Arzneimittel fehlen Warum Medikamente knapp sind
Fiebersaft, Schmerzmittel oder Antibiotika: Viele Medikamente sind knapp in Deutschland, vor allem Arzneimittel für Kinder. Wie konnte das passieren - und was kann jetzt helfen?
Die Ausgangslage
Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, Grippe, Corona oder andere Infektionen: Gefühlt kennt gerade jeder in Deutschland jemanden, der krank ist. Oder man ist selbst betroffen. Die Krankenkassen verzeichnen überdurchschnittlich viele Krankschreibungen. Eine Welle an Atemwegsinfektionen bei Kindern bringt Krankenhäuser und Kinderärzte ans Limit - und jetzt fehlen auch noch Medikamente.
Was fehlt?
Fiebersäfte, Schmerzmittel, Antibiotika, Krebsmedikamente oder auch Mittel gegen Bluthochdruck und Diabetes: Der Mangel betrifft schon länger nicht nur Nischenprodukte, sondern viele gängige Medikamente. Auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) sind derzeit 313 Arzneimittel aufgelistet. Da dort nur rezeptpflichtige Medikamente aufgeführt sind und die Meldung der Lieferengpässe freiwillig ist, ist davon auszugehen, dass die Zahl weitaus höher ist.
Woher kommt der Engpass?
Genannt werden vor allem Probleme mit der Lieferkette. Doch die Lage ist komplizierter: Nach Meinung vieler Fachleute liegt die Ursache in der deutschen Vergabepraxis. So kritisiert der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, in der "Rheinischen Post", dass die Festpreisregelung in Deutschland zu einem Abwandern der Produktion in Billiglohnländer wie China und Indien geführt habe. "Dort gibt es nun Lieferkettenprobleme, was wiederum zu Lieferengpässen führt."
Der Hintergrund: Für Medikamente gibt es festgelegte Beträge, die gesetzliche Krankenkassen bezahlen. Wenn der Verkaufspreis höher ist, müssen Patienten in der Regel die Differenz selbst bezahlen oder ein therapeutisch gleichwertiges, aber günstigeres Mittel nehmen. Das führt dazu, dass Medikamente und Wirkstoffe dort gekauft werden, wo sie am billigsten sind. Die Folge: Eine hohe Abhängigkeit von Wirkstoff-Lieferanten, etwa in China.
Hinzu kommen Rabattverträge: Krankenkassen können Preisnachlässe mit Herstellern vereinbaren und dadurch Kosten senken. Dann erstatten sie nur das Medikament dieses Herstellers und erhalten dafür im Gegenzug Rabatt. Die Folge: Die Konkurrenz mit dem gleichen Medikament schränkt ihr Angebot dann ein.
Aufgrund der derzeitigen hohen Nachfrage infolge der Krankheitswelle wird die Arzneimangellage nun besonders deutlich.
Was fordern Fachleute?
Kinderarzt Fischbach fordert sofortige Maßnahmen der Bundesregierung. Es brauche "eine von der Politik angeschobene Beschaffungsaktion, um wie zu Beginn der Corona-Pandemie in einer Notlage schnell an Fiebersaft, bestimmte Antibiotika und andere selten gewordene Präparate für kleine Kinder zu kommen". Der Deutsche Apothekerverband fordert Sonderregelungen aus der Pandemie beizubehalten, die der Apotheke ermöglichten, bei Lieferschwierigkeiten auf wirkstoffgleiche Präparate auszuweichen. Die Lage sei in vielen Fällen sehr dramatisch, sagte der Vorsitzende des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis, im Deutschlandfunk. Er und viele seiner Kollegen seien inzwischen seit 30 Jahren im Beruf und hätten so etwas noch nie erlebt. Man gehe von über 1000 Medikamenten aus, die derzeit fehlten. Bei Kindern sei der Mangel augenfällig, aber auch Medikamente für Erwachsene seien vielfach betroffen.
Wie reagiert die Politik?
Die Bundesregierung will das Vergaberecht ändern. Ziel sei, Lieferketten breiter anzulegen, damit die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern abnimmt, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums Ende November. Die Situation sei trotz vorhandener Instrumente zu Ausweichpräparaten bei Engpässen unbefriedigend. Um gegenzusteuern, will Lauterbach in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorstellen. Aktuell gebe es Lieferengpässe auch bei Krebsmedikamenten und Antibiotika, erläuterte er. "Wir sind auch in diesem Bereich mit der Ökonomisierung zu weit gegangen." Der Preis habe die alleinige Rolle gespielt, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine zu geringe Rolle. "Das wollen wir aufheben."
Die Union fordert ein Krisentreffen von Bund und Ländern. "Noch vor Jahresende muss es einen Beschaffungsgipfel von Bund und Ländern geben, in dem Sofortmaßnahmen für diesen Winter koordiniert werden", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge dem Nachrichtenportal "t-online". Gesundheitsminister Karl Lauterbach müsse sich "schnellstens" mit Ländern, Herstellern und Großhändlern abstimmen, sich bei Nachbarländern um übergangsweise Lieferungen bemühen und so rasch wie möglich einen Planungs- und Beschaffungsstab einrichten, forderte Sorge. Wichtige Kinderarzneimittel, vor allem Fiebersenker, Antibiotika oder Hustenmittel, müssten jetzt zentral vom Bundesgesundheitsministerium gekauft, gelagert und verteilt werden.