Windsor-Abkommen Einigung im Brexit-Streit um Nordirland
Der jahrelange Streit hat ein Ende: Großbritannien und die EU haben beim Nordirland-Protokoll eine Einigung erzielt. Premierminister Sunak und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellten die Grundpfeiler des neuen Windsor-Abkommens vor.
Die britische Regierung und die EU-Kommission haben eine Einigung im jahrelangen Streit um das Nordirland-Protokoll erzielt. Der britische Premierminister Rishi Sunak und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verständigten sich in Windsor westlich von London auf einen Kompromiss - das Windsor-Abkommen. Unter anderem soll damit der Warenverkehr von und nach Nordirland aus Großbritannien vereinfacht werden.
"Mit diesem Rahmenwerk können wir ein neues Kapitel beginnen", sagte von der Leyen bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Die Unsicherheit der Menschen in Nordirland sei mit diesem "entschiedenen Durchbruch" beendet, versprach Sunak. Die Verhandlungen seien nicht immer einfach gewesen, doch seien Großbritannien und die EU Verbündete, Handelspartner und Freunde.
Schwierigkeiten im innerbritischen Handel
Konkret geht es bei dem Windsor-Abkommen um entscheidende Veränderungen des bisherigen Nordirland-Protokolls. Das regelt bislang den Status der britischen Provinz seit dem Brexit vor gut drei Jahren. Es ist Teil des Brexit-Vertrags über den britischen EU-Austritt und sieht vor, dass die Zollgrenze zwischen Großbritannien und der EU in der Irischen See verläuft. Damit sollte verhindert werden, dass Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied der Republik Irland eingeführt werden müssen. Andernfalls wurde mit einem Wiederaufflammen des Konflikts um eine Vereinigung der beiden Teile Irlands gerechnet.
Doch die Kontrollen sorgen auch für Schwierigkeiten im innerbritischen Handel. Insgesamt stärkt das Protokoll die Handelsbeziehungen zwischen Irland und Nordirland, schwächt aber den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland. Die protestantischen Anhänger der Union in Nordirland fühlten sich zunehmend von Großbritannien abgeschnitten. London wollte den Vertrag deshalb nachverhandeln. Großbritannien ist infolge einer Volksabstimmung seit drei Jahren nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Die EU besteht nun noch aus 27 Mitgliedern.
Vereinfachte Ein- und Ausfuhr aus Großbritannien
Die erzielte Einigung sieht vor, dass der Warenverkehr von und nach Nordirland über zwei Spuren erfolgen soll - einer roten für Waren, die aus oder in den EU-Binnenmarkt transportiert werden und einer grünen für Produkte aus Großbritannien. Für die grüne sollen keine Zollpapiere mehr ausgefüllt werden. Nur wenn vorgesehen ist, dass die Güter in die Republik Irland und damit in die EU weiter transportiert werden, sollen demnach die vollen Formalitäten anfallen. Zudem kündigte Sunak an, Auflagen für Haustiere aufheben zu wollen.
Von der Leyen betonte, dass das Abkommen vor allem die Probleme des täglichen Lebens in den Blick nehme. Künftig könnten die Menschen in Nordirland die gleichen Lebensmittel wie im Vereinten Königreich kaufen. Auch beim Thema Arzneimittel gibt es neue Absprachen. Neue Medikamente sollen zeitgleich im Vereinigten Königreich und in Nordirland auf den Markt kommen und in den Apotheken verfügbar sein.
Das Abkommen solle auch der Souveränität der Nordiren Rechnung tragen. Die EU-Gesetze, die in Nordirland gelten, sollen verhindern, dass es zu einer harten Grenze zwischen dem Land und der EU kommt. Die Nordirland-Versammlung Stormont könne allerdings bestimmte EU-Regeln verhindern, "wenn sich diese auf das tägliche Leben auswirken", erklärte Sunak. Damit wolle er denjenigen Nordiren Rechnung tragen, die sich mehr Mitbestimmung gewünscht hätten. Auch die britische Regierung habe ein Vetorecht.
Belastete Beziehungen zwischen Brüssel und London
Der Streit über das Nordirland-Protokoll hatte die Beziehungen zwischen London und Brüssel erheblich belastet, aber auch das Verhältnis von London und Berlin. Abgeordnete im Europaparlament begrüßten die Vereinbarung. Der SPD-Politiker Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses, sagte, ein Neustart der Beziehungen sei möglich. David McAllister von der CDU, der dem Auswärtigen Ausschuss vorsitzt, äußerte die Hoffnung, "dass die latente Dauerdebatte nun endlich beigelegt werden kann".
Mit Spannung wird nun erwartet, ob Sunak für die Vereinbarung auch Unterstützung von Brexit-Hardlinern seiner Konservativen Partei und der nordirischen Protestantenpartei DUP findet. DUP-Chef Jeffrey Donaldson sprach von erheblichen Fortschritten, es gebe aber auch noch "Schlüsselfragen, die Anlass zur Sorge geben".
Die DUP blockiert aus Protest gegen die Regelungen seit Monaten die Bildung einer Regionalregierung in Nordirland. Sie steht nun unter Druck, die politische Blockadehaltung aufzugeben. Davon und von der Reaktion der Brexit-Hardliner in seiner eigenen Partei dürfte abhängen, ob Sunak den politischen Handlungsspielraum hat, um das Abkommen durchzusetzen. Noch am Abend möchte Sunak die Vereinbarung im Unterhaus vorstellen.
Wirtschaftsvertreter reagieren erleichtert
Die deutsche Wirtschaft reagierte erleichtert auf die Einigung. Dies sei dringend nötig, um den Negativtrend im Großbritannien-Geschäft zu stoppen, sagte der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier. "Der EU-Austritt Großbritanniens hat die engen Handelsbeziehungen in den letzten Jahren deutlich erschwert - und weiterhin herrscht erhebliche Planungs- und Rechtsunsicherheit für deutsche Unternehmen." Auch Wirtschaftsvertreter aus Nordirland begrüßten das Abkommen. Es sorge für Stabilität und Wachstum.
Während Großbritannien 2016 noch drittwichtigster Exportmarkt Deutschlands gewesen sei, habe das Land 2022 nur noch auf dem achten Rang gelegen. Gefährlich seien britische Pläne zum Abweichen von EU-Regeln etwa im Datenschutz, bei Lebensmitteln oder in der Chemie.