
Reaktion auf Waffenruhe-Vorschlag Was hinter Putins "Nuancen" steckt
Russland erweckt den Eindruck, es sei grundsätzlich bereit, über eine Waffenruhe zu sprechen. Andererseits formuliert Putin "Nuancen", die noch zu klären seien - und die haben es in sich. Welche Botschaft vermittelt Putin damit?
Am Vortag hatte sich Wladimir Putin noch im Drillich gezeigt, als er russische Einheiten in der umkämpften Region Kursk besuchte - am nächsten Tag saß er wieder im dunklen Anzug vor der Presse. Der Anlass und das Ziel seines Auftritts verlangten nach einem staatsmännischen Erscheinungsbild.
Putin erweckte nach einem Gespräch mit seinem belarusischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko in Moskau den Eindruck, dass seine Regierung grundsätzlich offen sei für Verhandlungen über eine Waffenruhe auf Basis der Vereinbarung, die Vertreter der USA und der Ukraine Mitte der Woche in Saudi-Arabien getroffen hatten. Die Idee sei "richtig", sagte Putin, Russland unterstützte sie "auf jeden Fall".
Dass diese Unbedingtheit ihre Grenzen hat, zeigten dann aber seine weiteren Äußerungen. Putin sprach sodann von vielen Fragen, über die geredet werden müsse, von "Nuancen" - und diese stellen das Vorhaben einer Waffenruhe, die Verhandlungen über einen langfristigen Frieden den Weg ebnen soll, erheblich infrage.
Garantien für Russland - und für die Ukraine?
Putin formulierte die Erwartung, dass die Waffenruhe so gestaltet sein müsse, "dass sie zu einem langfristigen Frieden führt und die ursprünglichen Ursachen dieser Krise beseitigt". Damit variierte er eine Position, die er zum Beispiel schon im vergangenen Dezember eingenommen und mit der er eine Kampfpause abgelehnt hatte. Auf seiner Jahrespressekonferenz hatte Putin erklärt, Russland brauche keine Waffenruhe, sondern "einen langfristigen und dauerhaften Frieden mit Garantien für die Russische Föderation".
Diese "Garantien" aber dürften es der Ukraine sehr schwer machen, einer Vereinbarung mit Russland zuzustimmen. Putin verlangte, dass eine Waffenruhe sicherstellen müsse, dass die Ukraine sie nicht zur Neuformierung ihrer Truppen nutze. Dies würde bedeuten, dass die Ukraine in dieser Zeit keine weiteren Soldaten mobilisiert und auch keine zusätzlichen Waffen erhält.
Dies wäre ein erster Schritt hin zur Erfüllung einer Forderung, die Russland seit Kriegsbeginn erhebt - dass die Ukraine faktisch demilitarisiert wird, ihre Armee drastisch verkleinert wird und dass das Land auf eine Mitgliedschaft in der NATO verzichtet.
Dass Putin bereit wäre, während einer Waffenpause ähnliche Beschränkungen für die russische Armee zu akzeptieren, ging aus der Äußerung nicht hervor.
Heikle Frage nach Kontrolle und Garantien
Putin fragte auch nach der Kontrolle einer solchen Übereinkunft und sprach damit einen der absehbar schwierigsten Punkte einer Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine an: "Wie können und werden wir sicherstellen, dass so etwas (die Neugruppierung ihrer Truppen, Anm. d. Red.) nicht passiert? Wie wird die Kontrolle organisiert?", fragte Putin.
Russland hatte schon zuvor deutlich gemacht, dass es europäische Soldaten, die entlang einer Demarkationslinie zur Sicherung der Waffenruhe stationiert werden könnten, nicht akzeptiert.
Noch am Donnerstag erklärte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa, eine solche Stationierung bedeute den Eintritt in einen "direkten bewaffneten Konflikt" mit Russland: "Es ist für uns absolut inakzeptabel, dass Armeeeinheiten anderer Staaten unter irgendeiner Flagge in der Ukraine stationiert werden", sagte sie. Russland würde darauf mit "allen verfügbaren Mitteln" reagieren.
Für die Ukraine ist die Absicherung einer Waffenruhe aber von essenzieller Bedeutung. Sie verweist unter anderem auf die Erfahrungen mit den gescheiterten Minsker Abkommen mit Russland von 2014 und 2015 zu einem Ende des Krieges in der Ost-Ukraine, die nach übereinstimmender Ansicht der westlichen Vertragsparteien von Russland immer wieder gebrochen wurden.
