Verhandlungen mit Russland Steht ein großer Gefangenenaustausch bevor?
Immer mehr Hinweise sprechen für einen baldigen Gefangenenaustausch mit Russland. Es geht um Deutsche, Amerikaner und russische Oppositionelle im Tausch für mehrere Russen, einer von ihnen könnte der "Tiergartenmörder" sein.
Es war der bisherige Höhepunkt einer offensichtlichen Kampagne Russlands zur Freipressung russischer Staatsbürger, die in westlichen Gefängnissen einsitzen: Die Nachricht vom Todesurteil gegen den Deutschen Rico K. in Belarus. Er war unter anderem des "Terrorismus" und "Söldnertums" für schuldig befunden worden.
Das Urteil erging bereits am 24. Juni in einem Gericht in Minsk. Bekannt wurde die Nachricht allerdings Wochen später, als der US-Journalist Evan Gershkovich in Russland zu 16 Jahren Haft wegen Spionage verurteilt wurde und auch die russische-amerikanische Journalistin Alsu Kurmaschewa ihre Strafe von sechseinhalb Jahren Haft für die angebliche Verbreitung von Falschnachrichten über das russische Militär erhielt.
Mehrere deutsche Gefangene
Die Präsidenten von Belarus und Russland, Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin, kooperieren eng miteinander. Die Todesstrafe wird nur in Belarus verhängt. Was noch für eine Kampagne spricht: Der Deutsche Rico K. soll dem Urteil zufolge lediglich eine kleine Explosion an einer Eisenbahnstrecke herbeigeführt haben, bei der niemand verletzt oder getötet wurde und der Schaden gering war.
Einiges spricht dafür, dass der Deutsche in eine Falle gelockt worden sein könnte. Er wollte sich für die Ukraine engagieren und geriet schließlich laut Medienberichten in russische Gefangenschaft, von Russland sei er nach Belarus ausgeliefert worden. Nach einem im belarussischen TV inszenierten Geständnis begnadigte Lukaschenko den Deutschen.
Hinzu kommen weitere Fälle deutscher und deutsch-russischer Staatsbürger, darunter Kevin L., der mit 18 Jahren wegen angeblichen Hochverrats zu vier Jahren Haft verurteilt worden war.
Putin will den "Tiergartenmörder"
Putin selbst hat klargestellt, wessen Freiheit er will: In einem Interview mit dem US-Moderator Tucker Carlson zu einem Austausch des US-Journalisten Gershkovich sprach er von einem Patrioten, der in Berlin einen "Banditen" getötet habe. Schon 2019 hatte Putin in zwei Interviews den "Tiergartenmord" mit ähnlichen Worten gerechtfertigt.
Sollte Vadim Krassikow abgeschoben werden, erwartet ihn mit aller Wahrscheinlichkeit ein großer Empfang in Russland, ähnlich wie beim Waffenhändler Viktor But, der im Dezember 2022 gegen die Basketballerin Brittney Griner getauscht worden war.
Motivation für weitere Auftragsmörder
Putin könnte seinen Landsleuten erklären, dass er "Patrioten" nicht im Stich lässt und sie auch aus Gefängnissen im Westen holt. Andere Auftragsmörder und Agenten könnten sich zu ähnlichen Taten motiviert fühlen. Entsprechend wachsen bei Dissidenten und besonders unter Tschetschenen Befürchtungen, verfolgt zu werden.
Solche und weitere Erwägungen sorgten bislang dafür, dass die Bundesregierung keinerlei Bereitschaft signalisierte, Krassikow für einen Gefangenenaustausch freizugeben. Er war im Dezember 2021 wegen Mordes zu lebenslanger Haft an Selimchan Changoschwili verurteilt worden. Das Gericht stellte eine besondere Schwere der Schuld fest und bewertete die "kaltblütig" im August 2019 im Kleinen Berliner Tiergarten begangene Tat als Mord im Auftrag des russischen Staates.
Die Bundesregierung könnte der Bundesanwaltschaft die Anweisung geben, von der weiteren Strafvollstreckung Krassikows abzusehen. Das ist laut Strafprozessordnung auch bei lebenslangen Haftstrafen möglich. Dann könnte Krassikow nach Russland abgeschoben werden.
Krassikow lebt unter hohen Sicherheitsvorkehrungen abgeschirmt von anderen Gefängnisinsassen. Bis zum Urteil und noch einige Zeit danach war er im Gefängnis in Berlin-Tegel untergebracht. Sein damaliger Anwalt Robert Unger kritisierte die Bedingungen als Isolationshaft und forderte eine humanere Unterbringung. Aus Sicherheitsgründen wurde Krassikow später nach Süddeutschland verlegt.
Warnung vor willkürlichen Festnahmen
Wenn die Bundesregierung nun doch einem Austausch zustimmen sollte, dann offensichtlich, um weitere Gefangennahmen Deutscher und anderer westlicher Staatsbürger zu verhindern. Das Außenministerium warnt bereits seit längerem vor willkürlichen Festnahmen in Russland und auch davor, sich zu Reisen nach Russland verführen zu lassen.
Doch nach einem einfachen Tausch Krassikows gegen den US-Bürger Gershkovich sieht es nicht aus. Zumindest einige Deutsche sollen freikommen, ebenso wie mehrere russische Oppositionelle, die in Straflagern einsitzen.
Sonderflugzeug nach Kaliningrad?
Aus Russland berichteten mehrere Anwälte, dass ihre Mandaten nicht mehr erreichbar seien und offenbar verlegt wurden. Darunter ist der schwer kranke Aktivist Wladimir Kara-Mursa, der ehemalige Moskauer Stadtrat Ilja Jaschin, der Menschenrechtler Oleg Orlow, die Antikriegskünstlerin Alexandra Skolitschenko sowie zwei Frauen aus dem Team des verstorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny.
Hinzu kommen Berichte über den Einsatz mindestens eines Sonderflugzeugs, das nach Kaliningrad geflogen sein soll. Aus den USA wiederum wird berichtet, dass mehrere russische Staatsbürger aus der US-Gefängnisdatenbank entfernt wurden. Sie waren unter anderem wegen Betrugs verurteilt worden. Einer von ihnen ist der Sohn eines Duma-Abgeordneten.
In Slowenien wurde ein russisches Ehepaar zu einer Haftstrafe wegen Spionage verurteilt, deren Länge etwa der Dauer entspricht, die sie bereits im Gefängnis sitzen. Weitere mutmaßliche russische Agenten, die in den vergangenen Monaten festgenommen worden waren, darunter zwei Russen in Bayern, kämen für einen Austausch infrage.
Viel spricht nun für einen baldigen Austausch einer großen Anzahl von Gefangener, der hinsichtlich der Zahl und der Prominenz der Gefangenen durchaus eine historische Bedeutung erlangen können. Der letzte größere Austausch war im Jahr 2010. Damals kamen zehn russische Spione aus den USA frei gegen vier in Russland einsitzende Gefangene.