Dänische Soldaten nehmen an einer Übung in Grafenwöhr teil. (Archivbild vom 11.02.2025)

Analyse zur Verteidigung Ohne die USA braucht Europa 300.000 weitere Soldaten

Stand: 21.02.2025 14:32 Uhr

Sollten sich die USA zurückziehen, müssen die Europäer die Verteidigung selbst in die Hand nehmen. Dafür bräuchte es laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft 300.000 weitere Soldaten - und 250 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.

In einem Konflikt gegen Russland müsste Europa bei fehlender Hilfe durch die USA einer Analyse zufolge selbst etwa 300.000 Soldaten zusätzlich mobilisieren.

Um russischer Militärgewalt wirksam entgegentreten zu können, wären dafür erhebliche Verteidigungsinvestitionen von rund 250 Milliarden Euro jährlich notwendig, wie es in dem Bericht des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel und des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) heißt.

Erhöhung der Verteidigungsausgaben notwendig

Die Autoren gehen davon aus, dass die europäischen Staaten etwa 50 zusätzliche Brigaden mit insgesamt 300.000 Soldaten aufstellen müssten. Hierfür seien mindestens 1.400 neue Kampfpanzer und 2.000 Schützenpanzer erforderlich, was die derzeitigen Bestände der gesamten deutschen, französischen, italienischen und britischen Landstreitkräfte übersteige.

Darüber hinaus müsste Europa jährlich etwa 2.000 Langstreckendrohnen produzieren. Die Forschenden schlagen eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben von zwei Prozent auf 3,5 bis vier Prozent der Wirtschaftskraft jährlich vor. Für Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft würde eine Steigerung auf 3,5 Prozent eine Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben von 80 auf bis zu 140 Milliarden Euro bedeuten.

Russland hat militärische Kapazitäten stark gesteigert

Russland habe trotz hoher Verluste im Angriffskrieg gegen die Ukraine seine militärischen Kapazitäten massiv gesteigert, heißt es in der Studie. Ende 2024 verzeichnete Russland demnach etwa 700.000 Soldaten in der Ukraine - deutlich mehr als bei der groß angelegten Invasion 2022.

Zudem seien 2024 etwa 1.550 neue Panzer und 5.700 gepanzerte Fahrzeuge produziert oder instant gesetzt worden, was gegenüber 2022 einer Steigerung von 220 Prozent und 150 Prozent entspreche. Auch bei Drohnen und Langstreckenmunition habe Russland große Fortschritte gemacht. Laut den Autoren wurde die Produktion von weitreichender Lenkwaffen-Munition um 435 Prozent gesteigert.

"Russland könnte in den nächsten drei bis zehn Jahren die militärische Stärke haben, um die EU-Staaten anzugreifen", sagte der Wirtschaftswissenschaftler Guntram Wolff, der Mitautor der Studie ist. Dies müsse man als reale Gefahr einstufen. "Auch deshalb ist es im größten europäischen Interesse, einen Sieg Russlands in der Ukraine zu verhindern, der die Aggression Russlands nochmals beflügeln dürfte."

Koordination von nationalen Streitkräften nötig

Eine der größten Herausforderungen bleibt laut Analyse jedoch die militärische Koordination innerhalb Europas. Während die US-Streitkräfte als einheitlich geführte Korps operieren, sind die europäischen Armeen auf nationale Streitkräfte verteilt.

"Wenn jedes Land sich alleine verteidigen möchte, dann verursacht das höhere Kosten", betonte Wolff. Eine engere Koordination und gemeinsame Beschaffung seien daher wichtig. Die jährlich mindestens nötigen 250 Milliarden Euro könnten laut Analyse zur Hälfte durch gemeinsame europäische Schulden finanziert werden und in gemeinsame Beschaffung fließen.

Zusätzliche Kosten von 1,5 Prozent des EU-BIP

Die andere Hälfte könnte durch die EU-Mitgliedsländer über ihre nationalen Verteidigungsausgaben finanziert werden. "Auch wenn die Größenordnungen zunächst erheblich sind: Ökonomisch ist das - relativ zur Wirtschaftskraft der EU - überschaubar", sagte Wolff. Die zusätzlichen Kosten lägen nur bei circa 1,5 Prozent des BIP der EU. "Das ist weit weniger, als etwa zur Krisenbewältigung während der Covid-Pandemie mobilisiert werden musste."

Die Autoren sehen auch wirtschaftliche Vorteile in einer schuldenfinanzierten Erhöhung der Verteidigungsausgaben. "Sie könnten als Konjunkturimpuls wirken, wenn sie innerhalb der EU ausgegeben werden, insbesondere in Zeiten rückläufiger externer Nachfrage durch US-Zölle und Handelskonflikte", so Wolff.

Verteidigungsausgaben als Wirtschaftsimpuls

Massive Investitionen in die Verteidigung könnten die nationale Wirtschaft in Schwung bringen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Beratungsgesellschaft EY und der Deka-Bank. Investitionen in Rüstungsgüter kämen vor allem der Metallindustrie, Dienstleistern wie Transport- und Logistikunternehmen, dem Metallhandel und Forschungsinstituten zugute, schreiben die Autoren. Der positive Einfluss auf den Arbeitsmarkt sei "enorm." 

Die 30 europäischen NATO-Länder hätten bereits Ausgaben in Höhe von 72 Milliarden Euro über die nächsten sechs Jahre ausgeschrieben, erklärten EY und Deka-Bank. Diese Investitionen "stimulieren sowohl Produktions- als auch Dienstleistungsaktivitäten mit einem Gegenwert von 157 Milliarden Euro".

Laut Studie schaffen oder sichern die aktuell geplanten Investitionen der NATO-Länder europaweit etwa 190.000 direkte Arbeitsplätze allein in der Rüstungsindustrie und 340.000 indirekte Arbeitsplätze bei Zulieferern. Außerdem entstünden etwa 150.000 "induzierte" Arbeitsplätze, etwa durch Konsumausgaben. In Summe würden so etwa 680.000 Arbeitsplätze neu geschaffen oder erhalten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. Februar 2025 um 17:13 Uhr.