
Außenministerin Baerbock Ende einer Amtszeit auf "Highspeed"
Wenn Annalena Baerbock heute zum G7-Außenministertreffen in Kanada reist, ist es wohl eine ihrer letzten Dienstreisen. Ihre Amtszeit war bestimmt durch Kriege und Krisen. Was konnte sie erreichen? Und was wird aus ihr?
"Jahre auf Highspeed", so nannte Außenministerin Annalena Baerbock ihre Zeit in der Spitzenpolitik in einem Brief an die grüne Bundestagsfraktion Anfang März. Darin begründete sie ihren Rückzug aus der ersten Reihe auch mit dem "privaten Preis", den vor allem ihr Ministeramt forderte. Und doch sind Beobachter sicher: Chefdiplomatin wäre Baerbock bei einem anderen Wahlausgang wohl gern geblieben. Nun nimmt sie im Kreis der G7-Außenminister Abschied - und wird danach erst einmal einfaches Fraktionsmitglied.
Es ist das Ende atemloser Jahre, die wirken wie eine einzige lange Dienstreise. Baerbocks Arbeitspensum ist zweifellos groß - auch wenn sich das nicht allein in Flugkilometern bemessen lässt: Rund 160 Auslandsreisen benennt das Auswärtige Amt in einer Antwort auf eine Unions-Anfrage im Bundestag. Etliche der 77 Länder hat Baerbock dabei mehrfach besucht, in der Ukraine war sie beispielsweise neun Mal.
Hinter den Zahlen steht eine Amtszeit inmitten von Kriegen und Krisen. Schon wenige Wochen nach Baerbocks Amtsantritt startete Russland seine Vollinvasion der Ukraine. Im Oktober 2023 überfiel die Hamas mit ihrem Terror Israel. "Im Auswärtigen Amt sagen viele: So eine Phase hat es noch nie gegeben", erzählte die Ministerin in einem Podcast im Herbst 2024.
Von "Krisen- und Pendeldiplomatie" spricht das Außenministerium selbst - und will damit wohl auch der Kritik zuvorkommen, dass eine grüne Außenministerin so viel im Flieger sitzt. "Noch nie zuvor war es so wichtig, mit Staaten und Regierungen im Gespräch zu bleiben - und das von Angesicht zu Angesicht", heißt es aus dem Ministerium auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios.
Weitere Krisenherde verhindern
Aber was kann man damit erreichen? Wie ist die Bilanz dieser unermüdlichen Reisen? Die großen Durchbrüche blieben aus, so wirkt es - auch wenn eine deutsche Außenministerin diese ohnehin nicht allein erreichen kann. Baerbock spricht immer wieder davon, dass es auch ein Erfolg sei, noch weitere Krisenherde verhindert zu haben.
Sie verweist auf das Beispiel Moldau. Auch dort, im kleinsten Nachbarland der Ukraine, habe Russland versucht zu destabilisieren - nach einem "perfiden Drehbuch", so nennt es Baerbock. Unter anderem drehte Russland den Gashahn zu, erschwerte den Handel. In Berlin wurde 2022 die "Moldau-Unterstützungsplattform" ins Leben gerufen, damit das Land Unterstützung bei Energieversorgung und Cyberabwehr erhält.
Dabei betont Baerbock gern die Rolle von Frauen in Führungspositionen, etwa von Moldaus Präsidentin Maia Sandu. "Als Frauen wissen wir, dass Fake News und Lügen oft besonders perfide gegen Frauen gerichtet sind", sagte sie in ihrer Rede auf der Moldau-Konferenz 2024. Und lobte ihre moldauische Amtskollegin: "Sie haben gerade als Frau besonderen Widerstand dagegen geleistet."
Die erste weibliche Chefdiplomatin
Baerbock hebt hervor, dass sie im ständigen Krisenmodus nicht nur rational sein wolle. Manchmal müsse man "das Herz ein bisschen zulassen", sagt sie. Das Betonen von Emotionen ist einer der Unterschiede zwischen Baerbock und ihren Vorgängern. Sie war die erste weibliche Chefdiplomatin der Bundesrepublik und wollte das Amt auch dadurch prägen.
