Bestandsaufnahme zum Klimaschutz Das Zeitfenster schließt sich schnell
Die Bilanz ist ernüchternd: Die Zusagen der Staaten beim Klimaschutz reichen nicht aus, heißt es in dem Report des UN-Klimasekretariats. Für das 1,5-Grad-Ziel müssten die Emissionen spätestens 2025 sinken.
Die Welt braucht einen "radikalen Ausstieg aus fossilen Energien". Mit der bisherigen Politik ist die Staatengemeinschaft nicht auf dem Weg, die Ziele des Paris-Abkommens einzuhalten. Das ist die zentrale Aussage der globalen Bestandsaufnahme - des "Global Stocktake". Die wird beim UN-Klimagipfel in Dubai im Dezember eine zentrale Rolle spielen und liegt jetzt im Entwurf vor.
Das war im Paris-Abkommen von 2015 festgelegt worden: Alle fünf Jahre sollen die Staaten eine Zwischenbilanz ihrer Anstrengungen machen. Und sie sollen sich dann beim großen Treffen in die Augen schauen und sich gegenseitig zu mehr Anstrengung ermuntern.
Hintergrund für so viel Psycho-Politik: Die UN-Versammlung kann Staaten nicht einfach zwingen, etwas zu tun - sie kann nur dafür werben.
Betroffen sind alle Lebensbereiche
Die Bilanz ist denkbar ernüchternd. Die Summe der nationalen Zusagen der Staaten beim Klimaschutz ist zu gering - und dann reicht auch die jeweilige nationale Umsetzung in konkrete Politik nicht aus, um zumindest diese Zusagen einzuhalten.
Und dennoch bemüht sich der Bericht, den das UN-Klimasekretariat veröffentlicht hat, um einen positiven Zugang: Es hätte schlimmer kommen können. Seit die Klimarahmenkonvention - die Mutter aller Klimaverträge - in Kraft getreten ist, habe es in den vergangenen fast 30 Jahren deutliche Verbesserungen gegeben. Noch 2010 sei die Staatengemeinschaft auf dem Weg in eine 3,7 bis 4,8 Grad heißere Welt gewesen, heißt es da. Mit dem Paris-Abkommen waren dann drei bis 3,2 Grad wahrscheinlich. Derzeit sei man bei 2,6 bis 2,7 Grad - und wenn tatsächlich alle neuen Zusagen eingehalten würden - auch die vagen langfristigen Absichtserklärungen -, komme man bei 1,7 bis 2,1 Grad heraus.
Aber das Zeitfenster, in dem man die Erderwärmung auf die angestrebten maximal 1,5 Grad begrenzen könne, schließe sich sehr schnell. Deshalb müsse schnell und in allen Bereichen nachgebessert werden: mehr Klimaschutz, mehr Geld, mehr Beteiligung der Wirtschaft und auch der Menschen. Betroffen seien alle Lebensbereiche: wie wir leben, reisen, essen.
Bericht warnt vor Verwerfungen
Gleichzeitig warnt der Bericht aber auch davor, dass schnelle Veränderungen zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen können. Beteiligung der Menschen und soziale Gerechtigkeit seien unverzichtbare Begleiter und machten engagierte Klimapolitik erst möglich. Die Botschaft ist deutlich: Die Politik wird das nicht alleine schaffen.
Glaubwürdige, belegte und überprüfbare Maßnahmen von nichtstaatlichen Gruppen seien zusätzlich nötig, um den Umbau des Energiesystems zu schaffen. Das ist zwar auch früher schon gesagt worden. Aber dadurch, dass es jetzt in dieser offiziellen Bestandsaufnahme so deutlich betont wird, verschiebt sich der Fokus.
China ist nicht konkret benannt
UN-Texte tun sich schwer, einzelne Staaten konkret anzusprechen. Allerdings gibt es die klare Botschaft in dem Text, dass die globalen Emissionen spätestens 2025 dauerhaft sinken müssen. Dazu leisteten viele Industrieländer und einige Entwicklungsländer schon jetzt ihren Beitrag.
China ist nicht konkret benannt. Aber ohne den mit Abstand größten Emittenten von Klimagasen wird dieses Ziel nicht erreichbar sein. China ist derzeit nicht bereit, sich dazu zu verpflichten. Die aktuelle Zusage ist, dass die Emissionen "vor 2030" sinken sollen.
Die Bestandsaufnahme soll auch Wege zeigen, wie die Länder schneller vorankommen können. Der Ausbau Erneuerbarer Energien wird da als unverzichtbar bezeichnet. Und der Ausstieg aus fossilen Energien. Aber dabei gibt es eine wichtige und hochpolitische Einschränkung: wenn nämlich die Klimagase aus Kohle- oder Gaskraftwerken abgefangen und im Untergrund eingesperrt werden. Darauf setzen viele Länder. Und dieser Satz ist besonders den Gastgebern der nächsten Klimakonferenz COP28, den Vereinigten Arabischen Emiraten, wichtig.
Wie jeder Text der UN zum internationalen Klimaschutz betont auch dieser die Bedeutung von Finanztransfers. Die Mittel, die die reicheren Staaten zur Verfügung stellten, um den ärmeren einen Weg zur "sauberen" Entwicklung zu ermöglichen, reichten nicht aus.
"Nicht nur mit warmen Worten reagieren"
Ani Dasgupta, Vorstand der Umwelt-Denkfabrik World Resources Institute, fordert die Staaten der Welt bei der Klimakonferenz im November dazu auf, aus der Bilanz auch Schlüsse zu ziehen: "Der Erfolg von COP28 hängt davon ab, ob die Regierungen nun nicht nur mit warmen Worten reagieren, sondern mit deutlich verbesserten Zusagen, die die Menschheit vom derzeitigen, zerstörerischen Weg wegzubringen."
Und Christoph Bals, politischer Geschäftsführer des Klima-Thinktanks Germanwatch, bezieht die Aufforderung, mehr zu tun, konkret auf Deutschland. Vor allem weist er darauf hin, dass immer noch Milliarden von Euro in Investitionen für fossile Energien fließen. "Auch die Bundesregierung subventioniert etwa mit dem Dienstwagenprivileg Autos, die Teil des Problems sind", sagt er. Sie schwäche zudem die Verbindlichkeit der eigenen Klimaziele, statt die Umsetzung zu beschleunigen.
Laurence Tubiana, Geschäftsführerin der Europäischen Klimastiftung ECF, macht darauf aufmerksam, dass die Staaten dem Entwurf noch zustimmen müssen. Wird die Bestandsaufnahme am Ende nicht einstimmig angenommen, kann sie keine Wirkung entfalten. Idealerweise sollen die Länder aber auf der Basis dieser Analyse ihre nationale Klimaschutzziele für die nächste Verpflichtungsperiode festlegen. Die reicht dann von 2030 bis 2035.