
Erbeben in Istanbul Die letzte Warnung
Bei dem erwarteten stärkeren Beben gäbe es sicher Tote. Viele Menschen sind aufgewühlt. Das Beben jetzt muss als letzte Warnung begriffen werden, die Stadt und ihre Menschen besser zu schützen.
Die Menschen in Istanbul sind noch einmal mit dem Schrecken davongekommen: Das Erdbeben war mit 6,2 zwar stark, aber es ist glimpflich verlaufen. Doch der Schrecken sitzt tief. Erinnerungen wurden geweckt - an verheerende Beben mit Zehntausenden Toten wie 1999 in Gölcük nahe Istanbul und vor erst zwei Jahren im Südosten des Landes.
Auch die Behörden, der Staat, sind aufgeschreckt. Eiligst wurde etwa eine Erdbebenkonferenz einberufen, um mögliche Versäumnisse zu besprechen. Die oppositionelle CHP sagt jedoch, ihre Leute seien nicht dabei gewesen. Der Oberbürgermeister Istanbuls und die Bürgermeister besonders gefährdeter Bezirke sitzen im Gefängnis. Und der amtierende Oberbürgermeister Istanbuls sei nicht eingeladen gewesen.
Obwohl Präsident Recep Tayip Erdogan nach dem Beben sagte, Naturkatastrophen taugten nicht für politische Gefechte, scheint genau das zu passieren. Es sieht so aus, als werde Erdbebenvorsorge so betrieben, wie die Politik sonst: Die von Erdogans AK-Partei geführte Zentralregierung gönnt der CHP und ihrem inhaftierten Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu nicht die Butter auf dem Brot. Geldflüsse von der Zentralregierung nach Istanbul wurden unterbunden und unter der AKP angeschobene Infrastruktur-Projekte gestoppt. Zudem ist der Verbleib der Einnahmen aus der Erdbebensteuer, eingeführt nach dem Beben 1999, weiter unklar.
Regierung und Kommunen müssen zusammenarbeiten
Viele argwöhnen, dass Milliardenbeträge in andere Projekte geflossen sind als in die Nachrüstung von nicht erdbebensicheren Häusern. Gleichwohl ist einiges passiert. Der Staat hat viele öffentliche Gebäude ertüchtigt. Und was die staatliche Wohnungsbaugesellschaft TOKI bauen lässt, gilt als erdbebensicher.
Zugleich gibt es zinsvergünstigte Kredite für private Hauseigentümer, von denen viele das Angebot jedoch nicht nutzen. Denn wer sein Haus auf Erdbebensicherheit prüfen lässt, riskiert, dass es durchfällt und abgerissen werden muss.
Gemessen an Menschenleben ist all das aber Kleinklein. Wenn die Türkei es ernst meint mit der Erdbebenvorsorge, muss sie jetzt konsequent und schnell handeln. Gesetze müssen verschärft und ihre Einhaltung kontrolliert werden. Zentralregierung und Kommunen müssen - egal, wer wo regiert - zusammenarbeiten, wenigstens bei der Erdbebenvorsorge. Denn Fachleute sagen: Das große Beben mit einer Stärke von mehr als 7 kommt - früher oder später. Die 6,2 von Istanbul war womöglich die letzte Warnung.