
Umweltdaten in Gefahr Deutsche Forscher retten US-Datenbestände
Wegen der Umstrukturierungen in US-Behörden, die zentrale Plattformen für Umwelt- und Klimadaten bereitstellen, sind Datenbestände gefährdet. Deutsche Einrichtungen engagieren sich für ihre Rettung.
Schon in Kürze sollen in den USA erste Plattformen abgeschaltet werden, die Daten zu den Folgen des globalen Klimawandels und insbesondere zu Veränderungen des Meerespiegels enthalten. Das bestätigte das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven MDR Investigativ.
"Einige Daten sind bereits nicht mehr zugänglich oder sollen im Mai vom Netz genommen werden", so AWI-Pressesprecher Roland Koch. Das betreffe zum Beispiel eine Seite mit Daten zu Meeresküsten der Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA (NOAA).
"Die Daten der NOAA dienen beispielsweise auch einem besseren Verständnis von El Niño/La Niña-Ereignissen, von Tornados, Hurrikanen oder der Ausbreitung von Luftschadstoffen." Wenn solche Daten dauerhaft fehlten, würden Frühwarnsysteme, Küstenschutzmaßnahmen und internationale Klimamodelle an Präzision verlieren, warnt Koch.
"Löcher auf der Karte"
Fällt ein Partner wie die NOAA aus, entstehen buchstäblich "Löcher auf der Karte", erläutert Wolfgang zu Castell, Direktor des Department Geoinformationen am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam. Gemeint sind Lücken in globalen Messnetzen zur Erdbeobachtung, auf die Klimamodelle und Frühwarnsysteme angewiesen sind.
Besonders folgenreich ist dies, weil Daten international arbeitsteilig verarbeitet werden. Sensoren in Ozeanen liefern Rohdaten, die anschließend von unterschiedlichen Partnern aufbereitet werden. Bricht ein Glied dieser Kette weg, droht ein bleibender Schaden.
Mehrere Hundert Terabyte an Daten
Um einem Datenverlust zuvorzukommen, erstellen mehrere deutsche Forschungseinrichtungen derzeit Sicherungskopien besonders gefährdeter US-Datenbestände. Die Helmholtz-Zentren für Umweltforschung (UFZ), Ozeanforschung (GEOMAR), Geoforschung (GFZ), Polar- und Meeresforschung (AWI) sowie das Deutsche Klimarechenzentrum koordinieren gemeinsame technische Lösungen - bisher im Umfang von mehreren Hundert Terabyte. Doch der Bedarf könnte schnell weiter steigen.
"Wir retten vor allem die Daten, bei denen US-Kollegen uns konkret um Hilfe gebeten haben", so AWI-Sprecher Koch. Dabei gehe es nicht allein ums Speichern, sondern auch darum, dass diese Daten weiterhin nutzbar bleiben - insbesondere, wenn wichtige Verarbeitungsschritte bislang ausschließlich in den USA durchgeführt wurden.
Gespräche mit der NOAA laufen bereits, berichtet das AWI. Viele US-Partner seien jedoch derzeit stark verunsichert, einige Kontakte bereits abgebrochen.
Kritische Informationen
Erste Datenübernahmen in das Forschungsdatenarchiv PANGAEA laufen aktuell. Ähnliche Anfragen bestätigt auch das GFZ, bislang jedoch in kleinerem Umfang zu geowissenschaftlichen Datendiensten.
Auch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig berichtet von eingeschränktem Zugriff auf Satelliten- und Ozeanbeobachtungsdaten aus den USA. "Für unsere Forschung sind diese Informationen kritisch, da es nicht immer europäische Alternativen gibt", erklärt Katrin Böhning-Gaese, wissenschaftliche Geschäftsführerin des UFZ.
Die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) fragte nach Angaben von Böhning-Gaese sogar an, ob europäische Partner Datenbanken zur toxikologischen Bewertung von Chemikalien übernehmen könnten. Eine MDR-Anfrage an EPA blieb inhaltlich unbeantwortet. Man teilte lediglich mit, grundsätzlich weiter verpflichtet zu sein, Daten öffentlich zugänglich zu machen.
"Koalition der Willigen"
Um schnell reagieren zu können, organisieren sich die Helmholtz-Zentren derzeit in einer "Koalition der Willigen", wie Wolfgang zu Castell erläutert. Ziel sei es, Speicherkapazitäten, Fachwissen und Schnittstellen gemeinsam zu koordinieren - bevor zentrale Daten unwiderruflich verloren gehen.
