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Experte zu Ukraine-Verhandlungen "Europa kann sich durch Handeln an Tisch drängen"
Das Telefonat zwischen US-Präsident Trump und Präsident Putin ist für viele Europäer empörend. Sicherheitsexperte Nico Lange sieht hingegen eine Chance für Frieden in der Ukraine. Deutschland und Europa müssten sich ehrlich machen - und handeln.
tagesschau24: Sie haben in Washington mit dem Trump-Lager über die Ukraine gesprochen. Gibt es dort einen konkreten Plan, wie der Krieg enden soll?
Nico Lange: Einen konkreten Plan gibt es nicht. Auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz wird kein Plan vorgestellt werden. Aber Trump hat Ideen, wie er Putin unter Druck setzen kann. Die Amerikaner sind klar und sagen: Eine dauerhafte Sicherung des Friedens ist Aufgabe der Europäer, und das müssen die Europäer alleine können.
Wer in den vergangenen Monaten aufgepasst hat, für den kann das, was gerade passiert, nicht überraschend gekommen sein. Es ist traurig, dass die Europäer den Eindruck machen, dass sie überhaupt gar nicht vorbereitet sind.
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"Dass Trump mit Putin redet, ist per se nicht schlecht"
tagesschau24: Zugleich herrscht hier die Sorge, dass Trump und Putin das Kriegsende unter sich ausmachen könnten. Wie berechtigt ist das?
Lange: Deutschland kann nicht bei jedem NATO-Gipfel sagen, wir wollen keine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine - und dann sagen, das ist aber schlecht, wenn Trump das vorzeitig vom Tisch nimmt. Das widerspricht doch der Position, die die Bundesregierung selbst vertreten hat.
Dass Trump mit Putin redet, ist per se nicht schlecht. Das Problem ist dieser koloniale Ton, dieser Großmachtston, in dem er sagt, Putin und ich lösen das und den anderen wird dann gesagt, was passiert.
Die Europäer können sich an den Tisch drängen, indem sie handeln. Aber wenn sie nur sitzen und warten, dass jemand kommt und irgendwas mit ihnen macht, wird das nicht passieren. Die Europäer können doch eine Antwort darauf geben, wie europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine konkret aussehen können. Das würde für all diese Gespräche sehr helfen.
"Wir müssen da ehrlich bleiben"
tagesschau24: US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat gesagt, dass die Ukraine nicht zu den Staatsgrenzen von 2014 zurückkehren kann. Ist damit nicht doch schon ein Pfand in den Verhandlungen hergegeben?
Lange: Ich habe in Deutschland - selbst aus Regierungsparteien - immer sehr viele gehört, die gesagt haben, die Ukraine müsse Gebiet für Frieden tauschen und da Kompromisse eingehen. Habe ich mich da verhört? Oder ist es ein Widerspruch, wenn jetzt gesagt wird, es sei unerhört, dass Trump jetzt so etwas durch Hegseth sagen lässt?
Präsident Wolodymyr Selenskyj hat im ukrainischen Parlament davon gesprochen, dass er bereit sei, auch über mögliche Auswege zu verhandeln, bei denen die Ukraine zeitweise Territorium nicht kontrolliert. Insofern muss man jetzt mal sehen, wie diese Gespräche weitergehen.
Aber wir müssen da ehrlich bleiben. Selbst nichts zu tun, sich dann zu beschweren, dass andere was machen und man nicht dabei ist - das ist nicht ehrlich. Die Europäer können sich durch Handeln in diese Verhandlungen einbringen, aber dann müssen sie was tun und sich nicht nur beschweren.
"Was die Position der Ukraine ist, muss die Ukraine entscheiden"
tagesschau24: Ich höre bei Ihnen ein bisschen einen empörten Ton darüber heraus, dass die Europäer und auch die Bundesregierung sich jetzt so enttäuscht zeigen.
