Kostenkalkulation in der Klinik Wenn der Tod zum Wirtschaftsfaktor wird
Rund die Hälfte aller Menschen verbringen ihr Lebensende in einer Klinik - obwohl die meisten am liebsten zu Hause sterben wollen. Finanzielle Aspekte spielten immer häufiger eine Rolle, beklagen auch Mediziner.
Ingrid L. liegt nach einem Herzstillstand seit drei Monaten beatmet im Koma. Ihr Ehemann kämpft verzweifelt darum, dass ihre Patientenverfügung von den Ärzten befolgt wird und sie friedlich sterben darf. "Es ist ein Grauen! So monatelang an den Maschinen zu liegen, das hat sie nie gewollt", sagt er. Die moderne Medizin macht es möglich, Menschen immer länger künstlich am Leben zu erhalten. Und gerade auf Intensivstationen können Kliniken mit der Behandlung Schwerstkranker viel Geld verdienen.
Dass wirtschaftliche Aspekte statt der medizinischen im Vordergrund stehen, hält Intensivmediziner Uwe Janssens für eine Fehlentwicklung und fordert politische Initiativen. "In den letzten 20 Jahren hat die Politik zugelassen, dass sich die Medizin mehr und mehr der Ökonomie verpflichtet."
Sterbeprozess findet im Krankenhaus statt
Medizinisch ist immer mehr machbar, und der Tod am Lebensende kann inzwischen lange hinausgezögert werden. Deshalb liegt es mehr und mehr in den Händen der Ärzte, wann das Leben aufhört und wann es noch weitergeht. Bei der Entscheidung am Lebensende spielen nicht nur gesundheitliche Aspekte eine Rolle, sondern auch ethische und vor allem finanzielle.
Rund die Hälfte aller Menschen verbringen ihr Lebensende in einer Klinik. Obwohl die meisten am liebsten zu Hause sterben wollen, tun dies nur die wenigsten. Denn der Sterbeprozess findet in der Regel in einem Krankenhaus- oder Pflegebett statt.
Wann das Therapieziel auf Sterbebegleitung umgestellt wird, liegt dann im Ermessen der Ärztinnen und Ärzte, denn eine Patientenverfügung haben laut dem Institut für Betreuungsrecht nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Für Behandelnde gibt es viel Interpretationsspielraum, der nicht selten in zu lange und aufwendige Behandlungen - eine Übertherapie - führt.
Medizin und Ökonomie
Durch die zunehmende Privatisierung der Krankenhäuser spielen finanzielle Anreize bei der Behandlung eine immer größere Rolle. Gerade mit Therapien am Lebensende - zum Beispiel mit künstlicher Beatmung - kann viel Geld verdient werden. Immer wieder gibt es den Verdacht, dass manche Behandlungen in erster Linie wirtschaftliche Ziele haben.
Intensivmediziner Janssens, Sprecher der Sektion Ethik der Deutschen Gesellschaft für Intensivmedizin, kritisiert: "Wenn tatsächlich in einigen Gebieten der Medizin der Eindruck entsteht, dass wir uns einer Ökonomie verpflichtet fühlen, dann nimmt die Medizin einen ganz schlechten Weg. Und das hat die Medizin in den letzten 20 Jahren tatsächlich gemacht."
Überbehandlung vermeiden
Janssens fordert, dass Ethik-Kommissionen an allen Kliniken verpflichtend werden. Sie sollen regelmäßig über die Therapieziele bei Schwerkranken beraten: Ist die durchgeführte Behandlung vom Patienten noch gewünscht, soll sie fortgesetzt oder auf palliative Behandlung umgestellt werden? Überbehandlungen am Lebensende werden immer wieder kritisiert, doch sie sind juristisch schwer fassbar: "Es ist noch kein Arzt wegen Lebensverlängerung verurteilt worden", so die Münchner Medizinanwältin Tanja Unger.
Lauterbach plant Krankenhausreform
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach möchte mit seiner Krankenhausreform unter anderem diese wirtschaftlichen Anreize bei Behandlungen bekämpfen. Denn das Problem der Überbehandlung ist der Politik seit langem bekannt: "Die Krankenhäuser sind zum Teil auf diese Art der Behandlungen angewiesen, um damit Defizite auszugleichen, die ansonsten dazu führen würden, dass man in anderen Bereichen nicht so gut behandeln könnte."
Nach Lauterbachs Vorschlag sollen sich die Krankenhäuser in Zukunft nicht mehr ausschließlich über die Behandlungspauschalen finanzieren müssen.
Patientenverfügungen sind für Behandelnde verpflichtend
Doch fehlgeleitete Behandlung durch wirtschaftliche Anreize ist nicht das einzige Problem, das zu Überbehandlung am Lebensende führt. Oftmals spielt auch die Unsicherheit von Ärztinnen und Ärztinnen eine Rolle. Zwar sind seit 2009 die Patientenverfügungen für die Behandelnden verpflichtend, aber oftmals werden sie nicht befolgt, denn es gibt viel Interpretationsspielraum.
Das hat auch Palliativmediziner Matthias Thöns schon häufig erfahren: "Dann wird einfach weiter therapiert, obwohl ein Patient das offenkundig nicht will. Es wird nicht nach den Therapiezielen gefragt. Also ist ein Therapieziel, was ein Mensch wünscht für diese Situation, ist das überhaupt noch erreichbar."
Tabu-Thema Sterben
Die Kontrolle der Ärzte und Ärztinnen ist schwierig und Überbehandlung nachzuweisen für Angehörige fast unmöglich. Durch den demographischen Wandel und den medizinischen Fortschritt wird das Problem weiter zunehmen.
Anderseits ist das Sterben in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema. Deshalb haben nur wenige Menschen in einer Patientenverfügung ihren Willen zur Behandlung am Lebensende festgeschrieben. Therapieziele müssen nicht nur von Ärztinnen und Ärzten, sondern auch von Patientinnen und Patienten klarer definiert werden, da der natürliche Tod immer seltener geworden ist. Palliativmedizner Thöns: "Wenn ein Patient sagt: "Ich habe mehr Angst vor Schwerstpflegebedürftigkeit, dass ich noch 20 Jahre an die Decke gucke, ohne mich äußern zu können, dann bin ich lieber tot - dann muss man das akzeptieren."