Bundesverfassungsgericht Entschädigung für die Atomkonzerne?
Nach der Fukushima-Katastrophe vollzog die Bundesregierung eine Wende beim Atomausstieg. Die AKW-Betreiber fühlen sich enteignet und verlangen Entschädigung. Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Worum geht es in Karlsruhe - und worum nicht?
Die drei Energieversorger E.on, RWE und Vattenfall klagen in Karlsruhe gegen das Gesetz zum beschleunigten Atomausstieg aus dem Jahr 2011. Ihr Ziel ist es aber ausdrücklich nicht, den Atomausstieg wieder rückgängig zu machen. Das anstehende Urteil wird den Atomausstieg also nicht zurückdrehen. Die Richter in Karlsruhe müssen über die Frage entscheiden: Hätte das Gesetz zum Atomausstieg eine Entschädigung für die Konzerne vorsehen müssen? Entweder ist das Gesetz also in Ordnung. Oder es ist verfassungswidrig, weil es so eine Entschädigungsregelung nicht gibt. In diesem Fall müsste der Gesetzgeber nachbessern. Das Bundesverfassungsgericht würde im Urteil aber keine konkreten Summen festlegen, geschweige denn den Klägern direkt zusprechen. Bei Streit über die Höhe möglicher Entschädigungen könnten weitere Klagen an den Instanzgerichten nötig werden.
Was ist die Vorgeschichte des Verfahrens?
Da kann man durchaus weit zurückblicken. "Atomkraft? Nein Danke". Mit diesem Motto kämpft die Anti-Atomkraft-Bewegung seit den 70er-Jahren gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Der Ausstieg aus der Kernenergie hat ein "wechselvolles Schicksal mit mehreren abrupten Richtungsänderungen hinter sich", so der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, zu Beginn der beiden Verhandlungstage im März 2016.
- Im Jahr 2000 schloss die erste rot-grüne Bundesregierung eine Ausstiegsvereinbarung mit den vier großen Energieversorgungsunternehmen, die zwei Jahre später Gesetz wurde. Bis 2022 sollte der letzte Meiler in Deutschland abgeschaltet sein.
- Doch schon im Wahlkampf 2009 war klar: CDU, CSU und FDP würden diesen "schnellen" Ausstieg wieder rückgängig machen. Im Oktober 2010 beschloss der Bundestag: Durchschnittlich zwölf Jahre länger dürfen die Atomkraftwerke Strom produzieren.
- März 2011, nur ein halbes Jahr später: Die Nuklearkatastrophe von Fukushima führt zur erneuten Kehrtwende. Nach dem Erdbeben und dem folgenden Tsunami in Japan war es zu mehreren Kernschmelzen gekommen. Etwa 170.000 Menschen mussten aufgrund der Katastrophe ihre Heimat verlassen. Wenn schon in einem Land wie Japan mit sehr hohen Sicherheitsstandards nukleare Folgen eines Erdbebens nicht verhindert wurden, dann könne auch Deutschland nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am 12. März 2011.
Was war die spontane Reaktion der Bundesregierung auf die Fukushima-Katastrophe?
Zunächst ordnete sie ein dreimonatiges "Moratorium" an. Zeit, in der alle 17 Atomkraftwerke in Deutschland auf ihre Sicherheit untersucht und acht von ihnen vorläufig vom Netz genommen wurden. Gegen dieses Moratorium laufen Klagen der Konzerne vor den Instanzgerichten. Darum geht es am Bundesverfassungsgericht heute ausdrücklich nicht, sondern um den wenige Monate später beschlossenen Atomausstieg per Gesetz.
Was regelt das Ausstiegsgesetz von 2011 genau?
Im Sommer 2011 beschloss der Bundestag dann per Gesetz den beschleunigten Ausstieg aus der Atomenergie. Acht Atomkraftwerken wurde sofort die Betriebserlaubnis entzogen. Für die anderen wurde eine genaue Restlaufzeit festgelegt. Gestaffelt wird auch ihnen nach und nach die Betriebserlaubnis entzogen. Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland gehen demnach Ende 2022 vom Netz.
Was hat Karlsruhe in der Vergangenheit zum Thema Atomausstieg gesagt?
1978 entschied das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Kalkar-Beschluss, dass der Gesetzgeber bei der Nutzung der Atomenergie einen weiten Spielraum habe. Er darf die grundsätzliche Entscheidung treffen, ob die Kernenergie verwendet werden darf oder nicht, und wie hoch der Gesetzgeber das "Restrisiko" einschätzt. Weiter hieß es damals:
"Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist."
Aus dem Kalkar-Beschluss kann man also ablesen: Der Gesetzgeber darf einen Atomausstieg beschließen. Die Frage ist nur: Gab es wirklich neue Entwicklungen oder hätte der Staat die Konzerne zumindest entschädigen müssen?
Was machen die Konzerne vor dem Bundesverfassungsgericht geltend?
Die Atomkonzerne wollen die Begründung "Fukushima ändert alles" nicht gelten lassen. Die Kraftwerke seien vor der Katastrophe genauso sicher gewesen wie danach. Man habe das Restrisiko nur politisch anders bewertet.
Die Konzerne berufen sich auf ihre Grundrechte, vor allem auf ihr "Eigentumsrecht" (Artikel 14 Grundgesetz).
- Der beschleunigte Atomausstieg sei eine "Enteignung". Enteignen darf der Staat laut Grundgesetz nur, wenn im Gesetz eine Entschädigung vorgesehen ist.