Lange: Die Bundesregierung hatte viele Möglichkeiten, die Ukraine stärker zu unterstützen, in der Ukraine präsent zu sein, auch mit dem Trump-Team zu reden. Die Ukraine selbst hat mit Trump und seinem Team sehr intensiv gesprochen. Selenskyj hat Trump zweimal getroffen, vor der Wahl und vor der Amtseinführung.
Was die Position der Ukraine ist, muss die Ukraine entscheiden. Und ich würde sehr genau auf das achten, was Präsident Selenskyj sagt. Ich würde es jedenfalls nicht für glaubwürdig halten, wenn sich ausgerechnet die Bundesregierung oder andere in Europa jetzt zum Verteidiger der Ukraine aufschwingen, die die Möglichkeiten zur Verteidigung der Ukraine bei Weitem nicht so genutzt haben, wie sie sie in den vergangenen Monaten und Jahren hätten nutzen müssen.
"Natürlich muss die Ukraine am Tisch sitzen"
tagesschau24: Halten Sie es denn für zwingend, dass die Ukraine auch mit am Tisch sitzt, wenn über den Frieden verhandelt wird?
Lange: Natürlich muss die Ukraine am Tisch sitzen. Russland hat die Ukraine überfallen, nicht die USA. Dass Russland das Bedürfnis hat, immer nur mit den USA zu sprechen, das kennen wir. Da liegt die große Gefahr. Russland will mit den USA darüber sprechen, wer künftig in Europa das Sagen hat, während Trump mit Putin darüber sprechen will, wie ein möglicher Frieden für die Ukraine aussehen kann.
Trump hat Selenskyj direkt nach dem Gespräch mit Putin angerufen, hat lange mit ihm gesprochen. Die USA und die Ukraine sind eng miteinander in Kontakt. Wer nicht am Tisch sitzt, sind die Europäer, die im Moment weder mit der Ukraine noch mit Trump intensiv sprechen.
Die Europäer müssen eine eigene Stärke aufbauen, um für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Das ist im Grunde das, was Hegseth gesagt hat. Vielleicht sagt er das unfreundlicher als seine Amtsvorgänger, aber in der Sache ist das eine Position, die die Amerikaner schon sehr lange vertreten.
"Russland betreibt sein Spiel der Propaganda"
tagesschau24: In die Richtung kann man auch die Worte aus Moskau verstehen. Dort wertet man das Telefonat als Beleg dafür, dass Europas Zeit vorbei sei.
Lange: Wir müssen lernen, nicht jede Meldung aus Moskau sofort in die Öffentlichkeit zu pusten. Es gibt viel zu viele russische Agenturmeldungen und russische Verlautbarungen, die bei uns immer als Schlagzeilen verbreitet werden. Russland betreibt sein Spiel der Propaganda. Die feiern jetzt diesen Anruf.
Wir wissen ja gar nicht, was gesprochen worden ist. Trump sagt, er wolle Putin unter Druck setzen. Das wird nichts sein, was Putin gefällt. Wir müssen eine saubere Analyse machen, mit den Partnern direkt sprechen, aber nicht unsere politischen Einschätzungen auf der Grundlage von russischer Propaganda machen.
"Man kann nicht guten Willen auf der anderen Seite voraussetzen"
tagesschau24: Saudi-Arabien könnte bald zum Treffpunkt von Putin und Trump werden. Der russische Staatschef ist mit allen Wassern gewaschen. Wäre Trump dem gewachsen?
Lange: Dass es einen Ort gibt wie Saudi-Arabien, an dem man verhandelt, ist per se erstmal nicht falsch. Auch für die Friedensgespräche in dem Siegesplan von Präsident Selenskyj war Saudi-Arabien zu einem bestimmten Zeitpunkt mal im Gespräch. Das Format ist wichtig: Wer spricht mit wem? Wie wird gesprochen?
