Archivbild: Ein Demonstrant raucht einen Joint. (Quelle: dpa/Riedl)

Berlin Ein Jahr Cannabis-Freigabe: Schwarzmarkt laut Polizei nicht eingedämmt

Stand: 01.04.2025 10:01 Uhr

Ein Jahr Erfahrung mit der Cannabis-Freigabe hat keine Annäherung gebracht zwischen Befürwortern und Kritikern in Berlin. Diskutiert wird weiter über Zuständigkeiten genauso wie über medizinische Folgen. Die CDU fordert eine Rolle rückwärts. Von Sabine Müller

Stolz zieht Deborah Reich das noch recht frische Behördenschreiben vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) aus der Tasche. "Wir haben unsere Anbauerlaubnis am 14. März erhalten", sagt die 34-jährige Vorstandsvorsitzende von "Tom Hemp's", einer der fünf Cannabis-Anbauvereinigungen, die in Berlin bisher genehmigt sind. Unter anderem in Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Pankow. Die Anträge von 21 weiteren Vereinen sind laut Lageso aktuell in Bearbeitung.
 
Ein passendes Gebäude im Bezirk Lichtenberg sei angemietet, erzählt Deborah Reich, auf 700 Quadratmetern soll dort Cannabis angebaut werden. Noch ist das Gebäude aber leer, Reich wollte erst die Behördenerlaubnis abwarten, bevor sie ins Equipment investiert. "Wir gehen davon aus, dass wir Anfang Mai mit dem Anbau beginnen und dann drei Monate später die erste Ernte erreichen."

Jana Halbreiter, Vorstandsvorsitzende Green Leaf Society, gibt in der Ausgabe der Cannabis-Anbauvereinigung Green Leaf Society Marco, Gründungsmitglied des Vereins, seinen Ernteanteil aus am 11.01.2025.(Quelle: picture alliance/dpa/Sebastian Gollnow)
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Anbauvereine starten, aber Hürden bleiben

Der Antragsprozess war aufwändig. Anfang Dezember reichte "Tom Hemp’s" beim Lageso über 150 Seiten Formulare ein – inklusive Jugendschutz- und Gesundheitskonzept. Nachgewiesen werden musste unter anderem, dass das Gebäude die vorgeschriebenen Abstandsregeln einhält. Anbauvereinigungen müssen mindestens 200 Meter von Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Jugendclubs oder Spielplätzen entfernt sein. Im dichtbesiedelten Berlin gibt es nicht viele geeignete Orte, auf die das zutrifft.
 
Die Zusammenarbeit mit dem Lageso fand Deborah Reich "super". Jetzt will sie zeitnah beim Ordnungsamt Lichtenberg vorsprechen – denn für die Kontrolle der Cannabis-Vereine sollen nach dem Willen des Senats die Bezirke zuständig sein.

"Unsinnig und uneffektiv"

Aus dem Bezirksamt Lichtenberg heißt es auf rbb-Anfrage aber, für neue Aufgaben sei kein Personal da, der Senat habe bislang keine Planstellen bewilligt.
 
Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf, wo die erste genehmigte Cannabis-Anbauvereinigung sitzt, gab es bisher keine Kontrollen durch das Ordnungsamt. Der Bezirk schreibt dem rbb: "Inwiefern die bezirklichen Ordnungsämter für die Kontrollen zuständig sind, ist noch in Klärung."
 
Der Ordnungsstadtrat von Treptow-Köpenick, Bernd Geschanowski (AfD), konstatiert einen stadtweiten Widerstand. "Alle Ordnungsamtstadträte waren sich in den Gesprächen mit der Senatskanzlei einig, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten auf das Lageso und die Bezirke völlig unsinnig und uneffektiv ist."
 
Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) räumt ein, dass es noch nicht "rund läuft". Sie setze aber darauf, dass diese Streitfragen im Zuge der geplanten Verwaltungsreform geklärt würden.

