
Schwarz-roter Koalitionsvertrag Doch wieder eine Vorratsdatenspeicherung?
Die neue Regierungskoalition will die Befugnisse der Sicherheitsbehörden erweitern. So sollen künftig IP-Adressen für drei Monate auf Vorrat gespeichert werden. Ist das rechtlich überhaupt möglich?
Für Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden wird der Koalitionsvertrag von Union und SPD ab Seite 82 besonders interessant. Denn dort geht es um die Erweiterung ihrer Befugnisse im Kampf gegen Straftaten. Dabei wollen die neuen Regierungsparteien auch ein Dauerthema angehen, das schon mehrere Bundesregierungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und nicht zuletzt auch zahlreiche Gerichte beschäftigt hat: die Vorratsdatenspeicherung.
"Das Spannungsverhältnis zwischen sicherheitspolitischen Erfordernissen und datenschutzrechtlichen Vorgaben muss (…) neu austariert werden", heißt es dort, gewissermaßen als Leitgedanke der künftigen Sicherheitspolitik. Und einen Absatz später ganz konkret: "Wir führen eine verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern ein."
Aktuell gibt es keine Vorratsdatenspeicherung. Ob und in welcher Form man sie wieder einführt, war in der Ampelkoalition ein ständiger Zankapfel. Rechtlich umstritten ist das Thema seit mehreren Jahrzehnten. Für Befürworter ist sie ein dringend notwendiges Instrument zur Bekämpfung schwerer Straftaten. Für die Kritiker ein viel zu starker Eingriff des Staates in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger.
Speichern auf Vorrat - begrenzter Zugriff
Ob es um frühere Gesetze oder eine neue Version geht - die Vorratsdatenspeicherung funktioniert im Prinzip folgendermaßen. Es geht um die Speicherung sogenannter Verbindungsdaten. Umfasst waren ursprünglich die Punkte: Wer hat wann mit wem wie lange telefoniert, und von welchem Ort aus; wer hat an wen eine E-Mail geschrieben; mit welcher IP-Adresse war wer wie lange im Internet unterwegs?
Diese Informationen werden in einem ersten Schritt "auf Vorrat" gespeichert - also flächendeckend und ohne, dass es dafür einen konkreten Verdacht geben müsste. Die Inhalte der Kommunikation, also das, was konkret gesprochen oder geschrieben wurde, werden aber nicht gespeichert.
Die Speicherpflicht trifft die privaten Telekommunikationsunternehmen. Auf ihren Servern müssen die Daten dann für einen begrenzten Zeitraum verfügbar sein. In einem zweiten Schritt können staatliche Behörden auf die Daten zugreifen. Aber nur unter strengen Voraussetzungen, um Straftaten aufklären zu können.
Strenge Vorgaben vom EuGH
Ein Gesetz dazu in Deutschland war 2010 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben worden. Eine spätere Regelung wurde nie angewandt, weil inzwischen auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) Grenzen gesetzt hatte.
2022 verkündete der EuGH dann eine Grundsatzentscheidung zur deutschen Vorratsdatenspeicherung. Danach ist die flächendeckende, Speicherung von Verbindungsdaten ohne Anlass - also schon der oben beschriebene erste Schritt - nur in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Nämlich vorübergehend bei einer real bestehenden Gefahr für die nationale Sicherheit, oder beschränkt auf bestimmte Personen und Orte, etwa Kriminalitätsschwerpunkte.
Der Grund für diese Einschränkungen: Aus der Gesamtheit der Daten könnten auch schon bei kurzer Speicherdauer genaue Schlüsse auf das Privatleben fast aller Menschen gezogen werden. Das sei ohne Anlass europarechtswidrig.
Aber der EuGH öffnete die Tür für eine Neuregelung in einem ganz bestimmten Punkt: Die IP-Adressen dürfen laut EuGH flächendeckend und anlasslos gespeichert werden. Genau hier möchte die neue schwarz-rote Koalition nun ansetzen.
