Schild am Eingang der Staatsanwaltschaft Berlin
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Clan-Aussteigerin "Latife Arab" Ein Bestseller, Klischees und Zweifel

Stand: 16.04.2025 06:01 Uhr

IIn ihrem Buch schildert eine als "Latife Arab" bekannte Clan-Aussteigerin familiäre Gewalt und Kriminalität. Im Herbst gab sie dann an, man habe versucht, sie zu töten. Das Ermittlungsverfahren aber wurde eingestellt.

Von Sascha Adamek und Olaf Sundermeyer, rbb

Am 11. September 2024 soll es geschehen sein: Die Buchautorin H.K., die unter dem Pseudonym Latife Arab schreibt, wurde eigenen Angaben zufolge nahe des Berliner S-Bahnhofs Wuhletal in ein Auto gezerrt und entführt. Anschließend habe man sie in einem Waldstück zusammengeschlagen und mit Benzin übergossen.

Nachdem sie später vor einem Krankenhaus aufgefunden wurde, schlugen Berliner Ermittler Alarm: Sie fürchteten einen nie dagewesenen Kriminalfall. Einige dachten sogleich an den Fall des von der niederländischen Mocro-Mafia ermordeten Journalisten Peter de Vries. Denn H.K. alias Latife Arab hatte im März 2024 das Buch "Ein Leben zählt nichts - als Frau im arabischen Clan" veröffentlicht und stand seither im medialen Rampenlicht.

Das Buch handelt davon, wie sie inmitten einer kriminellen Clanfamilie aufgewachsen sei. Es sind Erzählungen von Gewalt und Übergriffen, von Raubüberfällen und Schutzgelderpressung, von Zwangsheirat und erfolglosen Fluchtversuchen. H.K. wurde 1980 in der Provinz Mardin im Südosten der Türkei geboren. Ihre Familie hat die Aussagen des Buchs als unwahr zurückgewiesen, was H.K. auf rbb-Anfrage nicht kommentiert hat.

Mögliche Racheaktion der Clans?

Angesicht der politischen Brisanz einer möglichen Racheaktion im Clanmilieu und des Verdachts, dass es der erste Tötungsversuch nach einer publizistischen Veröffentlichung zum Thema "Clans" wäre, begann man unter hohem Personalaufwand mit den Ermittlungen.

Das Waldstück, in dem sich die Tat ereignet haben sollte, wurde mit Hunden und Einsatzkräften abgesucht, um Spuren von möglichen Tatbeteiligten sicherzustellen. Auch gab es eine Durchsuchung und aufwändige, forensische Gutachten. Nicht zuletzt wurde die Autorin befragt. Alles, um den Fall aufzuklären.

Im Oktober 2024 suchte Latife Arab den Kontakt zum rbb. Erstmals wollte sie die Geschichte des Überfalls vor einer Kamera erzählen. Das Interview dauert gut zwei Stunden. Die Autorin beschreibt, wie sie am 11. September 2024 aus Rache von Mitgliedern eines Clans in einem Waldstück im Ostteil Berlins zusammengeschlagen und mit Benzin übergossen worden sei. Der Grund: ihr Buch.

Ihre Antworten sind oft vage

Auf die Frage, ob sie die Männer, die sie zunächst in ein Auto gezerrt hatten, kannte, antwortet sie wörtlich: "Ich habe erst, als ich im Auto war, als ich das Ganze sozusagen wahrgenommen habe, verstanden, wer das ist und dass es jemand ist, den ich kenne."

Auf die Nachfrage, ob sie die Männer persönlich kenne, sagt sie: "Persönlich kennen, ist jetzt ein bisschen zu viel, also persönlich kenne ich, ehrlich gesagt, kannte ich vielleicht eine Person von denen." Immer wieder bleibt H.K. bei konkreten Nachfragen sehr vage. Auf die Frage, was die Männer von ihr gewollt hätten, sagt sie: "Ich glaube, die hätten mich am Ende des Tages lieber tot gesehen. Aber das war auch sozusagen die Botschaft, die mich im Auto erreichen sollte. Dass ich eine Schande bin, dass ich eigentlich schon längst hätte tot sein sollen."

Auf die konkrete Nachfrage, ob die Männer das so gesagt haben, rudert sie zurück: "So nicht. So konkret haben sie es nicht gesagt." Hatten die Männer überhaupt mit ihr gesprochen? Hatte sie wiederum die Männer angesprochen? "In meiner Kultur wurde mir beigebracht, dass ich als Mädchen oder als Frau erst reden darf, wenn ich gefragt werde." rbb24 Recherche entschied damals, vorerst nichts aus dem Interview zu veröffentlichen, weil einige Aussagen von H.K. zu unkonkret und nur schwer überprüfbar waren. 

So behauptete sie anlässlich des Interviews, mit zwei bekannten Berliner Clan-Chefs unmittelbar verwandt zu sein. Recherchen des rbb zu dieser Aussage führten zu keinem Ergebnis.

