
Gesetzliche Unfallversicherung Die oft vergessene Sozialversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung gerät oft in Vergessenheit - dabei bietet sie in einigen Fällen sogar umfassendere Leistungen als die Krankenkasse. Warum sie so wichtig ist und worauf es ankommt.
Die gesetzliche Unfallversicherung zählt, ebenso wie die Arbeitslosenversicherung, zu den verpflichtenden Sozialversicherungen in Deutschland. Anders als bei der Pflege- oder Rentenversicherung übernimmt der Arbeitgeber die Beiträge jedoch vollständig.
"Ich vermute mal, dass viele nicht so genau wissen, dass sie über den Arbeitgeber zwangsweise versichert sind", sagt Matthias Beenken, Professor für Versicherungswirtschaft an der FH Dortmund. Dabei sind alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer automatisch unfallversichert.
Die gesetzliche Krankenversicherung komme erst einmal für alle Behandlungskosten auf, egal wie sie entstanden seien, sagt Elke Weidenbach von der Verbraucherzentrale NRW. Die gesetzliche Unfallversicherung greife dagegen nur dann, wenn es sich um einen Wegeunfall, einen Unfall auf der Arbeit oder eine Berufskrankheit handle.
800.000 Arbeitsunfälle 2023
Laut dem Sozialverband VdK gab es im Jahr 2023 allein 800.000 Arbeitsunfälle, 168.000 gemeldete Wegeunfälle und 150.000 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit.
"Grundsätzlich ist es die Aufgabe des Arbeitgebers, dafür Sorge zu tragen, dass im Zuge der beruflichen Tätigkeit oder im Umfeld des beruflichen Wirkens Gesundheitsgefahren vermieden werden", sagt Jochen Pimpertz, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Wenn man in die Statistik der gesetzlichen Unfallversicherung reinschaue, stelle man fest, dass die gesetzliche Unfallversicherung eine "Erfolgsstory" sei, weil sich die Berufserkrankungen bis hin zu Todesfällen und auch die Verrentungsrisiken drastisch und über die Jahrzehnte kontinuierlich verringert haben.
Zum "Durchgangsarzt" statt zum Hausarzt
Auf ein wichtiges Detail weist Beenken von der FH Dortmund bei der gesetzlichen Unfallversicherung aber hin: "Sie deckt tatsächlich nur Unfälle ab, die wirklich während der Arbeit oder auf einem direkten Weg zur Arbeit oder von der Arbeit passiert sind. Und der direkte Weg kann schon allein dadurch unterbrochen sein, dass ich auf dem Weg zur Arbeit noch morgens meine Brötchen hole - schon ist das wieder privat veranlasst."
Bei einem Arbeits- oder Wegeunfall ist dann nicht der Hausarzt, sondern ein sogenannter Durchgangsarzt zuständig - ein Facharzt für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Zudem sollte der Arbeitgeber schnellstmöglich informiert werden. Detaillierte Angaben wie Uhrzeit, Zeugen oder der genaue Ablauf des Vorfalls können später für die Versicherungsleistungen von Bedeutung sein.
Auf den ersten Blick klingt das nach viel Aufwand, besonders wenn es sich nur um eine kleine Schramme nach einem Fahrradunfall handelt. In solchen Fällen würden es möglicherweise manche vorziehen, direkt zum Hausarzt zu gehen, ohne den Vorfall zu melden.
Häufiger Physio und mehr Geld bei längerer Krankheit
Das Ganze hat aber einen ernsten und wichtigen Hintergrund. Nicht alle Verletzungen sind unmittelbar erkenn- oder spürbar. Sollte sich hinter einer scheinbar harmlosen Schramme eine ernsthafte Verletzung verbergen, die langfristige gesundheitliche Einschränkungen oder sogar eine Berufsunfähigkeit zur Folge hat, kann das sowohl gesundheitliche als auch finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen.
Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt die Leistungen für Folgen einer solchen Verletzung. Wer wegen eines Unfalls auf der Arbeit oder auf dem Weg dorthin mehrere Wochen ausfällt, erhält nach sechs Wochen das sogenannte Verletztengeld. Mit 80 Prozent des Bruttoentgelts liegt dieses auch über dem Krankengeld der Krankenkasse, das lediglich 70 Prozent beträgt.
Auch darüber hinaus gibt es einige Vorteile im Vergleich zur gesetzlichen Krankenversicherung, erklärt Michael Popp vom Sozialverband VdK: etwa mehr Physiotherapie-Termine, wenn man sich die Hand breche. Die Berufsgenossenschaft habe ein Interesse daran, dass man wieder arbeiten könne, so Popp. Dann "bekommt man fast unendlich viele Physiobehandlungen im medizinisch notwendigen Rahmen".
