Hitze und Gesundheit Wie Klimawandel die soziale Ungleichheit verschärft
Der Klimawandel trifft alle Menschen - doch manche leiden stärker unter Hitze als andere. Besonders betroffen sind Ärmere, denn sie können sich schlechter schützen. Das könnte den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen.
Unter anhaltender Hitze leiden nicht nur einzelne Organe, wie beispielsweise das Gehirn, das Herz, die Bauchspeicheldrüse, die Haut oder der Darm. Vielmehr stellt die Hitze das gesamte System Mensch vor große Probleme, erklärt die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann. Sie ist die Vizedirektorin des Zentrums für Klimaresilienz der Universität Augsburg.
Hitze hält Körper in Schach
Das liegt daran, dass die Hitze einerseits bereits bestehende krankmachende Beeinträchtigungen verstärkt. Das betrifft chronische Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber auch mentale und neurologische Erkrankungen wie Alzheimer oder Depressionen verschlimmern sich bei anhaltend hohen Temperaturen. Millionen Menschen sind von einer solche Vorerkrankung betroffen und erleiden deshalb eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands.
Die Ursache dafür, so Traidl-Hoffmann: Wenn "wir uns darauf konzentrieren müssen, unsere Körpertemperatur aufrecht zu erhalten, dann bedeutet das, dass andere Erkrankungen, die vom Körper Aufmerksamkeit brauchen, nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommen, die es nötig hat, um diese Erkrankungen auch in Schach zu halten".
Auch junge Menschen betroffen
Aber selbst für diejenigen, die jung und gesund sind, ist andauernde und hohe Hitze problematisch. Denn auch ein junger Organismus kann diese Belastung nur begrenzt ausgleichen. Wenn ein Mensch über viele Stunden praller Sonne und Hitze ausgesetzt ist, und das ohne Schutz, dann überhitzt der Körper. Mit der Folge, dass die Hitze Körperstrukturen wie beispielsweise Eiweiße nachhaltig zerstört.
"Wenn diese Strukturen zu heiß werden, dann denaturieren sie. Dann verlieren sie ihre Struktur und dann passt kein Schlüssel mehr in irgendein Schloss - das sind ja immer so Schlüssel-Schloss-Prinzipien. Und dann funktionieren Prozesse im Körper nicht mehr und dann stirbt man", erklärt die Umweltmedizinerin. Alle medizinischen Behandlungsmöglichkeiten können derart überhitzte Menschen nicht mehr retten.
Wer ist vor allem betroffen?
Einerseits belastet die Hitze alle Menschen, weil sie die Leistungsfähigkeit einschränkt, und weil sie psychisch und emotional belastend sein kann. Aber manche Menschen sind besonders verletzlich. Und das sind vor allem Säuglinge, Kleinkinder und alte Menschen. Ihr Wärme-Regulationssystem arbeitet noch nicht oder nicht mehr optimal. Und da Deutschland die zweitälteste Bevölkerung in Europa hat, ist die Gruppe der Betroffenen hier besonders groß.
Hinzu kommt, dass auch diejenigen gefährdet sind, die der Hitze aus beruflichen Gründen nicht ausweichen können. Also beispielsweise auf dem Bau, bei der Feuerwehr, in der Landwirtschaft, beim Rettungsdienst oder bei der Müllabfuhr. Erschwerend ist für diese Menschen darüber hinaus, dass sie der Hitze nicht nur im beruflichen Alltag ausgesetzt sind, sondern oft auch in ihrer Wohnsituation. Häufig leben sie in kleinen Wohnungen, schlecht isoliert, ohne Schutz vor der Sonne, sodass es auch nachts nicht abkühlt.
Das ist ein großes Problem für den Organismus, betont Andreas Matzarakis, Umweltmeteorologe an der Universität Freiburg in einer Untersuchung für das Robert Koch-Institut. Denn der Körper kann sich dann nicht erholen. Der Forscher betont, dass sich "sozial Schwache weitaus schlechter vor der Hitze schützen können, weil in den ärmeren Stadtvierteln wenig städtebauliche Ausweichmöglichkeiten gegeben sind, beispielsweise durch Grünflächen oder Wasser."
Soziale Ungleichheit auch beim Klimawandel
Studien belegen, dass in Stadtvierteln mit wenig Grün, vielbefahrenen Straßen, engstehenden hohen Häusern und vielen Menschen es deutlich wärmer ist als in den Vororten mit Einfamilienhäusern, Gärten und Parks.
Und in den mit Hitze aufgeladenen Vierteln wohnen meistens diejenigen, die ohnehin wenig Ressourcen haben, betont Matthias Garschagen, Professor für Anthropogeographie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München: "Häufig sind es die ärmeren Haushalte, die in den ganz engen Stadtlagen wohnen, in der aufgeheizten Dachgeschosswohnung, wo eine hohe Exposition gegenüber dieser Hitze da ist."
Geringeres Einkommen, geringere Lebenserwartung
Diejenigen, die ohnehin schon zu den sozial Schwachen gehören, sind von den Folgen des Klimawandels also besonders hart betroffen: Denn sie haben wenig finanzielle Ressourcen, leben in ungenügend isolierten Wohnungen in dicht bebauten Stadtvierteln. Und sie sind sehr oft in einem schlechteren Gesundheitszustand als diejenigen, denen es besser geht.
Laut einer Statistik des Robert Koch-Instituts sterben Frauen mit niedrigem sozioökonomischen Status im Durchschnitt acht Jahre früher als beispielsweise Frauen mit hohem Einkommen. Und bei den Männern beträgt der Unterschied sogar elf Jahre. Deshalb sagt Garschagen: "Wir haben eine ganz ungünstige Verquickung davon, dass die Gruppen, die sozioökonomisch am schwächsten sind, auch die höchste Verwundbarkeit gegenüber Klimawandelfolgen haben."
Politik ist alarmiert
Erst seit kurzem hat die Politik das Thema im Blick. 2021 eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums mit dem wegweisenden Titel: Folgekosten der Klimakrise: Warum sie die gesellschaftliche Ungleichheit verstärken. Denn diejenigen, die in sozio-ökonomisch schwierigen Verhältnissen leben, die also täglich sparen müssen, um über die Runden zu kommen, sind der Hitze durch ihre Lebensumstände am stärksten ausgesetzt.
Und das ist nicht nur für jede und jeden Einzelnen ein riesiges Problem, sondern bedroht letztendlich auch den Zusammenhalt unserer demokratischen Gesellschaft, warnt Garschagen: "Die Schlüsselfrage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wird diejenige sein, inwieweit wir Klimawandelanpassung als Gemeinschaftsaufgabe verstehen und deshalb auch über diese Maßnahmen den Abbau dieser Unterschiede mit anstreben."
Das hat auch das Bundesgesundheitsministerium erkannt und plant, nach dem Vorbild von Frankreich demnächst einen nationalen Hitzeplan zu verabschieden. Noch laufen dafür aber die Abstimmungen.