Den Frauenanteil in Führungspositionen hat Baerbock in ihrem Haus insgesamt etwas steigern können, von rund 24 auf 32 Prozent. Sichtbar wird das in den Botschaften: Mittlerweile wird mehr als jede dritte Auslandsvertretung Deutschlands von einer Frau geleitet. 2021 war es noch etwa jede fünfte.
Was bleibt von der "feministischen Außenpolitik"?
Ein Begriff, mit dem Baerbocks Amtszeit immer verbunden bleibt, ist die "feministische Außenpolitik". Ein Konzept, das vor allem ihre Kritiker scharf angegriffen haben: Ihre Vorstellungen seien naiv bis kontraproduktiv, hieß es. Viele fragten sich schlicht: Was soll das eigentlich sein?
Das alles sei "kein missionarisches Pamphlet", verteidigte Baerbock ihre "Leitlinien für feministische Außenpolitik" im Jahr 2023. Konkret gehe es zum Beispiel darum, was genau in den Hilfspaketen ist, die in Flüchtlingscamps verteilt werden. Dass dort auch Menstruationsartikel ausgegeben werden, sei "bisher eben keine Selbstverständlichkeit".
Darüber hinaus gehe es ihr schlicht um die Frage: Wie geht eine Gesellschaft mit ihren Frauen um? "Wo Frauen sicher sind, dort sind wir alle sicherer", warb Baerbock regelmäßig auch um männliche Zustimmung zu diesem Konzept.
Kritik auch von Menschenrechtsaktivisten
Doch es gab daran nicht nur Kritik von jenen, die Feminismus seit jeher triggert. Auch von Menschenrechtsaktivisten mussten sich die Grünen, und vor allem Baerbock, immer wieder fragen lassen: Wie ernst nehmt ihr eure eigenen Konzepte?
Sichtbar war das zum Beispiel im Herbst 2022: Wochenlang gab es damals ein Protestcamp von Exil-Iranern und Unterstützern vor der Grünen-Parteizentrale in Berlin. Der Slogan der iranischen Opposition "Frauen, Leben, Freiheit!" stand auf ihren Plakaten. Oder eben auch: "Feministische Außenpolitik jetzt!"
Der Vorwurf: Die EU-Sanktionen gegen das Regime im Iran seien zu schwach, die Bundesregierung setze feministische Außenpolitik genau dann nicht um, wenn es darum gehe, eine Frauenrevolution, wie sie sich im Iran anbahnte, zu unterstützen.
Eine der letzten Dienstreisen
Völlig unklar ist, wie es mit Baerbocks Umbau im Außenministerium nun weiter geht: Welche Rolle spielt dieser Feminismus, wenn eine neue Führung das Haus übernimmt? Gibt es dann noch den Fokus auf Klimaaußenpolitik, den die Grüne im Auswärtigen Amt verankert hat?
Für Annalena Baerbock ist das G7-Außenministertreffen in Kanada nun wohl eine der letzten Dienstreisen. Es wird Wehmut mitschwingen. Denn gerade die kanadische Außenministerin Mélanie Joly gehört zu ihren Lieblingskolleginnen, das spürt man immer wieder. Überhaupt mag Baerbock die Außenminister-Runden. Sie gehört dort inzwischen zum Kreis der Dienstältesten.
Ganz frisch im Amt ist ihr US-Kollege Marco Rubio. Auf ihn werden in Québec viele schauen: Bringt er Botschaften von US-Präsident Donald Trump mit? Kommt man in der Ukraine jetzt wirklich voran? Wie wichtig sind die G7 überhaupt noch als Format? Eine Provokation hat Rubio schon vorab platziert: Er will beim G7-Treffen eine "russlandfeindliche" Sprache unterbinden. Ob das schon einschließt, dass niemand Putin den Aggressor nennen darf, bleibt offen. Möglich ist es.
Baerbocks Zukunft ist offen
Für Annalena Baerbock ist es noch einmal das "grelle Scheinwerferlicht", aus dem sie - so schreibt sie es in ihrem Brief an die Fraktion - künftig heraustreten will. Aber sie kündigt auch an: "Dies ist kein Abschied."
Gut vorstellbar, dass sie längst an anderen Perspektiven arbeitet - etwa bei einer internationalen Organisation. Diese Gedanken hört man aus ihrem Umfeld immer wieder. Genug Kontakte und Telefonnummern hat sie nach den "Jahren auf Highspeed" auf jeden Fall.