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Ärzte berichten von gestiegenem Konsum

Zum Jahrestag der Teil-Legalisierung an diesem Dienstag kommt aber nicht nur aus den Bezirken Kritik. "Das Problembewusstsein des Konsums sinkt", sagt Felix Betzler, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Seiner Ansicht nach haben viele Menschen das Konzept der Legalisierung nicht richtig verstanden. "Wenn eine Substanz legalisiert wird, bedeutet das nicht, dass sie weniger schädlich ist als vorher." Und Cannabis habe einen schädlichen Einfluss auf das menschliche Gehirn, betont Betzler.
 
Betzlers Kollege Stefan Gutwinski erzählt, er erlebe bei vielen seiner Patientinnen und Patienten genau das, was er befürchtet habe: einen zunehmenden Cannabis-Konsum. Aus anderen Bundesländern kommen ähnliche Berichte von Ärztinnen und Ärzten.
 
"Ob das mit der Legalisierung zu tun hat, würde ich eher in Frage stellen", sagt allerdings Gesundheitssenatorin Czyborra. Denn man sehe gerade grundsätzlich einen Anstieg beim kritischen Drogenkonsumverhalten.

Ist es zu früh für ein Fazit?

Auch die Bilanz der Polizei zum Jahrestag fällt kritisch aus. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel beklagt, das neue Gesetz habe den Schwarzmarkt rund um Cannabis nicht zurückdrängen können, im Gegenteil, er floriere.
 
Gesundheitssenatorin Czyborra mahnt Geduld an. "Ob das Gesetz am Ende des Tages die Ziele erreicht, die wir erreichen wollen, werden wir in vielleicht ein, zwei Jahren sehen können. Heute ist es viel zu früh, das zu beurteilen."
 
Beim Koalitionspartner CDU haben viele ihr Urteil aber längst gefällt. Justizsenatorin Felor Badenberg beklagt unter anderem die Zusatzbelastung der Justiz. Wegen der Amnestieregelung für Altfälle müssen in Berlin etwa 5.400 Strafverfahren überprüft werden, 249 waren bis Mitte März geschafft. In 178 Fällen wurden bereits verhängte Strafen wegen Verstößen mit Marihuana oder Haschisch erlassen, 71 Mal wurden die Strafen neu bestimmt. In einem Fall wurde ein Häftling entlassen.

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CDU fordert Rücknahme der Teil-Legalisierung

Auch mit Verweis auf den Gesundheitsschutz und den nicht eingedämmten Schwarzmarkt (und damit auch die organisierte Kriminalität) nennt Senatorin Badenberg die Teil-Legalisierung einen "Fehler, der unserem Land langfristig Schaden zufügt". "Deshalb kann es kein 'Weiter so' geben", fordert der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Zander. "Man sollte alles daransetzen, das Gesetz zu korrigieren oder sogar wieder rückgängig zu machen."
 
Die Rücknahme der Teil-Legalisierung ist eine der Unions-Forderungen bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene. Die Berliner SPD-Gesundheitssenatorin Czyborra warnt davor, das Gesetz nach so kurzer Zeit abzuschaffen, "ohne ihm eine Chance zu geben, tatsächlich wirksam zu werden". Was die Eindämmung des Schwarzmarkts angehe, aber auch das Ziel, bessere Strukturen bei Prävention und Jugendschutz aufzubauen, sagt Czyborra. "Ich glaube nach wie vor, dass es der richtige Weg ist."
 
Das sieht Deborah Reich von der Anbauvereinigung "Tom Hemp's" genauso. Für sie steht auch finanziell viel auf dem Spiel, denn sie hat für das Projekt sogar einen Kredit aufgenommen, wie sie sagt. "Eine Rücknahme des Gesetzes wäre für alle eine Katastrophe, die viel Zeit, Geld und Energie in dieses Projekt investiert haben."

Sendung: rbb 88.8, 01.04.2025, 6:30 Uhr