkte von der Zelle abgebaut, und das geht im Alter eben auch schlechter. Diesen Prozess nennt man Autophagie."
Auch bei Fruchtfliegen leben die Weibchen länger als die Männchen.
Auch bei Mäusen wirkt Rapamycin
Auch bei Maus-Experimenten am Max-Planck-Institut in Köln wirkte das Rapamycin geschlechtsspezifisch. Die männlichen Mäuse konnten davon nicht profitieren, während die weiblichen Tiere länger lebten und gesünder blieben. Deshalb vermuten die Forschenden, dass das Geschlecht auch beim Menschen ein entscheidender Faktor dafür sein könnte, ob Anti-Aging-Medikamente wirksam sind oder nicht. Dazu aber sind weitere aufwändige und kostenintensive Studien am Menschen notwendig.
Tiere altern unterschiedlich
Eins steht bereits jetzt fest: Nicht alle Organismen altern. Manche Tiere, wie beispielsweise männliche Ameisen oder der pazifische Riesenkrake, sterben direkt nach der Fortpflanzung. Aber die, die altern, tun das extrem unterschiedlich. So werden Grönlandhaie vermutlich älter als 400 Jahre. Der kleine Süsswasserpolyp Hydra dagegen scheint kaum zu altern und kann nach gegenwärtigem Wissensstand mindestens eintausend Jahre alt werden. Manche Eintagsfliegen leben aber tatsächlich nur wenige Stunden lang.
Diese Unterschiede hängen nach Einschätzung der Forschenden von Umwelteinflüssen, Stoffwechselprozessen und unterschiedlichsten molekularbiologischen und zellulären Vorgängen ab. Viele davon sind noch nicht ausreichend verstanden. Zwar gelingt es Forschenden immer wieder, einzelne Prozesse zu erkennen oder genetische Schäden an Gewebe und Zellen zu identifizieren. Wodurch diese aber ausgelöst werden, ist noch nicht klar. Und deshalb ist auch unbekannt, warum diese Prozesse im Laufe eines Lebens nicht mehr korrigiert werden können, während das im jungen Lebensalter durchaus möglich ist.
Das Altern mit einer Pille, einem Superfood oder dem hochgehypten Intervallfasten wirkungsvoll aufzuhalten - davon, so eine Studie vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen zur Multifaktorialität von Alterung - sei die Menschheit jedenfalls noch weit entfernt.