Fluchthelfer in Polen Bis zu fünf Jahre Haft für Suppe und Kleidung
Sie haben Geflüchteten geholfen, die seit Tagen im Wald ohne Nahrung und Wasser unterwegs waren. Dafür sind fünf Polinnen und Polen nun angeklagt, ihnen drohen hohe Strafen. Zu Unrecht, sagt selbst die Rechtsanwaltskammer.
Die "Hajnówka-Fünf" werden sie genannt. Hajnówka ist eine 18.000-Einwohner-Stadt in Ostpolen, wenige Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt - und der Sitz des Landgerichts, vor dem sich die "Fünf" seit vergangener Woche verantworten müssen, weil sie Geflüchteten im Wald geholfen hatten.
"Gesetzeswidrig hat sie den genannten Personen den Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Polen erleichtert", verliest die Staatsanwältin die Anklage gegen eine Helferin. "Gegen die Vorschriften, indem sie den Menschen Nahrung brachte, sowie Kleidung während ihres Aufenthalts im Wald." Es ist ein Prozess, den es so gar nicht geben dürfte, finden die Angeklagten, viele angereiste, auch prominente Unterstützer und selbst die polnische Rechtsanwaltskammer.
"Helfen war Selbstverständlichkeit"
Im März 2022 hatten die fünf Helferinnen und Helfer in Grenznähe einer Familie aus dem Irak und einem Mann aus Ägypten geholfen. Die Menschen hatten die Grenze illegal überquert und waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tage ohne Nahrung und Wasser im Wald gewesen.
Ihnen in dieser Situation zu helfen, sagt Ewa Moroz-Keczyńska, eine der Angeklagten, sei für sie bis heute eine Selbstverständlichkeit: "Ich bin selbst Mutter. Ich weiß nicht, wer kein Mitgefühl hätte, wenn er eine Mutter mit krankem Kind sehen würde", sagt sie. "Wir wissen aus der Erfahrung, dass es Werte gibt, die man nie verletzen sollte und der Moment, in dem das Mitgefühl aufhört, ist der Anfang vom Ende."
Bis zu fünf Jahre Haft möglich
Moroz-Keczyńska lebt in der Region. Auch wenn Medien nicht mehr berichten, sagt sie, würden Anwohnerinnen und Anwohner ständig das Leid der Flüchtenden erleben und müssten sich dazu verhalten. Sie hat sich fürs Helfen entschieden. Dafür drohen ihr jetzt bis zu fünf Jahre Haft.
Weil sie die Geflüchteten bis in die nächste Stadt fahren wollten, wurde zunächst wegen Schleusung ermittelt. Nach monatelangen Verhören, Hausdurchsuchungen und Zeugenbefragungen schwenkte die Anklage um. Der Vorwurf lautet jetzt "Unterstützung von illegal Eingereisten zum eigenen Vorteil". Wobei selbst die Staatsanwaltschaft klarstellt, dass der Vorteil nicht der eigene, sondern der der Geflüchteten war.
Eine absurde Konstruktion, meint der Anwalt der "Fünf", Radosław Baszuk. "Die Staatsanwaltschaft wird also sowohl das Gericht als auch die Öffentlichkeit davon überzeugen müssen, dass es schlimm, rechtswidrig und illegal ist, fünf Kindern Suppe zu geben", sagt er. "Sie versuchen es, aber ich hoffe, der Versuch misslingt."
Ermittlungen laufen unter Tusk-Regierung weiter
Zumal auch in Polen unterlassene Hilfeleistung ebenfalls unter Strafe steht. Es war die Staatsanwaltschaft unter der nationalpopulistischen PiS-Regierung, die die Ermittlungen begonnen hat. Dass die liberale Koalition um Donald Tusk sie weiterführt, ist für viele Beobachterinnen und Beobachter der eigentliche Skandal.
Auch ihr gehe es darum, Aktivisten abzuschrecken, sagt Maciej Nowicki von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte. "Wir kennen leider von allen europäischen Außengrenzen so eine Vorgehensweise. Das ist zweifellos ein schwarzer Fleck im europäischen Gewissen", sagt Nowicki. "Nur haben wir darauf gezählt, dass derartige Praktiken nach dem Regierungswechsel nicht mehr stattfinden werden."
Adam Bodnar, der neue Justizminister und zugleich Generalstaatsanwalt, äußert sich nicht. In Hajnówka soll der nächste Verhandlungstermin erst in ein paar Monaten stattfinden. Auch ohne Urteil, so scheint es, ist das lange Verfahren allein eine Strafe.