
Slowakei Slowakei genehmigt Tötung von Hunderten Bären
Immer wieder streitet die Slowakei über den Umgang mit Bären. Nun reagiert die Regierung auf einen neuen Todesfall. Sie will rund ein Viertel der Gesamtpopulation zum Abschuss freigeben.
Nach dem tödlichen Angriff eines Bären auf einen Spaziergänger will die slowakische Regierung Hunderte der europaweit streng geschützten Tiere zum Abschuss freigeben.
Ende März war in der Mittelslowakei ein 59-Jähriger unweit seines Hauses von einem Bären attackiert und getötet worden. Das Kabinett unter Ministerpräsident Robert Fico beschloss daraufhin in der vergangenen Woche, 350 Braunbären töten zu lassen - etwa ein Viertel der Gesamtpopulation des Landes.
Die Maßnahme sorgt bei Umweltschützern für Empörung. Während die Regierung auf gestiegene Sicherheitsrisiken verweist, sprechen Umweltorganisationen von einem Verstoß gegen europäisches Naturschutzrecht. Fico sieht für die Maßnahme genügend Rückhalt in der Bevölkerung: "Wir können nicht in einem Land leben, in dem die Menschen Angst haben, in die Wälder zu gehen", so Fico.
"Notwendige Reaktion"
Im Gespräch mit der ARD betont Filip Kuffa, Staatssekretär im Umweltministerium, dass das Risiko durch Bären in den vergangenen Jahren zugenommen habe: "Die Zahl der Zwischenfälle steigt, mehr Menschen werden verletzt, die Sachschäden nehmen zu - sogar Unfälle mit Fahrzeugen sind häufiger geworden", so Kuffa. Die Entscheidung zur Reduktion der Population sei eine notwendige Reaktion auf diese Entwicklung.
Laut Schätzungen leben derzeit rund 1.200 Bären in der Slowakei. Die Population sei durch die geplanten Tötungen nicht gefährdet, der Bestand werde nur auf ein gesundes Maß zurückgeführt, meint Kuffa. "Wenn Sie Mäuse im Haus im haben, die ihnen alles kaputt machen - was tun Sie dann? Sie fangen die Mäuse. Nicht notwendigerweise alle, aber nach einer Zeit gehen die Schäden zurück."
Ein Fall für die EU-Kommission?
Aussagen wie diese seien ein Beleg für die Inkompetenz des Ministeriums, das in der Regierung Fico den Naturschutz aus den Augen verliere, klagt Miroslava Ábelová von Greenpeace Slowakei. Sie bezeichnet die Abschusspläne für die Bären als "absolut rücksichtslos" und kritisiert, dass die Regierung wissenschaftliche Erkenntnisse übergehe und Präventivmaßnahmen vernachlässige.
Nach Ansicht der Naturschützer verstößt die Slowakei mit der geplanten Reduktion auch gegen europäisches Naturschutzrecht, da der Braunbär in der EU streng geschützt ist. Laut europäischer Richtlinie dürfen Tiere nur dann getötet werden, wenn keine andere Lösung zur Konfliktbewältigung gefunden werden kann.
Greenpeace hat bereits angekündigt, gegen die Entscheidung der slowakischen Regierung auf europäischer Ebene vorzugehen und fordert die EU-Kommission zu einem Eingreifen auf. Ein internationaler Aufruf soll zusätzlich Druck auf die Regierung machen.
Jahrelange Schutzarbeit gefährdet?
Allerdings erhöhen auch andere Länder unter dem Eindruck zunehmender Bärenattacken auf Hirten oder Wanderer die Abschusszahlen. So wurden in Rumänien 2023 fast 500 Tiere zur Jagd freigegeben. Dort ist die Population allerdings sechs- bis siebenfach größer als in der Slowakei.
Ein massiver Eingriff in die kleineren mitteleuropäische Bestände könnte Auswirkungen über die Slowakei hinaus haben, befürchtet die Greenpeace-Sprecherin. "Die Bären kennen keine Grenzen. Es gibt eine zusammenhängende Population mit den Nachbarländern, und die slowakischen Bären sind ein Teil davon. Alles hängt vielfach miteinander zusammen. Eine groß angelegte Keulung von Bären in der Slowakei kann also zehn Jahre Schutzarbeit in der ganzen Region zunichte machen."
Dass die Zusammenstöße zwischen Mensch und Bär in den letzten Jahren zugenommen haben, bestreitet auch die Umweltorganisation nicht. Doch auch ein radikaler Abschuss, so Ábelová, werde nur die Symptome und nicht die Wurzel des Problems beseitigen. Durch intensive Landwirtschaft und die Zersiedlung der Landschaft seien die natürlichen Lebens- und Rückzugsräume der Bären kleiner geworden, und das menschengeschaffene Umfeld biete attraktive Nahrungsquellen für die Tiere. Zugleich wüssten die Menschen immer noch zu wenig über das Verhalten von Bären.
"Ein Bär greift einen Menschen eigentlich nur dann an, wenn er ihn als Bedrohung wahrnimmt. Es geht also nicht darum, dass er einen Menschen als Beute reißen will. Wenn wir aber unzureichend gesicherte Abfälle haben und Futterpflanzen wie Mais in der Nähe von Bärenhabitaten, dann fördern wir damit die Begegnungen zwischen Mensch und Bär", so Ábelová.
Mehr Schutz durch mehr Aufklärung?
Greenpeace fordert daher, stärker auf Präventionsmaßnahmen zu setzen. Dazu zählen unter anderem Aufklärungskampagnen, die die Bevölkerung über das richtige Verhalten in Bärengebieten informieren, aber auch technische Lösungen, die Bären davon abhalten können, ihre Nahrung in der Nähe von Wohngebieten zu suchen, so etwa Umzäunungen und bärensichere Mülltonnen.
"Wir können den Bären nicht einfach aus der Landschaft entfernen. Stattdessen müssen wir lernen, wie wir koexistieren können", betont Ábelová. Sie weist darauf hin, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit Wildtieren und ihre langfristige Sicherung des Lebensraums auch Vorteile für den Naturtourismus in der Region haben könnten.
Umwelt-Staatssekretär Kuffa will die Argumente der Naturschützer aber nicht gelten lassen. Viele Jahre lang habe man vorbeugende Maßnahmen ausprobiert, viele Präventivprogramme liefen auch jetzt noch. Alles habe sich jedoch als unwirksam erwiesen. Es gelte letztlich die nüchterne mathematisch-statistische Wahrheit: Weniger Bären sorgen für weniger Konflikte.
Und auch der Abschuss der Tiere könnte einen besonderen Tourismus-Anreiz setzen: Bereits im vergangenen Jahr war ein erlegter Bär in einem Tatra-Restaurant als Gulasch auf der Speisekarte aufgetaucht. Eine legale und legitime Verwertung - und eine Art der Begegnung zwischen Mensch und Bär, für die er sich einsetzen wolle, so Kuffa.