UNRWA-Verbot in Kraft Was wird aus der Palästinenserhilfe?
Israel schränkt ab heute die Arbeit des UN-Palästinenserhilfwerks massiv ein. Ab sofort darf die UNRWA auf israelischem Territorium keine Dienstleistungen anbieten und keine Vertretung unterhalten - auch nicht in Ost-Jerusalem. Was bedeutet das für die Region?
Der kleine Bagger, der den Müll in den großen Container schaufelt, hat gut zu tun. Ein Mann mit einer hellblauen Weste lenkt das schwere Gerät mitten im Flüchtlingslager Shuafat in Ost-Jerusalem. Er bewegt Berge von Müll. Der Müllmann ist Mitarbeiter der UNRWA. Überall hier in Ost-Jerusalem sind die Männer mit den hellblauen Westen zu sehen.
UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, kümmert sich in Ost-Jerusalem nicht nur um die Müllentsorgung, es betreibt Schulen und zahlreiche Gesundheitszentren. Ab heute soll damit Schluss sein.
Israel verbietet in den besetzten und annektierten Gebieten UNRWA-Einrichtungen, und israelische Beamte dürfen keinen Kontakt mehr zu UN-Mitarbeitern haben.
Folgen für die Stabilität des Westjordanlandes?
Für Roland Friedrich, den deutschen UNRWA-Direktor im Westjordanland, ist das eine gefährliche Situation. Er befürchtet, dass sich die humanitäre Lage verschlechtert, wenn die UNRWA sich nicht mehr mit dem israelischen Militär abstimmen, seine Dienstleistungen nicht mehr erbringen, den Müll nicht mehr beseitigen und nicht mehr Medikamente zu Gesundheitszentren bringen könne.
Und er befürchtet auch, dass dann die Stabilität im Westjordanland sehr schnell "weiter unter Druck geraten" könne.
Was Israel dem UNRWA vorwirft
Israel wirft dem Palästina-Hilfswerk vor, von der Terrororganisation Hamas unterwandert zu sein. Mehr als 100 Mitarbeiter der Terrororganisation sollen bei der Attacke auf Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein. So hatte die Regierung unter anderem ein Video veröffentlicht, das einen UNRWA-Sozialarbeiter zeigen soll, der am Tag des Terrorüberfalls die Leiche eines Israelis in ein Auto trägt, um sie in den Gazastreifen zu verschleppen.
Ein Sprecher aus dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, es seien auch Geiseln in UNRWA-Einrichtungen versteckt worden. Nach seinen Worten sollen 1.500 Angestellte der Organisation auch Hamas-Mitglieder sein.
Auf Drängen Israels untersuchten die Vereinten Nationen die Vorwürfe. In der Folge wurden knapp einem Dutzend Mitarbeiter gekündigt.
Hospiz-Mitarbeiter in Sorge
Auch das Indische Hospiz in der Altstadt von Jerusalem wird von der UNRWA betrieben. Es ist spezialisiert auf Kinderheilkunde und die Behandlung von chronischen Krankheiten. Patienten und medizinisches Personal sind verunsichert, weil sie die Folgen des Verbots noch nicht abschätzen können.
Der 63-jährige Nidal Alsau steht an der Medikamentenausgabe, er bekommt gerade neue Packungen mit Tabletten und Spritzen ausgehändigt. Die Injektionen und Medikamente reichten für drei Monate, erzählt er. Die Mitarbeiter der Klinik hätten ihm so viel gegeben, weil die Klinik nun schließen müsse.
Der Palästinenser redet sich in Rage, vergleicht das Verbot mit einem "Attentat" und berichtet von seinen Krankheiten - Bluthochdruck, Diabetes und Cholesterin. Er habe kein Geld, um die nötigen Medikamente zu bezahlen und er könne auch kein anderes Behandlungszentrum aufsuchen: "Ich kann sonst nirgends hin. Ich habe keinen israelischen Ausweis, mit dem ich mich behandeln lassen könnte. Wir leben hier unter der Besatzung. Das bedeutet, dass ich langsam sterben werde."
Manal Khayat, die Oberschwester im Indischen Hospiz, steht neben dem aufgebrachten Mann. Sie hat Tränen in den Augen. Wer solle die Kinder künftig impfen, fragt sie. Wer solle sich um die anderen Patienten kümmern? Sie wirkt verzweifelt, spricht von psychischer Erschöpfung - und nach 28 Jahren Tätigkeit im Hospiz von der Angst um ihren Arbeitsplatz: "Alle hier haben Angst vor der Schließung der Klinik. Wo sollen wir denn künftig arbeiten? Niemand wird uns einen Job anbieten. Das ist unser Ende."
Die Bevölkerung des Gazastreifens ist abhängig von internationaler Hilfe. Viele fragen sich, wer die nun untersagte Hilfe durch die UNRWA übernehmen wird.
Wer kann die UNRWA-Aufgaben übernehmen?
Wie es mit den bisherigen UNRWA-Einrichtungen weitergehen soll, ist unklar. Israel will, dass andere UN-Organisationen und NGOs die Aufgaben des UN-Hilfswerkes übernehmen - Organisationen, die nicht von Hamas-Terroristen unterwandert seien, erklärt der Sprecher von Netanjahu.
UNRWA-Direktor Friedrich glaubt nicht, dass die Aufgabe des Palästina-Flüchtlingshilfswerkes so ohne weiteres von anderen übernommen werden können. UNRWA sei die einzige UN-Organisation, die direkte Dienstleistungen erbringt. Es gebe auch keine andere UN-Organisation, die wie die UNRWA vor Ort sei, die nötige Zahl von Mitarbeitern und Liegenschaften habe - und das Vertrauen und den Zugang zur Bevölkerung. "Es ist faktisch unmöglich, das kurzfristig an andere Organisationen zu übertragen."
Wie es für Friedrich persönlich weitergeht, ist völlig offen. Sein Visum ist ausgelaufen. Gut möglich, dass der UNRWA-Direktor für das Westjordanland und Ost-Jerusalem schon sehr schnell zur unerwünschten Person erklärt wird und Israel verlassen muss.