Angesichts dessen befürchtet die Ukraine, dass ohne eine Absicherung Russland seine Truppen wieder auffrischen und einen erneuten Angriff auf die - dann militärisch deutlich geschwächte - Ukraine vorbereiten wird.
Ein Faktor: die Entwicklung in Kursk
Ein besonderer Aspekt ist die Lage in der russischen Region Kursk, in der die Ukraine im Sommer vergangenen Jahres eine Gegenoffensive gestartet hat. Die Idee eines Gebietstausches mit von Russland okkupierten Gebieten hatte Außenminister Sergej Lawrow zuvor abgelehnt.
Putin verlangte nun die Kapitulation der ukrainischen Einheiten und lehnte ihren Abzug ab: "Sollen wir sie dort rauslassen, nachdem sie so viele Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen haben?" Diesen Vorwurf erhebt Russland seit einigen Monaten, unabhängig überprüfte Beweise gibt es dafür aber bislang nicht.
Die russische Propaganda versucht damit zugleich, den Vorwurf zahlloser russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine zu begegnen, die inzwischen vom Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag untersucht werden. Zudem hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Putin erlassen, weil der begründete Verdacht bestehe, dass Putin für die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich sei.
Die militärische Lage in Kursk ist von außen schwer einzuschätzen. Nach Einschätzung des Institute for the Study of War (ISW) haben die russischen Truppen dort zuletzt Geländegewinne erzielt.
Rücksicht auf Trump?
Putin gab sich in seiner Pressekonferenz im Ton gemäßigt und lobte das US-amerikanische Agieren der vergangenen Wochen - vermutlich ein Versuch, US-Präsident Donald Trump nicht zu verärgern und die neue Offenheit in Washington für Russland nicht zu gefährden.
Trump hatte einerseits in den vergangenen Wochen viele positive Worte für Putin und ihr persönliches Verhältnis gefunden und auch großes Verständnis für das Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine gezeigt - hatte aber zugleich auch Russland mit Sanktionen gedroht, sollte es sich einer Übereinkunft widersetzen.
Nach Einschätzung von ARD-Moskau-Korrespondentin Ina Ruck war Putins vage Reaktion erwartbar. "Eine Absage rundweg hätte ihn selbst in den Augen seiner Unterstützer als Friedensverhinderer dastehen lassen", erklärt Ruck in der tagesschau. Eine Zusage ohne eigene Bedingungen wiederum widerspräche dem Eindruck, den Russland seit drei Jahren vermitteln wolle, nämlich dass Russland in der Ukraine "für eine gerechte und richtige Sache kämpfe." Mit seinen Einwänden habe Putin nun Zeit gewonnen.
Unveränderte Kriegsziele
Dass Putin ausschließlich Forderungen an die Ukraine richtete und die Bereitschaft zu eigenen Zugeständnissen nicht andeutete, ist sicher klassische Verhandlungstaktik (auch wenn die neue US-Administration ihrerseits schon vor Beginn von Gesprächen mit Russland zentrale Forderungen aufgegeben hatte).
Dadurch stehen aber Russlands Kriegsziele unverändert im Raum - die die Ukraine letztlich zu einem Vasallenstaat Russlands machen würden. Russland fordert eine "Entnazifizierung" der Ukraine - eine Umschreibung dafür, dass ein russlandfreundliches Regime in Kiew installiert werden soll.
Ein beträchtlicher Teil des Landes soll Teil der Russischen Föderation werden - schon jetzt hält Russland rund 20 Prozent ukrainischen Territoriums besetzt und hat in seiner Verfassung weitere, noch nicht besetzte Teile für sich reklamiert.
Eine Art, Nein zu sagen?
Viele westliche Beobachter werten deshalb Putins Äußerungen als kaum verklausuliertes Nein. Im ARD-Morgenmagazin sagte der Russlandexperte Andreas Heinemann-Grüder:
Wenn die Russen sagen, es muss eine Gesamtlösung geben, dann kann man nirgendwo anfangen. Die Frage ist: Wollen sie jetzt einsteigen in einen Prozess, wo es vielleicht Inseln der Übereinkunft gibt und man Vertrauen bildet oder wollen sie es eigentlich torpedieren, weil sie sich militärisch in einer dominanten Position sehen?
Die Russlandexpertin Tatjana Stanowaja vom Carnegie Russia Eurasia Center vertrat auf X die Ansicht, Putin strebe neue Gespräche über ein Papier an, über das Russland und die Ukraine im Frühjahr 2022 letztlich ergebnislos in Istanbul verhandelt hatten. Putin sehe ein "Istanbul Plus"-Rahmenwerk als "Weg zur Kapitulation der Ukraine", schrieb Stanowaja.