Friedrich Merz

Europapolitik unter Merz Kann Merz Europa - und wenn ja, wie schnell?

Stand: 24.02.2025 15:21 Uhr

Die europäischen Erwartungen an Wahlsieger Merz sind hoch: Er soll schnell eine stabile Regierung bilden - und mit einer klare Politik im Sinne Europas die Führung übernehmen. Kann er das?

Friedrich Merz weiß, wie Europa tickt. Der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler hat seine politische Karriere in Brüssel und Straßburg als Abgeordneter im EU-Parlament begonnen (1989-1994), bevor er in den Bundestag einzog.

In den vergangenen Monaten hat der Kanzlerkandidat der Union Brüssel öfter besucht und dabei viel zugehört. Gesprächspartner gewannen den Eindruck, er kenne europäische Gesetzesvorhaben.

Die Führungsrolle in Europa

Merz meint es offenbar ernst mit seiner Ankündigung, eine Führungsrolle in Europa anzustreben. In Brüssel haben das viele gerne gehört, denn das erwartet der Rest Europas vom Regierungschef des bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Mitgliedstaates.

Und nie war Führung wichtiger als in diesen Tagen, in denen US-Präsident Donald Trump mit der Kettensäge die Fundamente der transatlantischen Partnerschaft traktiert und Europa erkennen muss, dass sich sein Sicherheitsgarant und wichtigster Handelspartner abwendet.

Die verstörten Reaktionen europäischer Entscheidungsträger sowie zwei von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hastig einberufene ergebnislose Runden haben verdeutlicht, dass diese Führungsrolle derzeit vakant ist.

Weniger Koalitionsparteien, weniger Blockade in Brüssel?

Die EU-Partner hoffen, dass sich in Deutschland rasch stabile politische Verhältnisse einstellen. Die von der Union bis Ostern angestrebte Regierungsbildung käme diesem Wunsch entgegen.

Eine mögliche große Koalition aus Union und SPD könnte zudem Reibungsverluste wie während der Ampelkoalition vermeiden, als sich die drei Partner nicht einigen konnten. Beim Lieferkettengesetz, dem faktischen Verbot des Verbrennungsmotors, der Euro7-Norm, der Verordnung gegen Zwangsarbeit und dem Gesetz zur Künstlichen Intelligenz schlug der Ampel-Streit auf die gesamte EU durch, was Deutschlands Handlungsfähigkeit und Ansehen geschadet hat.

Die Unionsgruppe im EU-Parlament will unter Merz' Führung ausdrücklich die berüchtigten "German votes" vermeiden, also Enthaltungen in Brüssel, weil sich die Koalitionspartner in Berlin nicht verständigen können.

Abstimmung mit Paris und Warschau

Merz weiß, dass sich ein deutscher Bundeskanzler eng mit den großen EU-Partnern abstimmen und die kleineren mitnehmen muss, um in und für Europa erfolgreich zu sein. Er will neuen Schwung in das für die Gemeinschaft wichtige deutsch-französische Verhältnis bringen.

Das hatte sich während der gut dreijährigen Amtszeit des amtierenden Bundeskanzlers abgekühlt - weil zwischen Olaf Scholz und Macron die Chemie nicht stimmte und weil die Regierungen beider Länder in Sachfragen auseinander liegen, etwa in der Nuklearpolitik oder beim Mercosur-Freihandelsabkommen.

Bei früheren Regierungswechseln in Berlin oder Paris konnte sich der jeweils Neue im deutsch-französischen Tandem auf den erfahrenen Partner oder die Partnerin stützen. Merz profitiert davon nur bedingt: Sein französischer Gegenpart Macron ist seit den Neuwahlen vom vergangenen Jahr nachhaltig geschwächt.

Der CDU-Chef will auch die Beziehung zu Polen vertiefen, die unter Scholz distanziert blieb. Osteuropäische EU-Partner kritisierten die aus ihrer Sicht zögerliche Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine und das Nein von Scholz zu Taurus-Marschflugkörpern für Kiew. Merz zeigt sich für deren Lieferung offen - wenn die europäischen Partner mitziehen.

Mehr Geld für Verteidigung - aber woher?

Eine handlungsfähige Bundesregierung ist besonders mit Blick auf die dringlichste Herausforderung gefragt, der sich Europa stellen muss: Wie es seine Verteidigung stärken und die Aufrüstung finanzieren will.

NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat seinen Glückwunsch für Merz mit der Erwartung verbunden, dass der Wahlsieger dabei eine Führungsrolle übernimmt. Bisher hat sich Merz nicht festgelegt, woher die zusätzlichen Mittel kommen sollen. Er hat nur verlangt, dass sich die EU-Staaten bei der militärischen Beschaffung besser abstimmen, um Geld zu sparen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angeboten, den Stabilitätspakt flexibel auszulegen, damit sich die Mitgliedstaaten für die Aufrüstung höher verschulden können. Ihre Behörde arbeitet an Vorschlägen. Gemeinschaftliche Schulden wie zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie lehnt die amtierende Bundesregierung ab.

Der wahrscheinliche künftige Bundeskanzler wird es nicht leicht haben, im Bundestag Mehrheiten für zusätzliche Rüstungsausgaben zu organisieren: AfD und Linkspartei könnten Entscheidungen des Parlaments blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern - etwa eine Reform der Schuldenbremse oder ein Sondervermögen für die Verteidigung.

Breite Machtbasis

In Brüssel kann sich die Union als Wahlsiegerin hingegen auf eine breite Machtbasis stützen. Die christdemokratische Parteienfamilie in Europa, zu der CDU und CSU zählen, stellt mit elf Regierungschefs schon jetzt die Mehrheit am EU-Gipfeltisch. Die Kommission wird von der CDU-Politikerin von der Leyen geleitet, die EVP-Fraktion als größte im EU-Parlament vom stellvertretenden CSU-Chef Manfred Weber.

Wenn in einigen Monaten der wirtschaftsstärkste Mitgliedstaat von einer Koalition unter christdemokratischer Führung regiert wird, dürften sich die Schwerpunkte bei Europas großen Vorhaben weiter verschieben: Die EVP und Merz fordern rasch eine rigidere Asyl- und Migrationspolitik. Im Kampf gegen den Klimawandel wollen sie mehr Rücksicht auf die Wirtschaft nehmen.

Die übrigen EU-Partner werden mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD besonders mit Blick auf die Wirtschaftspolitik gespannt verfolgen. Die Konzepte beider Lager unterscheiden sich deutlich.

Dabei hofft der Rest Europas, dass die neue Bundesregierung, wie von der Union im Wahlkampf versprochen, die Rahmenbedingungen so setzen kann, dass sich die größte EU-Volkswirtschaft schnell erholt. Ein drittes Rezessionsjahr in Deutschland würde auch die eng verflochtenen Partner im EU-Binnenmarkt mit nach unten ziehen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. Februar 2025 um 15:17 Uhr.