H.K. hat vor einiger Zeit einen Berater engagiert, um ihre Belange zu vertreten: den Clan-Experten Thomas Ganz. Auch rbb24 Recherche hat schon für eine Produktion zum Thema "Clans" mit ihm zusammengearbeitet. Ganz antwortet jetzt im Namen von H.K. auf eine Anfrage von rbb24 Recherche, dass sie doch nicht unmittelbar mit zwei Berliner Clan-Chefs verwandt sei. Es gebe lediglich "entfernte verwandtschaftliche Verhältnisse zwischen ihrer Familie und den beiden genannten Clans" (Anm. der Redaktion: den Remmos und Al Zeins).

Staatsanwaltschaft ist nicht sicher, ob der Überfall stattgefunden hat

Nach monatelangen, intensiven Ermittlungen stellte die Berliner Staatsanwaltschaft das Verfahren "mangels hinreichenden Tatverdachts" jetzt ein. Es konnte kein Tatverdächtiger ermittelt werden. Wörtlich sagte Michael Petzold, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft: "Die durchgeführten Ermittlungen führten nicht zur Namhaftmachung eines oder mehrerer Beschuldigter."

Nach Aussage der Staatsanwaltschaft sei es auch nicht sicher, ob der Tatvorwurf zutreffe: "Eine abschließende Klärung der Frage, ob sich die durch die Zeugin angegebenen Tat tatsächlich ereignet hat, war im Verlauf der umfangreichen Ermittlungen nicht möglich", sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft dem rbb. "Das Verfahren war daher einzustellen".

H.K.s Berater antwortet dem rbb: "Dass die STA Berlin erklärt, trotz großer Bemühungen nichts Zielführendes ermitteln zu können", verwundere sie nicht. So träfen die Ermittler im Milieu der Clankriminalität "fast immer auf eine Mauer des Schweigens". Ermittlungen wegen Straftaten müssten eingestellt werden oder es gebe Freisprüche aus Mangel an Beweisen: "Das ist bei diesem Kriminalitätsphänomen eher die Regel als die Ausnahme."

Während die Ermittler eine mangelnde Mitwirkung von H.K. an der Aufklärung des angeblichen Überfalls beklagen, behauptet ihr Berater Thomas Ganz in der Mail an rbb24 Recherche: "Für den 27. März 2025 war beim AG Tiergarten eine Richterliche Vernehmung der 'Latife Arab' terminiert. Diese beabsichtigte der ihr formal überstellten Vorladung zu folgen, um ihrerseits Angaben zur Sache oder weiterführenden Fragen der Ermittlungsrichterin - soweit ihr das rechtlich möglich war - zu machen." Den Termin habe die Staatsanwaltschaft dann ohne Angabe von Gründen abgesagt.

Das widerspricht der Darstellung der Staatsanwaltschaft. Nach Aussage von Staatsanwalt Petzold sei H.K. in den vergangenen Monaten mehrfach polizeilich vernommen worden. Sie habe dabei Angaben zum Tatablauf gemacht, die Täter aber nicht eindeutig benennen wollen. Eine Vernehmung durch eine Ermittlungsrichterin habe aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden müssen. Im weiteren Verfahren habe sich die Zeugin dann auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Also bereits vor dem abgesagten Termin.

Auf Nachfrage räumt der Berater von H.K. aber auch ein, dass sich Frau Arab "zurückhaltend bei der Aufklärung der von ihr angezeigten Straftat verhalten" habe, da sie um ihre Sicherheit und die ihrer Familie besorgt sei.

Heyne-Verlag stoppt den Buch-Vertrieb

Der Heyne-Verlag hat den Vertrieb des Buches kürzlich vorläufig gestoppt. Gegenüber rbb24 Recherche erklärte eine Sprecherin des Verlages, man habe die Autorin nach "in der Presse aufgekommenen Zweifeln an der Zugehörigkeit der Autorin zu einem der bekanntesten kriminellen Clans" um Vorlage von eindeutigeren Dokumenten gebeten, die ihre Herkunft klar verifizierten.

Die Autorin habe "zuvor in mehreren Gesprächen eben jene Herkunft angegeben und durch vorgelegte Ausweiskopien versichert, die sich im Nachhinein als wahrscheinlich gefälscht erweisen". Für den Fall, dass H.K. die erbetenen Belege nicht bis zu einer bestimmten Frist beglaubigt vorlege, habe Heyne sich vorbehalten, "den Titel nicht mehr lieferbar zu halten". Diese Frist sei mittlerweile verstrichen. "Über mögliche weitere Konsequenzen werden wir zu gegebener Zeit beschließen."

Der Berater von H.K. beantwortete die Fragen des rbb nach den Belegen nicht, sondern erklärte, die Autorin fühle sich "auch von ihrem Verlag (Heyne) absolut im Stich gelassen."  Auf den vom Verlag geäußerten Verdacht der Fälschung geht er nicht ein. Ob der Vorwurf des Verlags zutrifft, kann vom rbb derzeit nicht verifiziert werden.

Nach den kritischen Medienberichten hatte im Dezember auch der Sender RTL seine Berichterstattung über Latife Arab zurückgezogen. "Aufgrund aktueller Zweifel an ihren Angaben zieht RTL die bisherige Berichterstattung bis zur vollständigen Aufklärung zurück." Latife Arab hält weiterhin an den Inhalten ihres Buches fest.