Speicherung der IP-Adressen
Nach den richterlichen Vorgaben aus Luxemburg sieht die kommende Regierungskoalition nun den Weg frei für ein neues Gesetz zur Speicherung der IP-Adressen. IP ist die Abkürzung für "Internetprotokoll". Es handelt sich dabei um eine Ziffernfolge, die jedes internetfähige Gerät online eindeutig identifiziert. Also gewissermaßen eine Telefonnummer für das Internet.
Mittels der IP-Adresse kommuniziert das Gerät online. Dabei gibt es dynamische IP-Adressen, die vom jeweiligen Internet-Provider in regelmäßigen Abständen neu vergeben werden. Und es gibt statische IP-Adressen, die fest zugeordnet sind - oft etwa an Unternehmen.
Mit beiden Arten kann verfolgt werden, welches Gerät im Internet aktiv war. Bei einem entsprechenden Anlass könnten die Behörden also rückwirkend überprüfen, welche IP-Adresse wie lange und wo genau im Netz unterwegs war.
Dabei ist der IP-Adresse für sich genommen zunächst nur das entsprechende Gerät zugeordnet. Mithilfe weiterer Informationen kann darüber aber der Inhaber des jeweiligen Anschlusses ermittelt werden. Das muss nicht zwingend der tatsächliche Nutzer gewesen sein. Es können auch unterschiedliche Personen ein bestimmtes Gerät mit einer bestimmten IP-Adresse nutzen.
Ermittler fordern Speicherung
Die befristete Speicherung der IP-Adressen könne die Erfolgsquote bei der Verfolgung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und terroristische Straftaten deutlich erhöhen, sagte unlängst Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamts (BKA).
In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erläuterte er: Rund ein Viertel der "strafrechtlich relevanten Fälle im Zusammenhang mit der Verbreitung von Kinderpornografie konnten wir 2022 nicht weiterverfolgen, weil die IP-Adressen nicht mehr vorhanden waren und sie den einzigen Ermittlungsansatz darstellten". Laut Münch herrscht in Ermittlerkreisen weitgehende Einigkeit darüber, dass die Speicherung dieser Daten auf Vorrat die Strafverfolgung von Kriminalität im Internet deutlich erleichtere.
Kritiker bezweifeln Nutzen und Rechtmäßigkeit
Kritiker bezweifeln dagegen den Nutzen und die Rechtmäßigkeit auch einer begrenzten Vorratsdatenspeicherung. Der "Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung" nahm bereits Ende 2023 Stellung gegen die schon damals formulierte Forderung der CDU, IP-Adressen auf Vorrat zu speichern. In der Stellungnahme heißt es, dass bisher tatsächlich nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet wegen fehlender IP-Adressen nicht habe verfolgt werden können.
Demgegenüber bedeute eine anlasslose Speicherung der IP-Adressen das Ende der Anonymität im Internet. So hätte eine IP-Vorratsdatenspeicherung unzumutbare Folgen, wo Menschen "nur im Schutz der Anonymität überhaupt bereit sind, sich in einer Notsituation beraten und helfen zu lassen", "ihre Meinung trotz öffentlichen Drucks zu äußern oder Missstände bekannt zu machen". Bürger müssten vielmehr die Möglichkeit haben, sich anonym mit Journalisten, Behörden, Anwaltskanzleien, Beratungsstellen und Ärzten auszutauschen, ohne dabei zurückverfolgt werden zu können.
Im Streitfall müssen Gerichte entscheiden
Wie genau diese im Koalitionsvertrag festgehaltene Vereinbarung umgesetzt wird, muss der politische Prozess zeigen. Gut möglich, dass ein neues Gesetz dann wieder vor Gericht landen wird. Dann müsste die Justiz endgültig klären, ob der neueste Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz und mit EU-Recht vereinbar ist.