Bilanz nach vier Jahren Brexit Ernüchtertes Königreich
Weniger Wachstum, die versprochenen Handelsabkommen sind immer noch nicht geschlossen, und es gibt viele neue Kontrollen: Vier Jahre nach dem Abschied aus der EU hadern viele Briten mit dem Brexit.
Die Befürworter des Brexits wurden seinerzeit nicht müde, die garantierte Souveränität Großbritannien außerhalb der EU zu preisen. So wie etwa der damalige Premierminister Boris Johnson. "Take Back Control" hieß der Slogan.
Die Idee war, die Handelsverträge der EU in aller Welt durch bilaterale Abkommen mit besseren Konditionen zu ersetzen. Doch pünktlich zum vierten Jahrestag des Brexits vermeldeten die Nachrichten das Scheitern von Freihandelsgesprächen zwischen Großbritannien und Kanada.
Kaum neue Handelsabkommen
Nachdem die EU-Regeln nach einer Übergangsfrist gefallen waren, hatte Kanada hohe Importzölle auf Käse und Autos erhoben. Vier Jahre nach dem Brexit hat das Vereinigte Königreich bilaterale Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland geschlossen und ist dem Pazifikpakt CPTTP beigetreten. Insgesamt ist das eine magere Ausbeute, erläutert Thomas Sampson, Wirtschaftswissenschaftler an der London School of Economics.
Einige Vorteile mag es durch die Abkommen geben, aber diese Länder sind allesamt weit weg. Die Regierung selbst schätzt jeden Vertrag auf ein Volumen von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das gleicht die Verluste durch den Wegfall des Zugangs zum EU-Binnenmarkt in keiner Weise aus.
Die wirtschaftlichen Einbußen durch den Brexit ganz präzise zu beziffern, sei schwierig, so Sampson. Sie liegen Modellen zufolge im Bereich von drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts.
"Man muss sich das wie bei einem kleinen Loch im Autoreifen vorstellen, dass der Wirtschaft ganz langsam die Luft ausgeht", sagt Sampson. Sie sei seit dem Referendum ein kleines bisschen weniger gewachsen, als man ohne den Brexit erwartet hätte. "Investitionen sind wegen der Brexit-Unsicherheit zurückgegangen, insgesamt ist das Bruttoinlandsprodukt gesunken."
Nahrungsmittel werden teurer
Und noch eine Hiobsbotschaft müssen die Briten zum Brexit-Jahrestag den Nachrichten entnehmen: Die Preise für Obst und Gemüse, aber auch Milch- und Fleischprodukte werden im Laufe des Jahres steigen, weil bisher verschobene Grenzkontrollen für Nahrungsmittelimporte aus der EU nun wirklich in Kraft treten und den bürokratischen Aufwand und Importkosten erhöhen. Branchenverbände rechnen mit rund 230 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr.
Dazu kommt ein Einwanderungs-Rekord im Jahr 2022: Auch das Brexit-Versprechen, nach Ende der EU-Freizügigkeit würden weniger Menschen auf die britische Insel kommen, wurde nicht erfüllt. 2022 kamen als Netto-Einwanderer 745.000 Menschen nach Großbritannien, deutlich mehr als die 212.000 jährlich, die die konservative Regierung in ihrem Wahlprogramm von 2019 unterschreiten wollte.
Mit Nachzugsverboten hat die Regierung nun reagiert. Sampson sieht das weniger als Wirtschaftsthema denn als ein politisches: "Bei dem Thema geht es nicht in erster Linie um wirtschaftliche Konsequenzen aus der gestiegenen Einwanderung, weil das ja auch viele Arbeitskräfte sind. Sondern es ist politisch aufgeladen: Wie sieht wünschenswerte Immigration aus?"
Ernüchterung vier Jahre später
Umfragen aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass knapp zwei Drittel, nämlich 63 Prozent der Briten, der Meinung sind, der Brexit sei eher kein Erfolg gewesen. Nur 12 Prozent sehen einen Erfolg. Einig sind sich aber 70 Prozent darin, dass die Regierung die Umsetzung vermasselt habe.
Unternehmer Richard Walker ist Chef der britischen Discount-Supermarktkette Iceland. Er trommelte 2016, als Außenseiter in einer importabhängigen Branche, für den Brexit. Er bereut das heute auch nicht, meint aber, die Chancen des Brexits seien einfach nicht genutzt worden. Das Ergebnis sei lächerlich.