
Berlin Antisemitismus an Berliner Hochschulen: "Dieser Griff an die Davidstern-Kette, ob sie offen liegt oder verdeckt ist"
Die Proteste sind abgeflaut, die Camps abgebaut – doch die Stimmung an den Berliner Hochschulen ist weiterhin gereizt: Jüdische Studierende berichten weiter von Angst, Ausgrenzung und offenem Antisemitismus. Von Oda Tischewski
In den vergangenen Wochen scheint es still geworden zu sein um die pro-palästinensischen Proteste an Berliner Hochschulen. Von Hörsaalbesetzungen und Protest-Camps war nichts mehr zu hören, Debatten wie die um die Einladung der umstrittenen UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, liefen eher geordnet ab. Hat sich die Lage an den Hochschulen beruhigt?

Jüdische Studierende erheben schwere Vorwürfe
Ron Dekel ist im Februar zum neuen Präsidenten der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) gewählt worden und gerade von München nach Berlin gezogen. Für ihn ist die gegenwärtige Ruhe vor allem den äußeren Umständen geschuldet: "Das Einzige, was in der Zwischenzeit passiert ist, sind der Winter und die Semesterferien. Die Camps sind abgebaut worden, aber der Antisemitismus, den die Proteste in die Universitäten reingebracht haben, der ist geblieben, da hat sich nichts geändert. Das liegt auch daran, dass die Universitäten sich nicht klar positioniert haben. Und weil sie sich nicht klar positioniert haben, können sich Jüdinnen und Juden nicht sicher fühlen."

Ron Dekel, Präsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD)
Es sind schwere Vorwürfe, die die JSUD gegen die Hochschulen erhebt. Und es sind bedrückende Szenarien, die Ron Dekel beschreibt – der Angriff auf Lahav Shapira war für ihn eine absehbare Eskalation. "Zu diesem Zeitpunkt hatte die Aggressivität schon immer weiter zugenommen - auf dem Campus, aber auch drumherum. Viele jüdische Studierende haben sich vorher schon nicht an die Universitäten getraut. Darum muss man leider sagen, dass das nicht überraschend war."
"Das gefährdet die Wissenschaftsfreiheit"
Er sieht in der Atmosphäre an den Hochschulen eine Bedrohung - nicht nur für einzelne Personen: "Ich höre von vielen Mitstudierenden, dass man sich nicht mehr so offen zeigen will. Dieser Griff an die Brust, um zu gucken, ob meine Davidstern-Kette offen liegt oder vom Pullover verdeckt wird, den kannte ich bisher nur von nächtlichen U-Bahn-Fahrten - seit dem 7. Oktober kommt es gehäuft auch im universitären Kontext zu diesem Griff, nicht nur bei mir. Ich kenne Studierende, die sich ihre Lehrveranstaltungen nicht mehr danach aussuchen, was sie interessiert, sondern danach, wo sie stattfinden. Wo sind Leute, die mir vielleicht gefährlich werden können? Und das gefährdet die Wissenschaftsfreiheit!"
Die Freie Universität Berlin, an der Lahav Shapira und der mutmaßliche Täter studieren, bestreitet, sich nicht ausreichend gegen Antisemitismus auf dem Campus positioniert zu haben. So seien Ansprechpartner geschaffen, Gespräche geführt, Workshops angeboten, nach physischen Angriffen aber auch Hausverbote ausgesprochen worden, heißt es schriftlich aus der Pressestelle. "Unsere Universität [sic] nimmt ihre Verantwortung sehr ernst, sie unternimmt alles in ihren Möglichkeiten, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle Studierenden, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion, sicher und respektiert fühlen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Antisemitismus und Diskriminierung nicht allein über Sanktionen bekämpft werden oder verhindert werden können. Die Hochschule steht vor der Herausforderung, gleichermaßen die Meinungsfreiheit der Studierenden zu schützen und ein sicheres Umfeld für alle Mitglieder der akademischen Gemeinschaft zu gewährleisten."

Änderungen am Hochschulgesetz
Nach dem Angriff auf Lahav Shapira wurde das Berliner Hochschulgesetz geändert: Schon zuvor sah das Gesetz vor, dass Universitäten auf eine "diskriminierungsfreie Bildung" hinzuwirken haben. Doch die Änderung, die im Juli 2024 in Kraft trat, gibt den Hochschulen weiterreichende Sanktionsmöglichkeiten: Seither können die Hochschulen Studierende bei schwerem Fehlverhalten nicht nur rügen, zeitweise von Lehrveranstaltungen ausschließen oder ihnen Hausverbote erteilen, sondern sie in letzter Konsequenz auch exmatrikulieren.
Diese Ordnungsmaßnahmen waren erst 2021 aus dem Hochschulgesetz gestrichen worden, nun müssen die einzelnen Universitäten Satzungen verabschieden und sogenannte Ordnungsausschüsse bilden, um die Sanktionen rechtssicher aussprechen zu können. Bislang - so die Senatsverwaltung für Wissenschaft - sei aber noch an keiner der elf Hochschulen des Landes Berlin ein entsprechendes Statut in Kraft getreten.
Sendung: rbb24 Abendschau, 08.04.2025, 19:30 Uhr