- Sollte der beschleunigte Atomausstieg keine richtige "Enteignung" sein, dann zumindest eine sog. "Inhalts- und Schrankenbestimmung" des Eigentums. Dass Eigentum gesetzlich beschränkt wird, kommt in der Praxis häufig vor, etwa im Mietrecht oder im Baurecht; in der Regel aber ohne Entschädigung. Ausnahmsweise kann aber auch eine Entschädigung im Gesetz nötig sein, wenn die Bestimmung unverhältnismäßig ist. Darauf berufen sich die Konzerne beim Atomausstieg.
Was hält die Bundesregierung dagegen?
Die Bundesregierung argumentiert, dass es sich nicht um eine Enteignung handelt, es daher auch nicht automatisch eine Entschädigung geben müsse. Vielmehr gehe es nur um eine "Inhalts- und Schrankenbestimmung" des Eigentums, für die es in Sachen Atomkraft einen legitimen Zweck gebe, nämlich ein öffentliches Interesse. Bei einer gefährlichen Technologie wie der Atomkraft müsse es dem Staat immer möglich sein, seine Einschätzung zu ändern. Vor allem, was die Gefährlichkeit und die Beherrschbarkeit dieser Technologien bei Katastrophen angeht. Nach Fukushima sei auch in Deutschland die Vermutung immer stärker geworden, dass das Restrisiko überhaupt nicht mehr beherrschbar sei, hatte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in Karlsruhe bei der Verhandlung gesagt.
Welche Argumente haben die Konzerne noch?
"Vertrauensschutz": Im Oktober 2010 sind ihnen Restlaufzeiten bis höchstens 2036 zugesagt worden. Nur deshalb hätten sie zum Teil investiert, sie hätten auf diese Laufzeiten vertraut. Zumindest aber habe man auf die Vereinbarungen vertraut, die man mit Rot-Grün im Jahr 2000 geschlossen habe. Selbst diese seien aber mit dem neuen Gesetz 2011 zum Teil unterschritten worden. Auch deshalb stehe ihnen eine Entschädigung zu.
"Kein sachliches Konzept" beim Ausstieg: Die Konzerne bemängeln, dass die Abschaltung der einzelnen Atomkraftwerke unter dem herrschenden Zeitdruck 2011 nicht nach sachlichen Kriterien erfolgt sei. In der Verhandlung wurde immer wieder das Beispiel AKW "Krümmel" in Norddeutschland angeführt. Das wurde 2011 sofort abgeschaltet, obwohl es deutlich jünger ist als die anderen sieben sofort vom Netz genommenen Meiler.
Wie ist die mündliche Verhandlung im März 2016 gelaufen?
Zwei Tage wurden im brechend vollen Karlsruher Gerichtssaal intensiv die Argumente ausgetauscht. Immer im Spannungsfeld zwischen dem Spielraum des Gesetzgebers und dem Eigentumsschutz der Konzerne. Am Ende hatte sich bei vielen Beobachtern der Eindruck verfestigt: Ein Sieg für die Konzerne auf ganzer Linie, also mit Entschädigungszahlungen am Ende in zweistelliger Milliardenhöhe, wäre eine Überraschung.
Bei der mündlichen Verhandlung im März ließen die Richter erkennen, dass ein Sieg für die Konzerne auf ganzer Linie unwahrscheinlich ist.
Einmal ist da der Vergleichsmaßstab. Dass es einen Atomausstieg geben werde, wüssten die Atomkonzerne doch schon seit 2002, so die Richter in ihren Fragen und Anmerkungen. Die Kehrtwende zwischendurch mit der Laufzeitverlängerung 2010 kurz vor Fukushima, sei ja eher ein kurzes "Intermezzo" gewesen, in der man nicht viel "Vertrauen" habe aufbauen können, hörte man zwischen den Zeilen durch. Waren die Bedingungen von "Ausstieg II" 2011 im Vergleich zu "Ausstieg I" 2002 wirklich so viel schlechter? Davon wird viel abhängen. Außerdem war zu hören, die nötige Entschädigung bei so einer "Inhalts- und Schrankenbestimmung" des Eigentums sei doch ein "flexibles Instrument" (Richter Johannes Masing). Man könne sich vorstellen, dass eine Entschädigung eher die Ausnahme sei und man so einen Ausstieg auch durch Übergangsfristen zumindest abfedern könne.
Egal wie das Verfahren ausgeht: Die Leitlinien des Urteils dürften auch wichtig für künftige Situationen werden, in denen der Gesetzgeber bestimmte Lebensbereiche neu bewertet und dies Auswirkungen auf Eigentumspositionen hat.
Welche weiteren Klagen gibt es noch in Sachen "Atomausstieg"?
Es gibt verschiedene Klagen der Atomkraftwerksbetreiber, in denen es um Schadensersatz geht. Allerdings betreffen diese nicht das Atomausstiegsgesetz. In diesen Klagen geht es um das dreimonatige "Moratorium", also die vorrübergehende Stilllegung direkt nach Fukushima. Auch dafür wollen die Betreiber Entschädigung in Millionenhöhe. Mit dem Verfahren am Bundesverfassungsgericht haben diese Klagen aber nichts zu tun.
Eine weitere juristische Baustelle ist die bereits laufende Klage des schwedischen Konzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik vor einem Schiedsgericht in den USA. Geltend gemacht werden hier 4,7 Milliarden Euro.
Im Rahmen der "Atomkommission" laufen ohnehin seit vielen Monaten Verhandlungen zwischen AKW-Betreibern und der Politik über verschiedene Fragen des Atomausstiegs. Es wird spannend zu beobachten sein, welche Rolle das Karlsruher Urteil zum beschleunigten Atomausstieg in dieser Gemengelage spielen wird.