Künstliche Intelligenz Wie KI die Psychotherapie verändern könnte
Kann KI bei Verhaltenstherapie helfen? Ein Mannheimer Forschungsteam testet eine KI-App für Jugendliche. Sie soll psychische Krankheiten verhindern, könnte in Zukunft aber auch in Psychotherapien eingesetzt werden.
"Nimm ein paar tiefe, langsame Atemzüge. Vielleicht bemerkst du dabei einen Atemrhythmus, der für dich angenehm ist", spricht die KI-App in Richtung Katharina Koch. Die 23-Jährige hat eine KI-App für Jugendliche getestet, die das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit entwickelt hat. Die App soll das Risiko für psychische Krankheiten bei Jugendlichen verringern.
Künstliche Intelligenz sagt Stimmungen voraus
Die App fragt nach der aktuellen Stimmung, leitet aber auch Übungen an, gibt Tipps - immer individuell angepasst, um die psychische Gesundheit zu stärken. Das Forschungsteam hat ein KI-Modell entwickelt, das die ganze Zeit die Stimmungslage vorhersagt. Dann werden die passendsten Übungen ausgewählt. "Der Vorteil ist, dass man präzisere Vorhersagen machen und diese dann nutzen kann, um die Trainings, die wir in der App geben, besser zu platzieren", erklärt KI-Forscherin Georgia Koppe vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Erste Zwischenergebnisse der Studie zeigen: Wenn Künstliche Intelligenz Übungen auswählt, profitieren die Jugendlichen stärker als ohne den KI-Einsatz. "Meine Wahrnehmung war viel mehr bei mir und meinen Gefühlen", berichtet die 22-jährige Testnutzerin Patrice Erhard. Sie hat die App im Rahmen der Studie acht Wochen lang getestet.
Wie wird KI die Psychotherapie verändern?
Die Mannheimer App ist kein Medizinprodukt, darf also nicht im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung eingesetzt werden. Doch solche KI-Apps werden kommen, sagt der Psychiater Florian Bähner vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. "Eine Woche hat 168 Stunden, und eine Sitzung ist nur eine Stunde davon. Und da können natürlich solche Apps durchaus unterstützen, einfach im Alltag auch das Gelernte besser anzuwenden."
KI-Apps würden dann die zeitlichen Lücken zwischen den einzelnen Therapiesitzungen schließen - mit Übungen vor allem im Rahmen von Verhaltenstherapien. Zusätzlich könnten Chatbots auch als Ansprechpartner zwischen den Therapiesitzungen zur Verfügung stehen.
Start-ups wie Wysa oder Woebot bieten bereits Chatbots an, die bei psychischen Problemen helfen sollen. Diese sind jedoch noch keine zugelassenen Medizinprodukte, und ihre Antworten wirken oft vorgefertigt und basieren in der Regel auf regelbasierten Entscheidungsbäumen. Freie Gespräche sind kaum möglich, was den Nutzen einschränkt.
Neue KI-Sprachmodelle wie ChatGPT können dagegen in natürlicher Sprache antworten. Sie ermöglichen nahezu natürliche Kommunikation, machen aber Fehler und können keine plausiblen Therapiepläne verfolgen. Sie werden keinen Therapeuten oder Therapeutin ersetzen können, sagt KI-Forscherin Koppe.
Aber die Sprachmodelle könnten genutzt werden, um in Zukunft auch im Alltag Übungen in Form von kleinen Sprachdialogen anbieten zu können. Die Hürde für die Nutzung könnte deutlich sinken, wenn Abfragen wie zur aktuellen Stimmungslage auch per Spracheingabe möglich sind.
KI kann schon bei der Diagnose helfen
In Zukunft kann KI vor allem auch die Therapeuten und Therapeutinnen unterstützen - etwa bei der Diagnose oder den aktuellen Daten zum Verlauf. In Großbritannien hilft KI bereits auf dem Weg zum Therapieplatz: Der Chatbot Limbic Access vermittelt im Rahmen einer Studie Therapieplätze und stellt erste Diagnosen. Die Zahl der Selbsteinweisungen sind um 15 Prozent gestiegen, zeigt eine Analyse mit fast 130.000 Betroffenen.
Was heute schon möglich ist, verdeutlicht auch ein Forschungsprojekt der Universität Basel. Ihr KI-Modell beobachtete Emotionen und Stimmungen in Videositzungen und berechnete die Wahrscheinlichkeit eines Therapieabbruchs. Allerdings ist diese Emotionserkennung in der EU noch nicht erlaubt, und auch insgesamt sind die rechtlichen Rahmenbedingungen streng, sagt Ulrich Reininghaus vom Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit: "Wir sind mit sehr hohen regulatorischen Anforderungen konfrontiert."
Wann wird KI die Psychotherapie verändern?
Das Zeitalter der KI beginnt gerade erst, sagt KI-Forscher Janik Fechtelpeter, der die KI-App für Jugendliche entwickelt hat. "Ich glaube auf jeden Fall, dass KI einen Platz finden wird." Das Entwicklungspotenzial sei groß, die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Viel wird davon abhängen, wie streng die rechtlichen Rahmenbedingungen in Zukunft ausgelegt werden.
Großes Potenzial erkennt auch Testnutzerin Katharina Koch - mit Blick auf unterstützende KI-Apps: "Am Handy kann ich direkt auf die Übungen zugreifen. Das ist natürlich ein großer Faktor." Darin sehen viele Fachleute eine Chance - vor allem für die Unterstützung im Alltag. KI-Anwendungen würden dann ein Stück weit die großen Lücken zwischen den einzelnen Therapiesitzungen verringern.
Vor allem bei der Umsetzung von Verhaltensänderungen im Alltag stoßen Betroffene schnell an ihre Grenzen. Ob und wie KI hier tatsächlich helfen kann, ist mit Blick auf die aktuelle Forschungslage noch nicht absehbar. "Ich kann mir vorstellen, dass es in zehn Jahren da beträchtliche Weiterentwicklungen gibt, die man jetzt noch gar nicht so genau einschätzen kann", sagt Psychiater Bähner.