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Bei vielen Bankkunden im Depot Wer profitiert vom Handel mit Zertifikaten?
Viele Anleger haben Zertifikate in ihren Wertpapierdepots. Banken vertreiben die Produkte gerne und verdienen gut daran. Für die Kunden sind sie aber nur selten die beste Wahl.
Sie sollen mehr Sicherheit als der Aktienmarkt bieten, oder mehr Rendite. Je nach Spielart können Zertifikate als Wertpapiere ganz unterschiedliche Interessen bei Verbraucherinnen und Verbrauchern bedienen.
Der Verkauf von Zertifikaten durch Banken und Sparkassen hat in den vergangenen Jahren Milliarden-Umsätze erreicht. Laut des Bundesverbandes Strukturierte Wertpapiere (BSW) hat sich das Volumen der Zertifikate, die bei deutschen Anlegern im Umlauf sind, zwischen Mitte 2022 und Mitte 2024 auf 106 Milliarden Euro fast verdoppelt.
Ein dynamisches Wachstum, das in den vergangenen Jahren durch die wieder höheren Zinsen am Kapitalmarkt noch angekurbelt wurde. Denn ein Großteil der Wertpapiere, die ab 2022 verkauft wurden, sind Zertifikate, die eine feste oder variable Zinszahlung versprechen.
"Funktionsweise nicht erläutert"
Nicht immer werden Kunden vor dem Kauf allerdings auch ausreichend beraten, meinen zumindest Verbraucherschützer wie Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg: "Wir sehen insbesondere bei etwas älteren Kundinnen und Kunden, dass sie solche Zertifikate in ihrem Depot haben, deren Funktionsweise ihnen nicht erläutert worden ist", sagt der Verbraucherschützer. "Das sind dann Stufenzinsanleihen oder komplexere Zertifikate."
Laut Nauhauser ist den Verbraucherinnen und Verbrauchern oft auch nicht klar, welche Risiken damit verbunden seien "und ob die Rendite denn überhaupt angemessen ist für das Risiko, was dahinter liegt". Ein solches Risiko ist etwa der Totalverlust durch das so genannte Emittentenrisiko.
Zertifikate werden stets von einer Bank herausgegeben, sie sind rechtlich Schuldverschreibungen eines Kreditinstituts, in die die Anleger investieren. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von Aktien, aber auch von Anleihen. Kommt die Bank, die ein Zertifikat ausgegeben hat, allerdings in finanzielle Schieflage oder geht gar pleite, kann die Rückzahlung eines Zertifikats komplett ausfallen. Die Pleite US-Bank Lehman Brothers während der Finanzkrise dient hier als mahnendes Beispiel, dann auch hier gingen Zertifikate-Käufer vielfach leer aus.
Kursrisiken und hohe Kosten
Dazu kommen aber bei einigen der Produkte noch Kursrisiken während der Laufzeit und nicht zuletzt - im Vergleich zu vielen Fonds, ETFs oder einem einfachen Tages- oder Festgeldkonten - hohe Kosten. Zumeist gibt es bei den Papieren einen Ausgabeaufschlag und jährliche Gebühren, die einen Teil der Rendite oder Zinszahlungen auffressen.
Zertifikate werden technisch auch als "strukturierte Produkte" bezeichnet. Genau genommen schließt der Verkäufer eines Zertifikates eine Wette auf eine bestimmte Entwicklung am Kapitalmarkt ab. Diese Wette wird von den Zertifikate-Anbietern zumeist am Terminmarkt mit entsprechenden Termingeschäften "konstruiert". Im Vertrieb an Privatanleger heißen die Produkte dann "Discount-Zertifikat", "Express-Zertifikat" oder "Festzins-Anleihe".
Lukrativ für Anbieter und auch für Anleger?
Auch die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) hält Zertifikate deshalb für wenig geeignet für viele Anlegerinnen und Anleger. Sie hat den Vertrieb der Produkte auch in ihrem "Schwarzbuch Börse" angeprangert, so Marc Liebscher von SdK: "Zertifikate wirken oft zum Schaden des Anlegers, denn es wird nicht das beste Produkt durch Banken und Sparkassen verkauft, sondern das aus Banken und Sparkassen, also aus Beratersicht, lukrativste Produkt."
An die Bankberater fließen Provisionen, wenn sie die Produkte verkaufen. Das geschieht allerdings nur an Kundinnen und Kunden, die im Prinzip verstanden haben, worauf sie sich einlassen, sagt Klemens Bautsch vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband: "Es gibt hier vor allem das klassische Selbstentscheider-Geschäft, dass der Kunde aus eigenem Antrieb auf den Berater zukommt, sagt, 'lieber Berater, ich möchte gerne das Produkt haben'. Da wird dann wirklich nur geprüft, hat er das verstanden, ist er sozusagen reif genug ist für dieses Produkt."
Fehlberatungen als Einzelfälle
Der überwiegende Teil der Zertifikate bei Sparkassen seien ohnehin eher konservative Produkte, bei denen der Kapitalerhalt im Vordergrund stehe, so Bautsch. Fehlberatungen, bei denen hochrisikante Zertifikate verkauft würden, kämen vor: "Einzelfälle kann man nicht ausschließen, das waren aber wirklich absolute Einzelfälle, und daher glauben wir, dass das wirklich sehr selten vorgekommen ist."
Anlegerschützer Marc Liebscher wünscht sich dennoch eine Abkehr der Banken und Sparkassen vom Zertifikate-Geschäft: "Wir fordern von Banken und Sparkassen, dass sie ihre Kunden richtig beraten, nämlich nicht in Zertifikate beraten, sondern in Aktien beraten, in ETFs beraten". Dort seien die Margen der Banken und Sparkassen geringer, "aber das entspricht dem Interesse der Bürger, der Anleger und der Verbraucher".
Beratung unter der Lupe
Nach Ansicht von Niels Nauhauser von der Verbraucherberatung Baden-Württemberg könnte sich auch die Politik des Themas Anlageberatung insgesamt stärker annehmen: "Deswegen gehe ich davon aus, dass die Politik auch irgendwann diesen Beruf so regeln wird, dass es einen Markt gibt, bei dem Verbraucher sich darauf verlassen können, dass Beratung drin ist, wo Beratung auch draufsteht."
Die Wertpapieraufsicht BaFin hat bereits im vergangenen Jahr den Vertrieb von Zertifikaten bei Banken und Sparkassen stärker ins Visier genommen. In einer Marktumfrage bei Verbraucherinnen und Verbrauchern will sie derzeit ermitteln, ob sie in der Beratung den Kauf von Zertifikaten angeboten bekommen und wie sie über die Konstruktion und die Risiken der Papiere aufgeklärt wurden. Ergebnisse der Umfrage will die BaFin in diesem Frühjahr veröffentlichen.