Archivbild:Letzter Tanzabend in Clärchens Ballhaus vor der Sanierung am 12.01.2020.(Quelle:imago images/Berlinfoto)

Berlin Clärchens Ballhaus - der zeitlose Charme eines Berliner Originals

Stand: 12.04.2025 08:28 Uhr

Clärchens Ballhaus ist seit über 100 Jahren weit mehr als nur ein Tanzlokal – deswegen hat Marion Kiesow seine Geschichte aufgeschrieben. Ein Interview über den unkaputtbaren Charme eines Berliner Originals.

Frau Kiesow, Clärchens Ballhaus in der Auguststraße ist als Tanzlokal schon lange eine Berliner Legende. Wie hat es Sie dorthin verschlagen, was war Ihr erster Eindruck?
 
Marion Kiesow: Mich hat damals eine Freundin eingeladen. Ich war immer auf der Suche nach neuen Orten, wo ich mich ein bisschen zur Musik bewegen kann. Sie meinte, Clärchens Ballhaus sei für jede Altersgruppe da. 2005 war ich zum ersten Mal hier und war überrascht, dass ein alter Herr hinterm Tresen stand. Den fand ich faszinierend, freundlich und auch kess. Dass sich der Saalchef bei mir unterhakt und zum Saal begleitet, hatte ich noch nie zuvor erlebt. Dann saß ich in diesem Tanzsaal und habe mich gefragt, seit wann es das hier gibt? Ich hatte das Gefühl, hier tanzen noch die Generationen vor mir. In dem Moment war es um mich geschehen.

Was hat Sie dazu bewogen, sich so intensiv mit Clärchens Ballhaus auseinanderzusetzen?
 
Im Tanzsaal konnte man die Geschichte miterleben, der Ort liegt ja mitten in der Stadt. Hier konnte ich mein geschichtliches Interesse mit meiner Neugierde für die gesamte Kulturgeschichte der letzten 100 Jahre verbinden und mich den folgenden Fragen widmen: Was hat eine Frau vor 100 Jahren hier angezogen? Was hat sie getrunken? Wie war das Lebensgefühl? Wie war die gesamtpolitische Lage?

Wer ist denn Clärchen von Clärchens Ballhaus?

Geboren wurde sie in der Nähe von Cottbus als Tochter eines Schäfers. Dann ist sie nach Berlin gekommen und hat sich hier langsam hochgearbeitet. Zunächst war sie Köchin für kalte Speisen. Sie hat Fritz Bühler kennengelernt und ihn 1912 geheiratet. 1913 hat dieses Ehepaar dann das Ballhaus gegründet. Das Gebäude stand schon, wurde aber zum Ballhaus umfunktioniert. Es hieß zwar Bühlers Ballhaus, was auch gut sichtbar außen dran stand, doch jeder Berliner wusste, wer hier die Hosen anhatte und das Sagen hatte. Man sprach nur davon, dass man zu Clärchen ging.

Archivbild:Eingedeckte Tische im neueröffneten Clärchens Ballhaus am 10.09.2020.(Quelle:imago images/F. Anthea Schaap)

Eingedeckte Tische im neueröffneten Clärchens Ballhaus am 10.09.2020.

Wie würden Sie sie beschreiben?

Das hervorstechendste an Clärchen ist, dass sie gar kein Vergnügungsmensch war und trotzdem kontinuierlich dafür gesorgt hat, dass dieser Ort erhalten bleibt. Sie war unermüdlich in ihrem Bestreben, das Ballhaus zu erhalten. Sie war fantasievoll, sparsam, tough, streng, aber gerecht. Und sie war eine knallharte Geschäftsfrau. Als ihr Mann starb, hat sie sich einen neuen Ehemann gesucht und nach wie vor alles selbst organisiert. Irgendwann hat dann ihre Stieftochter übernommen.

War die Zeit der Ballhäuser in den 20er Jahren schon wieder vorbei?

Nein, in den 20ern war es noch gang und gäbe, sich hier zu treffen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Ballhäuser an Bedeutung verloren, als der Rock’n’Roll aufkam.
 
In Ihrem Buch ist auch die Rede von einem verruchten Ort. Was trug zu dieser Wirkung bei?
 
Stellenweise gab es hier Liebschaften, die nur eine Nacht oder bis zur nächsten Straßenecke gehalten haben. Es war ein ganz schöner Umschlagmarkt. Eine Frau meinte zu mir, der Ort wirke auf sie ein bisschen dunkel und irgendwie undurchsichtig. Ich gehe hier seit 2005 tanzen - und ganz so habe ich es selbst nicht mehr erlebt.
 
Wie veränderte sich das Ausgehen während der Nazizeit?
 
Plötzlich gab es altdeutsche Bälle und Motto-Bälle, und es wurde stärker auf "Zucht und Ordnung" geachtet. Die 20er Jahre waren da schon etwas wilder. Im Krieg haben sich hier dann die Wehrmachtsoffiziere einquartiert und ihre Kriegsplanung betrieben.

Archivbild:Zwei Menschen stehen vor dem erleuchteten Eingang von Clärchens Ballhaus am 29.04.2025.(Quelle:picture alliance/SZ Photo/R.Zöllner)

Der hell erleuchtete Eingang von Clärchens Ballhaus

Während der DDR-Zeit haben sich hier wohl auch Ost und West zum Tanzen getroffen?
 
Ich sage immer: Ost und West sind sich nie nähergekommen als in Clärchens Ballhaus. Viele Beziehungen haben sich hier gefunden, für wie lange auch immer. Die Stasi soll die Leute von hier oben mit einem kleinen Radio abgehört haben, manche soll sie auch erpresst haben.

Clärchens Ballhaus hat Beständigkeit - kein Investor scheint es über das Herz zu bringen, hier grundsätzlich etwas zu verändern. Wie erklären Sie sich das?

Ich denke, dass es hier so etwas wie einen Ballhausgeist gibt. Und der wird wahrscheinlich auf ewige Zeiten verhindern, dass was abgerissen wird. Ich bekomme sehr oft zu hören, dass hier eine besondere Atmosphäre herrscht. Man spürt, dass man die nicht einfach überlackieren kann. Man hat eine gewisse Achtung davor. Tarantino hat hier schon mit Brad Pitt und Christoph Waltz gedreht. Alle möglichen Hollywoodstars sind mal durchgelaufen. Es gibt diesen Spruch "Berlin ist immer ein Werden und nie ein Sein" und Clärchen ist halt wirklich immer noch an diesem Ort. Es verändert sich auch, aber es ist immer noch da.

Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview mit Marion Kiesow führte Tim Evers für rbbKultur - das Magazin.
Redaktionelle Bearbeitung für rbb|24: Hendrik Matter

Sendung: rbbKultur – das Magazin, 05.04.2025, 18:30 Uhr