
Brandenburg Warum nur wenige kompetent Niedersorbisch sprechen - und was das bedeutet
Niedersorbisch ist im Cottbuser Straßenbild allgegenwärtig. Die Sprache ist eng mit Identität und Kultur der Sorben/Wenden verknüpft. Eine Studie zeigt: Richtig gut sprechen sie aber nur wenige. Von P. Manske und I. Schilka
In Cottbus ist die niedersorbische Sprache allgegenwärtig. Viele Straßenschilder sind zweisprachig und sogar die Parkautomaten können Niedersorbisch. Zu hören ist die Sprache im Alltag heute aber eher selten.
Bis in die 1950er Jahre war Niedersorbisch weit verbreitet in der Region. In Nazi-Deutschland wurde die slawische Minderheit der Sorben/Wenden unterdrückt, in der DDR kaum gefördert. Schließlich verdrängten auch Industrialisierung und Zuzug die Sprache weiter aus dem täglichen Leben. Viele der Passanten, die der rbb in der Innenstadt fragt, sprechen kein Niedersorbisch - oder können es nur bruchstückhaft. Eine Fußgängerin gibt ihren Wortschatz ironisch grinsend mit dem Ausruf "Stara Nałpa - alter Affe!" zum Besten.
Seit den 1990er Jahren haben laut des sorbischen Instituts in Cottbus zwar bis zu 10.000 Schülerinnen und Schüler sorbisch gelernt. Besonders nachhaltig scheint das offenbar nicht gewesen zu sein, wie jetzt die Autoren einer neue Studie sagen.
Niedersorbisch auf C1 oder C2-Niveau
Die Untersuchung zweier wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Sorabistik an der Universität Leipzig kommt zu einem niederschmetternden Ergebnis. Die Autoren schätzen, dass es nur noch 50 bis 100 kompetente Sprecher der niedersorbischen Sprache gibt. Sie werden definiert als: "Personen, die Niedersorbisch […] sprechen, hören, schreiben, lesen können […], ähnlich den Definitionen C1 und C2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen."
Die Autoren haben für ihre Ergebnisse statistische Berechnungen angestellt. Von Dorf zu Dorf gehen, und nach kompetenten Sprechern fragen - das war schon ressourcentechnisch nicht umzusetzen, wie Till Vogt, einer der beiden Autoren, sagt.
"Wir haben stichprobenartige Zählungen durchgeführt", erklärt er. Dazu haben sie sich zum Beispiel die Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern oder Teilnehmern von Sprachkursen angeschaut, die Ergebnisse "extrapoliert" und hochgerechnet. Anhand der erfassten Daten aus der untersuchten Gruppe wurde also abgeschätzt, wie groß der Anteil der kompetenten Sprecher im Rest der Bevölkerung ist.

Gemischte Reaktionen zu Ergebnissen
Hartmut Leipner zeigt sich von den Studienergebnissen nicht überrascht. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der Domowina, des Interessenverbands des sorbischen/wendischen Volkes. "Das ist die Realität", sagt er mit Blick auf die Zahlen - die nach seiner Einschätzung auch mit einer angemessenen wissenschaftlichen Methodik erhoben wurden.
Doch es gibt auch Kritik an der Untersuchung: Sie erwecke einen falschen Eindruck, so Měto Nowak vom sorbischen Institut in Cottbus. Viele könnten glauben, dass nur noch 50 bis 100 Menschen fließend Sorbisch sprechen.
Die Studie ignoriere laut Nowak Menschen, "für die die Sprache im Alltag Mittel der Kommunikation ist, aber eben nicht auf einem voll ausgeprägten Niveau in allen Sprachbereichen“. Er meint damit: All die, die sich im Alltag verständigen, aber vielleicht keine Finanzgespräche auf Niedersorbisch führen können, würden nicht dazu zählen.
Für Autor Till Vogt ist der von Měto Nowak gewonnene Eindruck ein falscher. "Wir wollen keine sprachliche Elite", so der wissenschaftliche Mitarbeiter. "C1 ist das Niveau, das von einem Abiturienten erwartet wird, beispielsweise in Englisch, im Leistungskurs."
Vogt: Besser ausgebildetes Lehrpersonal nötig
Doch wie kann diese Entwicklung aufgehalten oder sogar umgekehrt werden? Schließlich hat sich die Domowina zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2100 wieder 100.000 Sorbisch/Wendisch-sprechende Menschen in der Region zu haben. Den aktuellen Trend umzukehren könnte zur Mammutaufgabe werden.
Die wenigen kompetenten Sprecher seien "die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, um die Sprache weiterzugeben, sei es im Bildungssystem, sei es auch in sorbischsprachigen Familien", sagt Till Vogt. Aktuell gebe es aber gerade mal 15 Familien, in denen noch kompetent und hauptsächlich Niedersorbisch gesprochen wird.
Vogt plädiert darum für eine bessere sprachliche Ausbildung von Lehrpersonal und für mehr Niedersorbisch im Schulunterricht. Auch immersive Lernformen wie den Vollzeit-Sprachkurs "Zorja" hält er für sinnvoll. Dort wird ein halbes Jahr lang nicht nur im Unterricht Sorbisch/Wendisch gesprochen, auch der Alltag um den Kurs wird in der Sprache bestritten. "Das heißt Eintauchen in die Sprache. Und das ist ein möglicher Weg zur Revitalisierung."
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 06.04.2025, 19:30 Uhr