KfW-Chefvolkswirtin Köhler-Geib "Risikokapital ist ein knappes Gut"
Brexit, Pandemie und Ukraine-Krieg haben für viel Unsicherheit gesorgt. Warum sich dadurch auch das Finanzierungsumfeld für deutsche Start-ups verschlechtert, erklärt die Chefvolkswirtin der KfW, Köhler-Geib, im Interview.
tagesschau24: Gibt es bei den Gründungen in Deutschland einen positiven Trend?
Fritzi Köhler-Geib: Vergangenes Jahr gab es in Deutschland 550.000 Neugründungen beziehungsweise Übernahmen und Neugründungen. Das ist leider die Fortsetzung eines langjährigen abnehmenden Trends bei der Gründungsaktivität. Die Gründungsplanungsrate für das nächste Jahr ist wieder etwas angestiegen, allerdings auf einem niedrigen Niveau.
Insgesamt bewegt sich die Gründungsaktivität also ziemlich seitwärts. Das hat sicherlich auch mit dem demografischen Wandel in Deutschland zu tun. Wir kommen jetzt auch aus einem sehr langen Boom im Arbeitsmarkt. Und gerade durch den Brexit, die Pandemie und auch den Krieg in der Ukraine haben wir große Schocks für die Wirtschaft erlebt. Das bedeutet viel Unsicherheit und führt zwangsläufig auch zu weniger Gründungen.
tagesschau24: Die wirtschaftlichen Unsicherheiten sind sicherlich nicht das einzige Problem. Für viele Gründer ist es in Deutschland momentan schwer, Investoren zu finden und an Risikokapital zu kommen. Welche Rolle spielt diese Entwicklung?
Köhler-Geib: Sie sprechen hier einen ganz wichtigen Punkt an, der vor allem technologie- und wachstumsorientierte Gründungen betrifft. Durch die Zinswende und den Einbruch an den Aktienmärkten im letzten Jahr gab es einen kräftigen Einbruch beim Wagniskapital. Das heißt, Wagniskapital ist hier momentan ein begrenztes Gut. Da würde ich mir wünschen, dass wir ein größeres Wachstum sehen. Deshalb halte ich Instrumente wie den Zukunftsfonds, der jetzt an den Start geht, für ganz entscheidend, um diesen Markt weiterzuentwickeln.
tagesschau24: Risikokapital ist hierzulande ein knappes Gut, haben Sie gerade gesagt. Die Folge ist, dass viele qualifizierte und ambitionierte Gründer ins Ausland gehen. Wie besorgniserregend ist denn diese Entwicklung?
Köhler-Geib: Aus meiner Perspektive ist das eine große Herausforderung. Der Hauptgrund für die Abwanderung von Start-ups ist, dass sie ihren Investoren ins Ausland folgen. Für unsere Wirtschaft hat eine solche Abwanderung immense Folgen: Es gibt weniger Wettbewerb, ein kleineres Angebot für Kunden und am Ende eben auch weniger neue Produkte auf dem Markt.
Gründungswissen in der Schule vermitteln
tagesschau24: Viele wirtschaftliche Unsicherheiten und weniger Risikokapital - das sind keine guten Voraussetzungen für die Gründer. Wie wirkt sich das auf den Gründergeist aus?
Köhler-Geib: Wir beobachten in Deutschland - und übrigens auch allen anderen industriellen Ländern, dass der Gründergeist über die Zeit deutlich abgenommen hat. Wichtig ist es deshalb, hier schon früh entgegenzuwirken. Gründungswissen müsste schon in der Schule vermittelt werden. Denn oft hat ein wahrgenommenes Risiko auch damit zu tun, dass nicht ausreichend Wissen vorhanden ist.
Außerdem müssten die bürokratischen Barrieren, die vielen Gründern hier im Weg stehen, abgebaut werden. Man muss es den Menschen leicht machen, eine Gründung so schnell wie möglich in den Angriff nehmen zu können, wenn sie den schon Mut zusammennehmen.
tagesschau24: Für die junge Generation ist Work-Life-Balance enorm wichtig. Eine Gründung kostet aber Zeit und Nerven. Wird die Denkweise der jungen Menschen einen negativen Einfluss auf die Gründertätigkeit haben?
Köhler-Geib: Für eine Gründung ist auf jeden Fall ein hoher Einsatz, viel Mut und Engagement erforderlich. Auf der anderen Seite hat eine Gründung auch mit viel Selbstbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Lebens zu tun. Gerade auch die jungen Menschen haben den Wunsch, die Gesellschaft mitzugestalten, einen Abdruck zu hinterlassen.
Für unsere Volkswirtschaft ist die Diskussion über eine Vier-Tage-Woche gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels schwierig. Denn wir brauchen zwingend mehr Arbeitskräfte. Und über den Zeitverlauf arbeiten wir als Deutsche im Durchschnitt ohnehin weniger als andere Europäer. Wie sollen wir mit weniger Arbeit die Produktivität steigern? Aus meiner Perspektive ist die Diskussion sehr schwierig - wir stehen gerade an einem Scheideweg.
Die Fragen stellte Anne-Catherine Beck, ARD-Finanzredaktion. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung gekürzt und redaktionell bearbeitet.