Dass die USA und Russland über die Köpfe der Ukraine hinweg über die Ukraine verhandeln, geht nicht. Das ist aber bisher unklar. Klar ist: Putin und seine Leute sind absolute Profis, die das schon sehr lange machen und die nicht notwendigerweise verhandeln, um einen Kompromiss zu finden, sondern um zu gewinnen.
Das muss man im Kopf behalten, wenn man sich auf solche Verhandlungen einlässt. Man kann nicht guten Willen auf der anderen Seite voraussetzen, sondern man muss eher das Schlimmste vermuten. Das weiß man aus den Minsker Verhandlungen und anderen Verhandlungen auch.
"Wir sollten nicht besserwisserisch auftreten"
tagesschau24: Und wäre Trump dem gewachsen?
Lange: Trump macht das ja nicht selbst, sondern er hat Leute benannt, die das machen. Der CIA-Chef und der Nationale Sicherheitsberater sind erfahrene Außenpolitik-Experten. Möglicherweise werden noch andere involviert. Aber es ist schwer, mit Putin zu verhandeln.
Wir sollten nur nicht als Europäer jetzt besserwisserisch so auftreten, als könnten wir das automatisch besser als das Team von Trump.Trump ist der gewählte Präsident der USA. Geringschätzig zu sein, sich darüber lustig machen zu wollen oder immer nur alles schlecht zu finden, was er macht, entspricht nicht unseren Interessen. Und wenn wir glauben, dass wir besser verhandeln können, steht es uns doch frei, stark zu sein, uns mit Stärke an den Tisch zu setzen und mit zu verhandeln.
"Zwei zentrale Fragen sind nicht beantwortet"
tagesschau24: Wir haben darüber gesprochen, was die Ukraine hergeben muss - einen Teil des Staatsgebiets und die Hoffnung auf eine NATO-Mitgliedschaft. Welchen Beitrag muss Russland zu einem möglichen Frieden leisten? Wie kann es der amerikanischen Seite gelingen, Russland unter Druck zu setzen?
Lange: Die zwei zentralen Fragen sind bisher nicht beantwortet. Die erste zentrale Frage ist: Wie stoppt man Putin? Wie bringt man ihn von seinen Maximalzielen für diesen Angriffskrieg ab? Er hält bisher daran fest.
Trump glaubt, er könne das durch wirtschaftlichen, finanziellen, energiepolitischen Druck machen. Ich persönlich bin da skeptisch. Ich glaube, es braucht auch militärischen Druck.
Die zweite Frage ist: Wie sichert man den Frieden dauerhaft ab? Ich glaube, dass es möglich ist, das in einer Kombination aus den zukünftigen Streitkräften der Ukraine, einer europäischen Präsenz und amerikanischem Backup zu machen. Aber was der Preis für dieses amerikanische Backup sein wird, wissen wir noch nicht.
Die Europäer, besonders Deutschland, sind im Moment viel zu zögerlich, wenn es um europäische Präsenz geht. Möglicherweise ist das jetzt auch ein Impuls für mehr Ehrlichkeit. Denn zu sagen, wir helfen der Ukraine nicht so richtig, nur so ein bisschen, und deutsche Soldaten in der Ukraine können wir uns auch nicht vorstellen, aber wir wollen auch, dass jemand einen Frieden schließt, aber bitte nicht ohne uns: Diese in Deutschland vorherrschende Vorstellung ist unrealistisch. Wenn wir uns da der Realität ein bisschen annähern, kann das nur helfen.
Wie die Verhandlungen verlaufen, weiß man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Und wie gut Trump aufgestellt ist oder nicht, weiß man auch nicht. Was wir aus der Geschichte wissen, ist, dass seine Verhandlungen mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und mit den Taliban zwar zu Vereinbarungen geführt, aber die Situation insgesamt verschlechtert haben. Insofern gibt es da auch Anlass zur Skepsis.
Das Gespräch führte Jan Starkebaum, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht angepasst.