Drei Jahre später im Ahrtal "Die Flut hat uns alle total verändert"
Heute vor drei Jahren wütete die Flut im Ahrtal. 135 Menschen sind ums Leben gekommen. Die Katastrophe zerstörte viele Häuser und Infrastruktur. Der Wiederaufbau ist immer noch eine Herausforderung.
Es ist ein heißer Sommertag, die Luft in der Ortsgemeinde Altenahr steht. Claudia Rössling-Marenbach läuft an der Brücke vorbei, runter zum Fluss. Sie ist die Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde in Adenau. Elf Orte ihrer Kirchengemeinde waren von der Flut betroffen.
Sie deutet auf die Ahr und schüttelt den Kopf: "Wenn ich die Ahr heute sehe, wie sie mit 30 Zentimetern durch die Landschaft dümpelt, wunderschön, total idyllisch. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Ahr zu einem solchen Monster wurde, das letztendlich 135 Menschen das Leben gekostet hat."
Vor und nach der Flut
Die Pfarrerin sagt, dass drei Jahre nach der Flut längst noch nicht alles wieder gut sei. Die Flut habe Wunden gerissen: "Ich will nicht so oft von posttraumatischer Belastungsstörung sprechen, damit sich dieser Begriff nicht abnutzt. Aber wir merken alle, dass es ein Davor und ein Danach gegeben hat. Die Flut hat uns alle total verändert."
Wer durch das Ahrtal fährt, sieht sofort, welche Wunden die Flut auch in die Landschaft gerissen hat: leere Flächen, abgerissene Häuser. Die Straßen stauben, Baufahrzeuge ziehen Kolonnen von Pkw hinter sich her, der Verkehr staut sich. Es braucht Geduld, um mit dem Auto vorwärts zu kommen.
Blick nach vorne
Elke Wolber, die im Ahrtal lebt, steht hoch über den Weinbergen in Walporzheim an der Flutkapelle. Sie ist nach der Flut mit Spenden für die Menschen im gesamten Ahrtal gebaut worden. Wolber hat die Gedenktafel entworfen. Sie schaut über das Ahrtal und sagt: "Wir müssen den Blick nach vorne richten. Aber ich denke, es wird bestimmt noch zehn Jahre dauern, bis der Wiederaufbau abgeschlossen ist."
Sie lobt den Zusammenhalt der Menschen und dass schon viel erreicht worden sein. Und sie rügt die Politik: "Ich denke, ich stehe für viele Ahrtaler, wenn ich sage: Ich hätte eine Entschuldigung von der Ministerpräsidentin Malu Dreyer erwartet, für das Versagen an dem Flutabend und danach. Eine Katastrophe kann man nicht verhindern, aber man muss reagieren und in Alarmbereitschaft bleiben."
Kritik an der Landesregierung
Am vergangenen Dienstag war die scheidende Ministerpräsidentin noch einmal ins Ahrtal gekommen. An ihrem letzten Arbeitstag tagte das Kabinett in Dernau. Eine Geste, mehr nicht.
Eine repräsentative Umfrage zur Flutkatastrophe, die der SWR in Auftrag gegeben hatte und die am selben Tag veröffentlicht wurde, hatte ergeben, dass viele Menschen im Ahrtal und in der Region Trier unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Landesregierung sind.
Nur ein Fünftel der Befragten äußert sich zufrieden oder sehr zufrieden, was das Krisenmanagement angeht. Fast dreiviertel der Befragten bewerten das Krisenmanagement der Landesregierung als weniger oder gar nicht zufriedenstellend.
Fortschritte beim Wiederaufbau
Wie groß die Fortschritte beim Wiederaufbau sind, lässt sich nicht pauschal sagen. In Bad Neuenahr etwa sei schon sehr viel passiert, sagt David Bongart, der stellvertretende Ortsvorsteher von Bad Neuenahr. Er steht im Kurpark unter schattigen Bäumen: "Hier kann man wunderbar sehen, dass es schon wieder die ersten Stellen gibt, wo man sich erholen kann, wo man Unterhaltung findet, zum Beispiel in der Weinlounge direkt an der Ahr gelegen. Da kann ich leckere Ahrweine probieren und trinken."
Er zeigt nach links auf einen Hotelkomplex. "Da drüben sehen wir das Grand Hotel einer großen Hotelkette, das seit mehreren Wochen wieder geöffnet hat." Das sei ein Meilenstein für die Menschen hier im Tal. "Mehr als 200 Hotelzimmer stehen hier wieder zur Verfügung. Das ist ein schönes Zeichen, dass eine Hotelkette und ein Investor sich für den Standort entscheiden und wiederaufbauen."
Zu wie viel Prozent der Aufbau in Bad Neuenahr bereits erfolgt ist, kann er nicht einschätzen. Zu viel im Bereich der Infrastruktur - Straßen, Brücken - sei erst provisorisch wiederhergestellt. Jetzt müsse es an die finalen Umsetzungen gehen und da stehe man ganz am Anfang. Genehmigungen, Finanzierung, Ausschreibung - das dauere.
Bongart spricht die Bürokratie an und sagt, dass vieles einfacher laufen müsste: "Das ist auch der Appell von vielen im Tal, dass man sagt: Nach so einer Katastrophe müssen manche Wege schlanker und schneller gehen können. Es ist vielleicht auch ein Appell für die Zukunft, wenn in anderen Regionen etwas Vergleichbares passiert."
Wiederaufbau braucht Zeit
Ein Steinwurf vom Kurpark entfernt liegt das Hotel Central. Hotelier Michael Lentz steht im vierten Stock. Um ihn herum ist eine Baustelle. Die Flut überschwemmte den Keller und das Erdgeschoss seines Hotels komplett: "Ich habe mit den Gästen zusammen die Flutnacht im Hotel verbracht. Es war beängstigend."
Bei ihm zieht sich der Wiederaufbau in die Länge: Anträge, Genehmigungen und Handwerkermangel machten ihm das Leben schwer. Wie viele andere Betroffene musste er feststellen, dass die Flut viel mehr zerstört hat als nur die Stockwerke, in die Wasser eingedrungen war: "Die Folgeschäden durch Feuchtigkeit, Staub und Dreck, der Aus- und Wiedereinbau des Aufzugs, die Elektroarbeiten - das hat sich über alle vier Geschosse verteilt."
Inzwischen hat der Hotelier wieder einige Zimmer vermietet, Personal zum Putzen findet er nicht. Er tritt auf den Balkon und blickt über Handwerkerautos Richtung Ahr auf leerstehende Gebäude, die vor sich hin bröckeln: "Wenn ich hier vom Balkon schaue, denke ich: Was mögen die Gäste denken, wenn sie bei uns sind? Wir haben uns in drei Jahren an den traurigen Anblick gewöhnen müssen. Für uns ist das Alltag, aber für die Gäste immer noch ein sehr beklemmendes Bild."