Anspruch auf Verletztenrente
Wer aufgrund eines Unfalls nicht mehr arbeiten kann, hat auch Anspruch auf eine sogenannte Verletztenrente von der Unfallversicherung, die bis zu zwei Drittel des Jahresgehalts betragen kann. Für eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit gibt es auch Teilrenten. Solche Verletztenrenten können sogar über das Rentenalter hinaus gezahlt werden, sie werden jedoch in einigen Fällen auf die Altersrente angerechnet. Dennoch gilt: Wer einen Arbeitsunfall nicht meldet, verzichtet möglicherweise auf eine finanzielle Unterstützung, die einem zustehen würde.
Da die Verletztenrente so lange gezahlt wird, wie eine Erwerbsminderung vorliegt, muss jede Veränderung des Gesundheitszustands gemeldet werden. Wenn es einem besser geht, kann die Rente gekürzt oder eingestellt werden. Umgekehrt gilt aber auch: "Die Rente kann nicht nur wieder entzogen werden, sie kann sich auch erhöhen, wenn sich das Krankheitsbild verschlechtert", sagt Popp. Ein typisches Beispiel sei die Kniearthrose bei Dachdeckern, die sich mit der Zeit oft verschlechtere.

Den Podcast "Gold & Asche: Projekt Versicherung" gibt es ab dem 9. April 2025 wöchentlich in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
Folge 1: Sozialversicherungen - Grundlagen und Grenzen (9. April)
Folge 2: Gesetzliche vs. private Krankenversicherung (9. April)
Folge 3: Haftpflicht, Kfz & Haustier - Was ist Pflicht, was ist sinnvoll? (16. April)
Folge 4: Die Berufsunfähigkeitsversicherung und ihre Alternativen (23. April)
Folge 5: Die Familie richtig absichern (30. April)
Folge 6: Wohnen & Wetterrisiken - Schutz für das eigene Zuhause (7. Mai)
Folge 7: Gesundheitskosten absichern - von Zahnzusatz bis Krankentagegeld (14. Mai)
Folge 8: Gut abgesichert streiten und reisen (21. Mai)
Bonusfolge: Hinter den Kulissen - wie Versicherungen ticken (offen)
Berufskrankheit bei Profi-Fußballern
Bei Berufskrankheiten gibt es ebenfalls Leistungen von den Unfall- und Berufskassen. Diese werden in der Liste der Berufskrankheiten aufgeführt, die aber laut Popp noch stark an die 70er und 80er ausgerichtet ist. Dass eine Berufskrankheit überhaupt anerkannt wird, ist sehr schwer und daher selten.
Popp nennt ein Beispiel: In diesem Jahr wurde etwa die Gonarthrose, der Verschleiß am Kniegelenk, bei professionellen Fußballspielerinnen und Fußballspielern aufgenommen. Das Beispiel wähle er deshalb, "weil man da schon sieht, wie hart da Berufskrankheit definiert ist. Da muss man dann mindestens 13 Jahre als professionelle Fußballspielerin oder Fußballspieler absolviert haben und davon mindestens zehn Jahre in einer der drei obersten Fußballligen bei Männern oder einer der beiden obersten Fußballligen bei Frauen."
In diesem Fall hier geht es vor allem um physische Beschwerden, aber gerade das Thema psychische Erkrankungen fällt mittlerweile immer stärker ins Gewicht. Die Psyche ist mittlerweile die häufigste Ursache für eine Erwerbsminderung. Im Jahr 2000 lag der Anteil bei knapp einem Viertel, 2020 waren 41,5 Prozent.
Psychische Erkrankungen noch nicht im Fokus
Erst vor zwei Jahren hat das Bundessozialgericht das erste Mal eine psychische Erkrankung bei einem Rettungssanitäter mit Posttraumatischer Belastungsstörung als Berufskrankheit anerkannt. Das wurde schon als kleiner Erfolg gefeiert, obwohl die Belastungsstörung immer noch nicht generell als Berufskrankheit anerkannt ist. Stattdessen muss jeder Einzelfall geprüft werden.
Michael Popp vom VdK sieht das als Problem an. Aber zumindest gibt es etwas Bewegung. Es gebe aktuell eine Vorprüfung, ob auch posttraumatische Belastungsstörungen zukünftig als Berufskrankheit anerkannt werden. "Man denke an Rettungssanitäter oder Zugführer, die häufig mit Suiziden konfrontiert sind", sagt Popp.