Fahrradfahrer fahren auf der Friedrichstraße, die mehrere Jahre für den Autoverkehr gesperrt war (Archivbild)

Verkehrswende Auto, Fahrrad, Fußgänger - wem gehört die Stadt?

Stand: 10.04.2025 13:59 Uhr

Die Pariser haben abgestimmt: Autos sollen aus etlichen Straßen der Stadt weichen. Ist das auch in Deutschland denkbar? In Berlin wird über ähnliche Vorhaben gestritten - im Kiez und vor Gericht.

Die Gegend um den Boxhagener Platz gleicht einem Labyrinth. Radwege, Fußgängerzonen, Poller und immer wieder Einbahnstraßen - mehr als 200 Einzelmaßnahmen hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen, um den Kiez rund ums Ostkreuz zu beruhigen.

Zumindest, was den Autoverkehr angeht, soll es in den Nebenstraßen in den nächsten Jahren still werden. Durchgangsverkehr ist mit diesen Plänen kaum noch möglich und wer in diesem Kiez wohnt und ein Auto oder ein Gewerbe hat, hat schlechte Karten beziehungsweise muss Kreise und Kringel drehen, um von A nach B zu kommen.

Nicht jeder ist von den Ideen begeistert, die längst beschlossen wurden. Ältere, Gewerbetreibende, alteingesessene Kiezbewohner oder einfach Menschen, die ein Auto besitzen, haben das Gefühl, verdrängt zu werden. Dass es ebenfalls Probleme für Lieferverkehr, Handwerker und Rettungskräfte geben könnte - geben wird -, ist eines ihrer Gegenargumente.

Während für die einen der Traum vom Leben im Grünen mitten in der Stadt, von Vogelgezwitscher und Kindern, die vorm Haus spielen, wahr wird, überlegen Ältere, wie sie ihre Einkäufe organisieren. Gewerbetreibende fluchen und die Menschen, die ein Auto haben, fragen sich, wo sie es abstellen können und wie sie nach Hause kommen.

Weniger Luftverschmutzung, mehr Lebensqualität

Schaut man sich die Argumente der Befürworter an, geht es um weniger Luftverschmutzung, mehr Grün in der Stadt, mehr Lebensqualität und um Gesundheit. Und um eine "zukunftsweisende Alternative zum Autoverkehr", wie es bei "Ostkreuz für Alle" heißt, der Initiative, die die Gegend um den Boxhagener Platz mit ihrer Unterschriftensammlung verkehrsberuhigt hat. 80 Prozent der Bewohner des Kiezes seien jung und hätten gar kein Auto. Die meisten Wege würden zu Fuß zurückgelegt und eine Mehrheit würde die Maßnahmen befürworten.

Fragt man ältere Nachbarn, fühlen die sich in ihrer Mobilität durch die Pläne eingeschränkt. Der Besuch bei den Enkeln in Brandenburg oder der Wocheneinkauf ist für sie ohne Auto undenkbar.

Angst vor Verdrängung

"Wenn der öffentliche Nahverkehr nicht gut ausgebaut ist, kann dies zu erheblichen Einschränkungen für ganze Bevölkerungsgruppen führen. Zudem sind alternative Mobilitätsangebote wie ein barrierefreier öffentlicher Verkehr oder Carsharing-Angebote zu integrieren", sagt Michaela Christ vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Sie forscht zu Mobilität im Nahbereich.

Neben den Vorteilen von verkehrsberuhigten Zonen sieht sie auch Gefahren. Denn eine verkehrsberuhigte Innenstadt könne auch zu Verdrängung führen. "Ursprünglich als Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität gedacht, steigern ökologischen Aufwertungen oft die Attraktivität eines Stadtteils, wodurch Mieten und Immobilienpreise steigen." Vielleicht erklärt auch das, warum der Kampf so erbittert geführt wird.

Verkehrswende in Paris geht voran

In Paris ist man einige Schritte weiter. Der dritte Volksentscheid machte dort 500 Straßen autofrei. Abgestimmt haben nur wenige (vier Prozent), eine Mindestbeteiligung von 25 Prozent der Wahlberechtigten wie in Deutschland ist nicht notwendig. Die Hürden für einen Volksentscheid sind insgesamt niedriger.

In Berlin wird das Recht auf ein Volksbegehren "Berlin autofrei" gerade gerichtlich geklärt. Die Unterschriften dafür wurden 2021 gesammelt. Ob es zulässig ist, muss das Landesverfassungsgericht jetzt entscheiden. In Frankreich ist das einfacher geregelt. "Verwaltungsgerichte prüfen kommunale Maßnahmen zwar auf Rechtmäßigkeit, lassen aber große Ermessensspielräume zu, solange das Verfahren nachvollziehbar und die Maßnahme im öffentlichen Interesse ist", erklärt Mobilitätsforscherin Anne Klein-Hitpaß vom Difu.

Expertin: Maßnahmen erstmal ausprobieren

Paris habe aber auch einiges besser gemacht, die Menschen mitgenommen, sagt Sophia Becker von RIFS Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit am GFZ. Als Beispiel nennt sie die verkehrsberuhigten Sonntage "Paris respire" (zu Deutsch: "Paris atmet"). "Wir sollten uns in Deutschland von dem Ansatz etwas abgucken, neue Wege eine Zeit lang auszuprobieren, praktisch zu erproben und für die Bürgerinnen und Bürger erlebbar zu machen - und erst dann eine Befragung oder Abstimmung dazu durchzuführen."

In Friedrichshain ist das nicht passiert. Etwas mehr als 1.400 Unterschriften eines Einwohnerantrags im Vorfeld und 200 Befragungen reichten für die Entscheidung. Im Kiez müssen jetzt alle damit leben. Mehr als 3.300 Menschen haben inzwischen eine Petition dagegen unterschrieben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. März 2025 um 01:00 Uhr.