Gleichzeitig warnen AWI und GFZ vor einer möglichen Überlastung: Sollte die Zahl der Datenübernahmen stark steigen, könnten die derzeitigen IT-Kapazitäten schnell an ihre Grenzen stoßen. Viele der betroffenen Daten durchlaufen mehrstufige Verarbeitungsprozesse, an denen internationale Partner beteiligt sind. Für einige dieser Prozesse gibt es bislang keine europäischen Alternativen. Wenn entsprechende Dienste in den USA wegbrechen, müsse Europa rasch in der Lage sein, diese Aufgaben eigenständig aufzufangen.
Systematische Einschränkungen zentraler Datenflüsse
Hintergrund der aktuellen Entwicklung ist ein geplanter Umbau der US-Klimabehörde NOAA. Nach Informationen der US-Nachrichtenplattform Politico will die Trump-Regierung zentrale Forschungseinheiten wie das "Office of Oceanic and Atmospheric Research" auflösen. Diese Behörde spielt eine zentrale Rolle in der weltweiten Umwelt- und Klimaforschung. Sie liefert Messdaten und koordiniert internationale Programme - etwa zur Erfassung von Meeresströmungen oder Extremwetterwarnungen.
Schon während der ersten Trump-Amtszeit 2016 hatten Forschende vor möglichen Datenverlusten gewarnt. Damals gründeten sich Initiativen wie "Data Refuge", um öffentlich zugängliche Daten vor politisch motivierten Löschungen zu schützen. Die jetzige Entwicklung gehe jedoch weit darüber hinaus: Fachleute berichten von systematischen Einschränkungen zentraler Datenflüsse, gezielten Zugriffsbeschränkungen und drastischen Budgetkürzungen mit massiven Folgen für Forschung und internationale Kooperationen.
Ein deutscher Forscher, der nicht genannt werden will, beschreibt gegenüber tagesschau.de den Eindruck, dass die Trump-Regierung diesmal deutlich besser vorbereitet, schneller und gezielter gegen die Wissenschaft vorgehe. "Das betrifft ganz massiv die Bereiche Umwelt, Gesundheit und Klima - findet aber überall statt."
Schweigen aus Sorge um US-Partner
Eine große deutsche Forschungseinrichtung spricht von tiefer Verunsicherung. Offen äußern möchte man sich aber nicht aus Sorge, US-Partner in Schwierigkeiten zu bringen. Nach tagesschau.de-Informationen können kritische Aussagen in den USA ernste Konsequenzen nach sich ziehen.
Diese Zurückhaltung ist verbreitet. Forschungseinrichtungen wie Max-Planck, Leibniz und Fraunhofer halten sich gegenüber tagesschau.de ebenfalls bedeckt. Intern laufen jedoch intensive Abstimmungen. US-Behörden sollen teilweise aktiv den Austausch mit Europa einschränken. NOAA-Mitarbeitende etwa dürfen keine Metadaten mehr zu Schiffsexpeditionen weitergeben, was die gemeinsame internationale Forschung erheblich erschwert.
Einer beschreibt die Situation so: "Es herrscht breite Verunsicherung, dass wenn sie den Kopf zu weit rausstrecken, der Rasenmäher erst recht kommt". Auch deshalb sei der Austausch mit europäischen Partnern häufig informell, vertraulich und nur über gesicherte Kanäle möglich.
Weniger Abhängigkeiten, mehr Souveränität
Zugleich stellt die Lage europäische Forschungseinrichtungen vor neue Fragen. Die Helmholtz-Gemeinschaft sowie die Fraunhofer-Gesellschaft bestätigen, dass das Bundesforschungsministerium die Allianz der Wissenschaftsorganisationen gebeten hat, mögliche Abhängigkeiten der deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft von US-amerikanischen Daten und Datenbanken zu eruieren. Eine entsprechende Prüfung ist angelaufen. Ergebnisse stehen noch aus.
Der Ausfall zentraler US-Infrastrukturen stellt Europas Forschung vor eine strategische Grundsatzfrage: Wie groß darf die Abhängigkeit von internationalen Partnern sein, wenn deren Verlässlichkeit schwindet? Und wie souverän muss Europa werden, um seine wissenschaftliche Handlungsfähigkeit zu sichern?
Auch die Fraunhofer-Gesellschaft hält die aktuelle Lage für bedenklich: "Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Entwicklungen erscheint es zumindest kritisch, dass die Verantwortung für viele Datensysteme und -banken nicht in Europa bzw. Deutschland liegt, sondern diese international verortet sind."