Schwangerschaftsabbruch 100 Kilometer bis zur nächsten Arztpraxis
Dass das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche fällt, ändert nichts an einem grundsätzlichen Problem: In vielen Regionen finden Frauen keine Ärztinnen oder Ärzte, die Abbrüche vornehmen.
"Es kann nicht sein, dass Frauen in einer so existenziellen Situation hier in unserer Stadt allein gelassen werden", kritisiert Claudia Heltemes, Leiterin der Beratungsstelle pro familia in Trier. Die Psychologin berät regelmäßig Frauen, die unsicher darüber sind, ob sie ihre Schwangerschaft fortsetzen oder aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände abbrechen möchten.
Wenn sie sich nach der ausführlichen Beratung für einen Abbruch entscheiden, dann muss Claudia Heltemes die Frauen ins benachbarte Saarland schicken, etwa 100 Kilometer weit weg. Dort gibt es zwei Praxen, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden. In Trier hingegen gibt es keine einzige Praxis, die das macht.
"Die Versorgungssituation ist bundesweit in den letzten 20 Jahren immer schlimmer geworden", berichtet Heltemes. "Die Region Trier ist bundesweit mit am schlechtesten versorgt, denn hier gab es auch schon zuvor kein Angebot zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen."
Es gibt in Trier keine Klinik, die einen so genannten Versorgungsvertrag mit einem Arzt zur Notfallversorgung nach Schwangerschaftsabbruch abschließen würde - eine Voraussetzung, um als Arzt eine Zulassung für Schwangerschaftsabbrüche in der eigenen Praxis zu erhalten. Das liegt auch daran, dass die Kliniken mit gynäkologischer Abteilung hier in katholischer Trägerschaft sind.
Immer weniger Ärzte für Schwangerschaftsabbrüche
Bundesweit geht die Zahl der Ärzte, die Abbrüche vornehmen, seit Jahren zurück. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren vor 20 Jahren noch etwa 2000 Arztpraxen, OP-Zentren und Kliniken gemeldet, die den Eingriff vornehmen. Bis zum Jahr 2018 hat sich die Zahl fast halbiert. Derzeit führen 1089 medizinische Einrichtungen in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche durch.
Heltemes will das nicht hinnehmen. Sie setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, auch frei wählen können, wo sie das tun. Hundert Kilometer fahren zu müssen, sei eine Zumutung, findet sie. Ein Eingriff in Vollnarkose lasse sich nur dann realisieren, wenn die Frau eine Begleitperson habe, aber: "Frauen, die abtreiben wollen, können oder wollen sich nicht immer einer anderen Person anvertrauen", weiß Heltemes.
Gesellschaftlich werde das Thema Schwangerschaftsabbruch noch immer tabuisiert, und den Frauen werde suggeriert, sie täten "etwas Anrüchiges oder Gesetzeswidriges". Deshalb scheuten sich womöglich auch viele Ärztinnen und Ärzte davor, den Eingriff anzubieten, vermutet die Psychologin. Besonders in katholischen Regionen, wie in Trier.
Anfeindungen gegen Ärzteschaft
Tatsächlich sind Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Abtreibungsgegner veranstalten Mahnwachen vor Praxen oder organisieren Gebetsversammlungen vor Beratungsstellen.
Klaus Doubek, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte e.V. (BVF) findet deshalb, dass die Aufhebung von Paragraf 219a nicht ausreicht. Der Berufsverband sehe "den dringenden Bedarf, dass der Gesetzgeber auch Rahmenbedingungen schafft, die keinen Spielraum für Anfeindung und Bedrängung zulassen - weder bei den Frauen noch bei den Ärztinnen und Ärzten."
Abschaffung von Paragraf 219a nur der erste Schritt
Die Aufhebung von Paragraf 219a sieht der Berufsverband als ersten, richtigen Schritt an. Frauenärztinnen und Frauenärzten müsse die medizinische und sachliche Information über den Ablauf und die Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs möglich sein. Für die hilfesuchenden Frauen sei es "nicht hinnehmbar, ihnen den direkten Zugang zu diesen Informationen zu erschweren", meint Doubek.
Grundsätzlich sieht es der Bundesverband aus medizinischer Sicht als notwendig an, Frauen in der Lebenssituation einer ungewollten Schwangerschaft "auf hohem medizinischem und menschlichem Niveau" zu versorgen.
Adäquate Versorgung notwendig
Ein Schwangerschaftsabbruch bringe große körperliche und psychische Risiken mit sich, wenn er nicht von Fachleuten in einem professionellen medizinischen Umfeld durchgeführt wird: "Sichere Schwangerschaftsabbrüche müssen als elementarer Bestandteil der Gesundheitsversorgung betrachtet werden", sagt Klaus Doubek. Das Risiko, nach einem Schwangerschaftsabbruch psychische Probleme zu entwickeln, stehe "im Zusammenhang mit Tabuisierungs- und Stigmatisierungserfahrungen bei den Frauen", erläutert der Mediziner.
In der Trierer Beratungsstelle von pro familia suchen jährlich etwa 350 Schwangere Rat und Hilfe. Ihre Geschichten sind so unterschiedlich wie die Frauen selbst, sagt Psychologin Heltemes. Da sitze die 16-Jährige bei ihr in der Beratung, die sich für ein Kind zu jung fühlt, oder die dreifache Mutter, die am Existenzminimum lebt und ein weiteres Kind finanziell nicht stemmen könnte. Jede Frau müsse das Recht haben, eine freie Entscheidung für ihr Leben zu fällen.
Und auch ein Recht darauf, medizinische Versorgung dort zu bekommen, wo sie sie braucht. Dafür will Claudia Heltemes weiterkämpfen. Erst kürzlich habe sie das Gespräch mit dem Chefarzt einer Klinik in Trier gesucht - bisher ohne Erfolg.
Doch die Zeit drängt, weiß die Beraterin. Denn eine der beiden Adressen im Saarland, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, könnte bald aus Altersgründen wegfallen. Wenn sich bis dahin niemand findet, müssen die Frauen für den Eingriff noch weiter weg fahren - nach Koblenz, Kaiserslautern oder Mainz.