Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu Die Wahllokale in der Türkei sind geschlossen
Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei haben die Wahllokale geschlossen. Amtsinhaber Erdogan gilt als Favorit, doch sein Herausforderer Kilicdaroglu kämpfte bis zuletzt um jede Stimme. Mit einem vorläufigen Ergebnis ist am Abend zu rechnen.
In der Türkei fand heute die Stichwahl um das Präsidentenamt statt - jetzt haben die Wahllokale geschlossen. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan, der seit 20 Jahren an der Spitze der Türkei steht, gilt als Favorit für eine weitere fünfjährige Amtszeit.
Bei der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen hatte Erdogan vor seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gelegen, er verfehlte aber mit 49,5 Prozent der Stimmen knapp die nötige absolute Mehrheit. Der 74-jährige Kilicdaroglu, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei CHP, kam auf 44,9 Prozent.
Der oppositionelle Kandidat Kilicdaroglu forderte seine Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, die "autoritäre" Herrschaft von Erdogan zu beenden.
Kilicdaroglu: "Autoritäre" Herrschaft beenden
Der oppositionelle Kandidat Kilicdaroglu warb bis zuletzt um Wählerstimmen: Als er in Ankara seine Stimme abgab, forderte er seine Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, die "autoritäre" Herrschaft von Erdogan zu beenden. "Damit echte Demokratie und Freiheit hier Einzug halten, damit wir uns von einer autoritären Regierung befreien, rufe ich die Bürger zur Wahl auf", sagte Kilicdaroglu.
Kilicdaroglu rief außerdem dazu auf, die Wahlurnen auch nach der Schließung der Wahllokale gut im Auge zu behalten. Schließlich sei die Präsidentschaftswahl "unter schwierigen Bedingungen abgehalten" worden.
"Jede Art von Verunglimpfung und Verleumdung ist laut geworden, aber ich vertraue in den gesunden Menschenverstand der Bürger", sagte Kilicdaroglu vor zahlreichen Anhängern vor dem Wahllokal. "Die Demokratie kommt ganz gewiss in diesem Land, die Freiheit wird kommen."
CHP: Angriff auf Wahlbeobachter
So beklagte Kilicdaroglus Partei CHP im Südosten des Landes einen Angriff auf ihre Wahlbeobachter. In der Provinz Sanliurfa seien die Wahlbeobachter der Partei geschlagen und ihre Telefone kaputtgemacht worden, weil sie gegen Unregelmäßigkeiten Einspruch erhoben hätten, schrieb der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Özgür Özel auf Twitter. Der Vorfall habe sich in einem Dorf der Provinz ereignet, der CHP-Abgeordnete Ali Seker sei vor Ort. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Nach der ersten Wahlrunde waren keine größeren Unregelmäßigkeiten gemeldet worden. Vielfach kritisierten Opposition und ausländische Beobachter aber einen unfairen Wahlkampf, da sich die türkischen Medien überwiegend fest in der Hand des Regierungslagers befinden und die Opposition deutlich weniger Sendezeit erhielt.
Erdogan gab seine Stimme heute mit seiner Frau Emine in einem Wahllokal in Istanbul ab. Dabei rief er zu reger Beteiligung an dem Urnengang auf.
Erdogan ruft zur Wahl auf
Erdogan gab seine Stimme heute mit seiner Frau Emine in einem Wahllokal in Üsküdar, einem Viertel im asiatischen Teil Istanbuls, ab. Dabei rief er zu reger Beteiligung an dem Urnengang auf. "In keinem Land der Welt gibt es eine Wahlbeteiligung von 90 Prozent", sagte er. "Die Türkei hat sie fast erreicht. Ich rufe meine Mitbürger auf, nicht nachzulassen und zur Wahl zu gehen." Bei der ersten Wahlrunde am 14. Mai hatten 87 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Stark ausgeprägter Nationalismus
Die Wahl gilt als richtungsweisend. Kritiker befürchten, dass die Türkei mit einem erneuten Sieg Erdogans vollends in die Autokratie abgleiten könnte.
Der erste Wahlgang zeigte, dass die Unterstützung für den in der türkischen Politik stark ausgeprägten Nationalismus zugenommen hat. Hintergrund sind nicht nur jahrelange Auseinandersetzungen mit militanten Kurden und der Putschversuch im Jahr 2016, sondern auch die Einreise von über drei Millionen Flüchtlingen aus dem Bürgerkriegsland Syrien vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Probleme der Türkei.
Wichtig wird zudem, wie sich die kurdischen Wahlberechtigten entscheiden. Die pro-kurdische Demokratische Volkspartei unterstützte Kilicdaroglu im ersten Wahlgang, nannte ihn jedoch nach seinem Versuch, nationalistische Stimmen zu gewinnen, nicht ausdrücklich namentlich und forderte die Wähler lediglich auf, Erdogans "Ein-Mann-Regime" abzulehnen. Etwa ein Fünftel der Bevölkerung der Türkei ist kurdisch.
Mehr als 64 Millionen Menschen waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Vorläufige Ergebnisse werden am Abend erwartet.