
EU-Kommissar stellt Konzept vor Was Brüssel für die Bauern plant
Vor einem Jahr protestierten europaweit Landwirte gegen Bürokratie und Auflagen. Der zuständige EU-Kommissar Hansen will gegensteuern. Heute präsentiert er, der sich selbst ein "Landei" nennt, seine Pläne.
Christophe Hansen bezeichnet sich selbst als "Landei" - und er sieht das als Vorteil. Nach eigenen Worten hat er bis zum Beginn seines Studiums mit 19 Jahren täglich auf dem elterlichen Bauernhof im Norden Luxemburgs gearbeitet und auch danach noch an den Wochenenden.
Hansen nimmt deshalb für sich in Anspruch, die Herausforderungen der landwirtschaftlichen Arbeit aus eigener Anschauung bestens zu kennen. Das kann nützlich sein: Seit Dezember ist der Christdemokrat als EU-Agrarkommissar für rund 30 Millionen Menschen mitverantwortlich, die in Europas Landwirtschafts- und Ernährungssektor arbeiten.

EU-Kommissar Christophe Hansen betont gern seine Eignung für seinen Posten. Nun kommen seine Konzepte auf den Prüfstand.
Hohe Zuwendungen, großer Unmut
Dass die gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP) neue Impulse braucht, ist unstrittig. Einerseits fließt fast jeder dritte Euro aus dem mehrjährigen Etat in diesen Bereich, über sieben Jahre sind das 387 Milliarden Euro. Das ist der zweitgrößte Posten im Gemeinschaftshaushalt.
Aber bei vielen Landwirten ist der Unmut groß, weil aus ihrer Sicht zu wenig davon bei ihnen ankommt. Vor einem Jahr protestierten Bauern überall in Europa gegen nationale Vorgaben, sinkende Preise und Handelserleichterungen für die Ukraine.
Dabei gilt Brüssel den wütenden Landwirten als Herz der Finsternis: Sie machen die EU-Kommission für bürokratische Bürden und ständig neue Auflagen verantwortlich. Mehrmals legten vor allem flämische und französische Bauern mit ihren Traktoren den Verkehr in der belgischen Hauptstadt lahm, türmten Heuballen auf, zündeten Reifen an.
Verständnis in Absichtserklärung
Die EU legt ihre Agrarpolitik für einen Zeitraum von jeweils sieben Jahren fest. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die kommende Periode nach 2027.
Dem neuen Agrarkommissar ist bewusst, dass Brüssel dabei Boden gutmachen muss. Im vorab bekannt gewordenen Entwurf seiner agrarpolitischen Vision erkennt Hansen ausdrücklich an, dass das Image der GAP zuletzt gelitten hat, weil sich Landwirte ungerecht behandelt fühlten.
Der Kommissar zeigt in der Absichtserklärung Verständnis für Härten des Berufs wie unsichere Einkommensperspektiven, erdrückenden bürokratischen Aufwand oder krisenanfällige Produktion.
Direktzahlungen sollen bleiben
Um bäuerliche Einkommen zu stützen will die Kommission grundsätzlich an Direktzahlungen festhalten. Deren Höhe bemisst sich auch nach der jüngsten EU-Agrarreform vor allem nach der Größe der Betriebe, solange Landwirte grundsätzliche Umweltauflagen einhalten.
Laut dem Entwurf von Hansens Absichtserklärung machten Direktzahlungen 2020 durchschnittlich 23 Prozent der landwirtschaftlichen Einkommen aus. Künftig will der Kommissar stärker Landwirte unterstützen, die es wirklich nötig haben und solche, die "aktiv zur Ernährungssicherheit, zur wirtschaftlichen Vitalität der Betriebe und zur Erhaltung unserer Umwelt beitragen".
Als Beispiele nennt das Papier Höfe in benachteiligten Gebieten, Jungbauern und Neueinsteiger. Mit Blick auf eine mögliche Obergrenze für Direktzahlungen bleibt der Text vage.
Auch hier: weniger Bürokratie
Wie in anderen Branchen will Brüssel auch in der Landwirtschaft bürokratische Hürden abbauen. Die Erklärung spricht sich für eine bessere Arbeitsteilung zwischen den zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten (die Beihilfen auszahlen und Öko-Regeln ausgestalten) und den Landwirten aus.
Neue und bestehende Gesetze sollten einem Praxis-Check unterzogen werden. Neue Technologien wie Satellitenüberwachung könnten helfen, Kontrollen und Berichtspflichten einzudämmen. Die Kommission will dazu im zweiten Quartal konkrete Vorschläge machen.
Betriebe mit einer Fläche unter zehn Hektar sind schon seit einem Jahr von Kontrollen und Strafen bei Nichteinhaltung einiger GAP-Vorschriften befreit. Der Agrarkommissar möchte außerdem Investitionen ankurbeln und dafür sorgen, dass Landwirte leichter an Kredite kommen und faire Preise erzielen.
Konsens gesichert?
Hansen greift in seiner Vision Empfehlungen aus dem sogenannten Strategischen Dialog zur EU-Agrarpolitik auf. Aus gutem Grund: In ihm haben sich im vergangenen Jahr Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen in einer monatelangen Diskussion auf weitreichende Reformvorschläge verständigt.
Sie sprachen sich etwa dafür aus, Betriebe gezielter zu fördern und Landwirte höher zu belohnen, wenn sie umweltgerecht wirtschaften. Bauernverbände, Umwelt- und Verbraucherschützer sowie Lebensmittelkonzerne waren eingebunden.
Indem der Agrarkommissar manche Anregungen nun übernimmt, kann er davon ausgehen, dabei die wichtigsten Interessengruppen in der Branche grundsätzlich hinter sich zu haben.
Die christdemokratische EVP-Fraktion im EU-Parlament, zu deren Parteienfamilie Hansen gehört, begrüßt seine Vision als wichtiges Signal. Die Europa-Grünen beklagen dagegen Abschwächungen in der Klima-und Umweltpolitik.